Putin und Trump einigen sich in strategischen Fragen – Europäer gucken in die Röhre

Weder faul noch hoffnungsreich findet Alexander Rahr, Projektleiter des Deutsch-Russischen Forums (DRF) den Kompromiss in der Migrationspolitik beim EU-Gipfel in Brüssel. Für ihn ist er der einzig mögliche.

Von Nikolaj Jolkin

Es gibt aus seiner Sicht keinen Sieger und keinen Verlierer. Es gebe nur Fragezeichen für die Zukunft, sagte er im Interview mit Sputnik-Korrespondent Nikolaj Jolkin.

„Frau Merkel hat einen Befreiungsschlag versucht, und die EU-Länder haben sie mehr oder weniger unterstützt, ihr geholfen, das Gesicht nicht zu verlieren. Wenn man aber genau hinschaut, was der Gipfel eigentlich beschlossen hat, da kommt man zu dem Schluss, dass zu 80 Prozent ihr Kontrahent Seehofer gewonnen hat.“

Der Osteuropa-Historiker erläutert:

„Die Beschlüsse zeigen eindeutig Richtung Abschottung der Europäischen Union. Die Außengrenzen der Europäischen Union werden geschlossen, Frontex wird gestärkt, die Sicherheitsorganisation, die die Außengrenzen der EU abschotten soll, soll um Vieles finanziell wie auch materiell verstärkt werden. Und man hat auch beschlossen, Auffanglager für Flüchtlinge in Afrika aufzubauen, was natürlich bedeutet, dass man den Migrantenansturm schon auf dem anderen Kontinent bewältigen will, ohne die Flüchtlinge nach Europa hineinzulassen.“

Deshalb werde es von Seiten der Menschenrechtsorganisationen, so Rahr, „vor allem von den Kräften, die sich für ein anderes Menschenbild eines Werteeuropas einsetzen, harte Kritik hageln. Aber es war die einzige Möglichkeit für Frau Merkel, ihre Macht zu retten. Und diesen schwierigen Kompromiss hat Frau Merkel auf Zeit, weil er nicht lange halten wird, auf Biegen und Brechen doch geschafft.“

Wieso ist EU über Putin-Trump-Treffen besorgt?

Der Russland-Experte meint: „Wenn man die Bevölkerung in den Vereinigten Staaten von Amerika und in der Europäischen Union fragt, dann wird es eine große Zustimmung dafür geben, dass sich die Chefs der beiden wichtigsten Nuklearmächte Russland und USA treffen. Das Treffen war überfällig. Es dient vor allen Dingen dazu, den Frieden auf dem Planeten zu sichern. Das ist alleine deswegen schon als Positivum zu betrachten. Aber es gibt Kräfte in Europa, die Russland für die Ukraine und Syrien bestrafen und es isolieren wollen; die auf Konfrontation mit Russland setzen.“

Alexander Rahr führt weiter aus: „Diese Kräfte befürchten, dass Trump durch sein Treffen mit Putin eine Brücke nach Russland schlagen wird, die dazu führt, dass Amerika und Russland sich über die Köpfe der Europäer in einigen strategischen Fragen einigen werden, und die Europäer dann in die Röhre gucken.“

Die Europäer seien, ist sich der DRF-Programmdirektor sicher, selbst schuld, wenn es dazu komme, „weil sie seit vier Jahren phantasielos eine Sanktionspolitik gegenüber Russland durchführen, ohne einen strategischen Dialog mit Moskau über z.B. die Korrektur des Sicherheitssystems in Europa führen zu wollen. Dieses wäre notwendig, um mit Russland eine Art Modus vivendi hinzukriegen, wie man gemeinsam Sicherheit auf dem europäischen Kontinent machen kann.“

„Trump redete mit dem Nordkoreaner Kim Jong-un nicht über Menschenrechte, wie es Merkel getan hätte“, erinnert Rahr, „sondern bot ihm einen Deal an: US-Investitionen als Gegenleistung für Atombombenverzicht. Das ist der große und epochale Unterschied, den wir in den letzten Monaten zu sehen bekommen, im Vergleich zu der Politik des Westens vor noch wenigen Jahren.“

Trump sei Putin sehr ähnlich, urteilt der Politologe, „wenn er meint, Interessen und nicht irgendwelche Werte bestimmen die Weltpolitik. Der amerikanische Präsident denkt zunächst mal an die nationalen Interessen seines Landes. Putin tut dasselbe in Bezug auf Russland. Sie sparen sich die Zeit im Unterschied zu den Europäern, die lange über Menschenrechtsverletzungen, über Werte und Moral reden, sowie versuchen, anderen Staaten immer wieder zu suggerieren: Wenn ihr unsere europäischen Partner sein wollt, dann müsst ihr auch Demokraten sein, dann müsst ihr auch unseren liberalen Werten folgen.“

Inzwischen sei das alles erodiert, stellt Rahr fest. „Europa hat selbst innerhalb der Europäischen Union große Probleme, diese Einheit der demokratischen Werte zu erhalten und zu definieren. Und zweitens nimmt in der großen Weltpolitik das Bestreben Oberhand, statt Wertepolitik Interessenpolitik zu betreiben. Wenn die Europäer nicht aufpassen und weiterhin nur über Werte reden und die eigenen Interessen zurückstellen, dann werden sie in die Röhre gucken, weil dann die neue Weltarchitektur des 21. Jahrhunderts nicht von den Europäern mitbestimmt wird, sondern alleine von den Amerikanern, den Chinesen, den Indern, den Russen und anderen.“

Das komplette Interview mit Alexander Rahr zum Nachhören:

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