Zu wenig frisches Blut, so viel Selbstvertrauen – nach dem WM-Fiasko des Team von Joachim Löw versucht die russische Sportpresse, den Ursachen auf den Grund zu gehen. Die deutsche Nationalelf ist nach der 0:2-Niederlage gegen Südkorea bereits in der Gruppenphase ausgeschieden.
Die Zeitung „Sport-Express“ titelt: „Der König Löw sollte lieber gehen.“ Kommentator Michail Gontscharow schreibt: „Löw hat tatsächlich Entscheidungen getroffen, die nun alle im Nachhinein als Fehler bezeichnen und ihm vorwerfen werden. Er hat für diese WM nichts Neues gemacht. Seine Elf hat genau denselben Fußball gespielt wie vier Jahre zuvor. Wer den Titel gewinnen will, muss aber unbedingt überraschen, sonst werden sich die Gegner schnell seinem Stil anpassen.“
„Löw hat keine Erneuerung der Besetzung gewagt, obwohl jene Mannschaften, die große Höhen erklommen hatten, oft eine solche Erneuerung brauchen, um Frische und Motivation eingespritzt zu bekommen. Im Auftaktspiel gegen Mexiko hatte die Startformation acht Kicker, die Gold in Brasilien geholt hatten. Zu Recht kommt die Frage auf: Wo bleibt das Vertrauen in die Spieler der zweiten Besetzung, die vor einem Jahr Klasse gezeigt und den Confed Cup gewonnen hatten?“, so der Kommentar.
Der Trainer habe sich lediglich auf eine lokale Erneuerung beschränkt und weiter an diejenigen geglaubt, die ihm den wichtigsten Sieg seiner Karriere gebracht hatten: „Das Team war ziemlich lange für Siege herangereift, gewann endlich den Weltpokal – und ist dann überreift, vergilbt und verwelkt.“
Jewgeni Syrjankin, Kommentator der Zeitung „Sowetski Sport“, versieht seine Kolumne mit der Überschrift: „No Country for Old Men“. Er vergleicht das DFB-Debakel mit den Misserfolgen von Frankreich, Italien und Spanien, die jeweils 2002, 2010 und 2014 ebenfalls als Titelverteidiger in der WM-Gruppenphase ausgeschieden waren.
Diese Teams hätten auch nach ihren WM-Finalsiegen ihre goldenen Besetzungen weiter ausgebeutet. Die diesjährige deutsche Elf sei keine Ausnahme. Die Bemühungen ihrer jüngeren Spieler wie Kimmich und Werner seien von den älteren Partnern, die vom Ruhm und Erfolg müde seien, nicht wahrgenommen worden, hieß es.
Die Trainer der gescheiterten Titelverteidiger hätten nicht genug frisches Blut in die Adern ihrer Mannschaften gepumpt: „Denn sie begannen, die Begriffe ‘Weltmeister’ und ‘Unbesiegbare’ zu verwechseln, und vergaßen, dass der Sinn dieser Wörter ein anderer ist – ebenso wie deren zeitlicher Geltungsbereich. Die Meister sind ja immer nur hier und jetzt.“
In einem von der Onlinezeitung sports.ru veröffentlichten Kommentar von Roman Mun heißt es, das allzu große Selbstvertrauen der DFB-Elf sei erklärbar gewesen, denn diese sei 2014 bereits in die Geschichte eingegangen: „Hatte es aber nach der Partie gegen Schweden den Anschein, dass die wilde Selbstsicherheit den Deutschen am Ende zum Sieg verhalf, so entstand nach den Spielen gegen Mexiko und Korea der deutliche Eindruck, dass Deutschland seine Gegner halt unterschätzt hat.“