Rizin-Fund im Kölner Hochhaus: Mutmaßlicher Islamist war wohl sehr weit mit seinen Anschlagsplänen

In der Wohnung eines Tunesiers entdeckte die Polizei hochgefährliches Rizin-Gift. Er soll an einer Bio-Waffe gebastelt haben. Inzwischen ist auch klar, dass er Kontakte zu radikalen Kreisen hatte und seine Anschlagspläne weit gediehen waren.

Er lebt zurückgezogen mit Frau und mehreren Kindern in einer Hochhaussiedlung in Köln. Die Nachbarn beschreiben ihn als sehr ruhig und unauffällig. Auch für deutsche Behörden ist Sief Allah H. bis zum 12. Juni zunächst ein unbeschriebenes Blatt. Doch als die Polizei an dem Tag seine Wohnung in erster Etage eines 18-stöckigen Hauses stürmt, entdeckt sie, dass der Tunesier in der Kölner Hochhaussiedlung im Verborgenen über Wochen hinweg hochtoxisches Rizin hergestellt hat — so zumindest lautet der Verdacht. Es ist eines der gefährlichsten Gifte, das schon in kleinsten Mengen töten kann.

Offenbar plante er einen verheerenden Anschlag. Und möglicherweise war es knapp. Dass er Kontakt zu Personen aus dem «radikal-islamistischen Spektrum» hatte, wie neue Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft ergeben haben, macht den Fall noch brisanter.

Wohnung des Tunesiers nur 15 Gehminuten von Verfassungsschutz-Behörde entfernt 

Von einer «Biobombe» und von «ganz konkreten Vorbereitungen» eines Anschlags einer neuen Dimension spricht der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, gut eine Woche nach dem Zugriff. Der 29-jährige Sief Allah H. — zu Deutsch «Schwert Gottes» — soll schon sehr weit gewesen sein mit seiner Planung.

«Sehr wahrscheinlich» wollte er einen Terroranschlag begehen, schildert Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Was ihn zusätzlich frustrieren dürfte: Ausgerechnet in der Nähe seines Inlandsgeheimdienstes hantierte der Beschuldigte seit Mitte Mai mit den giftigen Substanzen. Die von Spezialkräften am 12. Juni gestürmte Hochhauswohnung ist gerade mal 15 Gehminuten von der Verfassungsschutz-Behörde entfernt.

Was der Mann genau im Schilde führte, welche Motive er hatte und ob er Mitwisser oder Komplizen hatte, ist noch ungewiss. Tag für Tag gibt es neue Details und Einschätzungen, die dafür sprechen, dass es bedrohlich hätte werden können. «Wenn etwas passiert wäre, dann wäre es islamistisch-dschihadistisch motiviert gewesen», heißt es aus Ermittlerkreisen. Die Bundesanwaltschaft glaubt nicht, dass Sief Allah H. einer terroristischen Vereinigung angehörte. Ob das auch für seine Kontaktpersonen gilt, ist noch offen.

Sief Allah H. versuchte, zweimal erfolglos nach Syrien auszureisen

Der Tunesier war Ende 2016 via Familiennachzug nach Deutschland gekommen und hatte der Bundesanwaltschaft zufolge 2017 gleich zweimal erfolglos versucht, über die Türkei nach Syrien auszureisen — vermutlich zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Der Mann sitzt nun in Nordrhein-Westfalen in Untersuchungshaft. Ob der Beschuldigte sich zu den Vorwürfen äußerte, sagen die Ermittler bisher nicht.

Seit Mitte Mai werkelte der Mann in dem 18-stöckigen Hochhaus im Kölner Norden — sein Schlüssel passte zu mehreren Wohnungen. In einer lebte er mit seiner Frau, einer Deutschen, die zum Islam konvertierte, und ihren Kindern. In der anderen Wohnung lagerte er seine gefährlichen Materialien: Rizinussamen, eine elektrische Kaffeemühle und Utensilien für den Bau eines Sprengsatzes. Und er hortete weit mehr als bisher geahnt.

Mehr Rizinussamen in der Wohnung als bisher gedacht

Was die Bundesanwaltschaft als sichergestellte Funde auflistet, lässt frösteln: 3.150 Rizinussamen — allesamt übers Internet bezogen — und gut 84 Milligramm Rizin-Gift. Dazu 250 Metallkugeln, zwei Flaschen mit leicht entzündlichem Nagellackentferner, Drähte mit aufgelöteten Glühbirnen und 950 Gramm eines grauen Pulvers, das auch pyrotechnische Substanzen aus Feuerwerkskörpern enthält. Viel Fantasie braucht es nicht, um zu ahnen, wozu die Materialien gedacht waren.

Auch wenn die Konstruktion einer Bombe mit Rizin als technisch sehr anspruchsvoll gilt, im Internet gibt es Anleitungen — auch von islamistischen Organisationen. Und daran habe sich der Verdächtige «offensichtlich auch orientiert», erläutert BKA-Chef Münch im RBB-Inforadio. Der Hinweis eines ausländischen Geheimdienstes brachte den Verfassungsschutz auf die Spur des Tunesiers, aber auch dem Tipp eines Bürgers ist möglicherweise viel zu verdanken.

Rizin gilt als potenzieller biologischer Kampfstoff. Die Reinsubstanz ist in geringsten Konzentrationen lebensbedrohlich. Das Gift aus einem Samen könnte Toxikologen zufolge bereits tödlich auf ein Kind wirken. Je nach Körpergewicht würde bei Erwachsenen das Rizin ab einer Menge von fünf bis sechs Samen zum Todesrisiko, wie der Düsseldorfer Wissenschaftler Gerhard Fritz erläutert. Je nachdem, wie das Gift verbreitet wird, schädigt es unterschiedlich. In Deutschland sind Rizin-Vergiftungen laut Robert-Koch-Institut sehr selten.

Quelle

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