Der EU-Sondergipfel in Brüssel soll am Sonntag einen strengeren Kurs gegenüber Flüchtlingen beschließen. Dabei will Angela Merkel vor allem ihre eigene Linie durchsetzen: Den Entwurf für eine gemeinsame Abschlusserklärung gibt es bereits. Doch die Kanzlerin wird Zugeständnisse machen müssen – und am Ende vielleicht vor einem Scherbenhaufen stehen.
Von Marcel Joppa
Sie sind politische und auch persönliche Freunde: Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Nun, da Merkel im eigenen Land unter massivem Druck seitens der CSU steht, springt ihr der Luxemburger schnell zur Seite. Der EU-Sondergipfel am Sonntag zur Flüchtlingspolitik findet auf seine Initiative statt.
Geheime Abschlusserklärung
Ungeschickt allerdings, dass der Entwurf einer Abschlusserklärung in den Medien auftauchte, ohne dass bisher überhaupt über Lösungen diskutiert oder gestritten wurde. In dem Papier finden sich vor allem Forderungen und Beschlüsse, die Kanzlerin Merkel Rückenwind geben sollen und dem deutschen Innenminister Horst Seehofer den Wind aus den Segeln nehmen könnten.
Kein leichtes Spiel
Insgesamt soll die Gangart gegenüber Asylbewerbern innerhalb der EU verschärft werden, so der Plan Merkels, für den sie bereits vor rund einer Woche von Frankreichs Präsident Macron Unterstützung erbeten hatte. In dem Entwurf heißt es, für Asylbewerber gebe es künftig kein Recht, sich das Land frei auszusuchen, in dem Asyl beantragt werde. Eigenmächtige Grenzübergänge sollen zudem bestraft werden.
Merkels „Masterplan“
Hinzu kommt, dass Asylberechtigte nur in dem Land ein Anrecht auf Sozialleistungen haben sollen, in dem sie das erste Mal EU-Gebiet betreten haben und registriert wurden. Sollte es einem Asylbewerber doch einmal gelingen, von einem in ein anderes EU-Land zu gelangen, sollen „zügige Rücknahmen“ in die zuständigen Mitgliedsstaaten sichergestellt werden.
Wenig attraktiv für Süd und Ost
Ein Entwurf, der vor allem für Länder ohne EU-Außengrenzen äußerst praktisch ist. Mit anderen Worten: Kein Asylbewerber soll ohne weiteres nach Deutschland kommen können. Schafft er es doch einmal, empfängt er keine Sozialleistungen und muss sofort wieder zurückgeführt werden. Doch warum sollten Italien, Spanien oder Griechenland diesem Beschluss zustimmen? Merkel könnte diesen Staaten drei Maßnahmen anbieten:
1. Auslagerung
Flüchtlinge sollen erst gar nicht europäischen Boden betreten. Nach den Plänen von Merkel und Macron könnten in Nordafrika Auffanglager entstehen, in die beispielsweise im Mittelmeer aufgegriffene Flüchtlinge abgeschoben werden. Dort soll dann geprüft werden, wer ein Recht auf Asyl in der EU bekommen könnte. Ausgereift ist diese Idee aber nicht. Hilfsorganisationen warnen zudem vor Zuständen wie in Massengefängnissen. Auch ist der Standort dieser Lager noch ungewiss. Im Gespräch war unter anderem die Sahelzone südlich der Sahara, die allerdings für ihre Dürreperioden und Hungersnöte bekannt ist.
2. Umverteilung
Immer wieder sind auch sogenannte Verteilungsquoten für alle EU-Staaten im Gespräch. EU-Länder an den Außengrenzen könnten darauf bauen, dass ihnen ein Teil der Migranten von den europäischen Nachbarn abgenommen wird. Hier gab es allerdings bereits eine Absage der Visegrad-Staaten Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei, die dazu nicht bereit sind. Alle vier Staaten sagten auch ihre Teilnahme an dem EU-Sondergipfel in Brüssel ab.
3. Aufrüstung
Ein Plan, der voraussichtlich die meisten Befürworter bekommen wird, ist der angestrebte Ausbau der Sicherheit an den EU-Außengrenzen. Hierzu will die EU-Kommission die Mitarbeiterzahl der Grenz- und Küstenwache Frontex verzehnfachen. So sollen von 2021 bis 2027 insgesamt 34,9 Milliarden Euro bereitgestellt werden. Das ist dreimal so viel wie im aktuell laufenden Finanzzeitraum.
Das Problem daran: Wer genau soll dafür zahlen? Merkel und Macron fordern Milliardeninvestitionen in die Eurozone, sogar ein eigener EU-Haushalt soll dafür geschaffen werden. Das kommt nicht bei allen Mitgliedsstaaten gut an: Zu groß könnte der Einfluss Deutschlands auf die Verwendung dieser Mittel sein.
Deal oder kein Deal?
Ein Deal, mit dem alle Teilnehmer des kommenden EU-Sondergipfels zufrieden sind, ist also entweder von vornherein unmöglich, oder er wird von Deutschland massive Mehrausgaben fordern. Selbst wenn am Ende des Gipfels eine Abschlusserklärung stehen sollte, werden sich die Visegrad-Staaten den Maßnahmen wahrscheinlich verweigern. Damit wäre Merkel wieder ganz am Anfang – und die CSU könnte erneut zum Angriff ansetzen.
Alles auf Start
Wahrscheinlich ist also, dass die eingeladenen Staats- und Regierungschefs am Sonntag den kleinsten gemeinsamen Nenner finden, den sie in ihren jeweiligen Ländern als großen Durchbruch und Erfolg verkaufen. Ob das die Kritiker der internationalen Asylpolitik vorerst zufriedenstellt, bleibt abzuwarten.
Der Bericht zum Nachhören: