Der Bericht der OPCW ist von Sprache und Inhalt her kompliziert. Er ist zudem in englischer Sprache verfasst und weder Politiker noch Hilfsorganisationen oder Journalisten dürften in der Lage sein, den Inhalt innerhalb kürzester Zeit zu verstehen oder für die Öffentlichkeit verständlich und umfassend zu übersetzen. Eine Bewertung des Berichts erfordert zudem nicht nur Kenntnis der damaligen Ereignisse und Vorort-Kenntnisse des Ortes Duma, es erfordert auch Fachkenntnisse.
Wohl kaum jemand, der Ton angebenden Medien dürfte den Bericht vollständig gelesen und/oder auch verstanden haben. Dennoch produzierten sie Schlagzeilen: „Überwachungsbehörde für Chemiewaffen findet „Chlor-Chemikalien“ in der syrischen Stadt Duma“, hieß es bei der Nachrichtenagentur Reuters. Der arabische Nachrichtensender Al Jazeera (Katar) berichtete, dass ein „Vorläufiger OPCW-Bericht Beweise dafür gefunden (habe), dass Chlorin in Duma eingesetzt“ worden sei. Spiegel-Online, ZDF, tagesschau.de und andere deutschsprachige Medien berichteten weitgehend einhellig unter Berufung auf eine dpa-Meldung, dass die OPCW „Chlorgas-Spuren“ gefunden habe, aber kein „Nervengas“.
Immerhin, „kein Nervengas“, denn bei früheren Berichten hatte es geheißen, dass auch Sarin eingesetzt worden sei. Nicht alle Medien übernahmen die Randnotiz über das „Nervengas“ in der dpa-Meldung und so wurde für die über sieben Jahre hin weitgehend konditionierte Öffentlichkeit mit den Schlagzeilen weitgehend bestätigt, was selbige Medien, westliche Politiker und internationale Hilfsorganisationen bereits unmittelbar nach dem angeblichen Giftgasangriff in Duma im April 2018 behauptet hatten: Erstens, es wurde „Chlorgas“, also Gift in Duma eingesetzt und zweitens, es war das „Assad-Regime“, das bereits früher Giftgas gegen das eigene Volk eingesetzt habe. Drittens hatten wegen dieses angeblichen Giftgas-Einsatzes in Duma die USA, Großbritannien und Frankreich mit mehr als 60 ihrer modernsten Raketen Ziele in Syrien angegriffen. Also muss es das „Assad-Regime“ gewesen sein.
Regierungssprecher Steffen Seibert rechtfertigte damals den Raketen-Angriff zwei Tage später (16. April 2018) in einer Bundespressekonferenz. Es sei die Antwort auf einen „Chemiewaffeneinsatz durch das Assad-Regime in Duma“ gewesen, der sei ein „elementarer Bruch des Völkerrechts“, so Seibert. Der UN-Sicherheitsrat habe den Raketeneinsatz gegen Syrien nicht bewilligt, weil er „durch das russische Veto blockiert worden“ sei. Die Bundesregierung begrüße es daher, dass USA, Großbritannien und Frankreich „mit ihrem Vorgehen gegen Chemiewaffeneinrichtungen des syrischen Regimes Verantwortung übernommen“ hätten.
Dass mindestens eine der zerstörten Anlagen, ein Forschungszentrum in Barzeh (Damaskus), das der Universität von Damaskus angeschlossen ist, regelmäßig von der OPCW auf mögliche chemische Waffenherstellung untersucht worden war, erwähnte Seibert nicht. Auch, dass die OPCW-Waffeninspekteure nie chemische Waffen oder Komponenten zu deren Herstellung in der Einrichtung in Barzeh gefunden hatten, war dem Regierungssprecher nicht der Rede wert. Und die Frage, was mit den Bewohnern von Damaskus und Umgebung nach der Bombardierung geschehen wäre, wäre die Einrichtung tatsächlich, wie behauptet, eine „Chemiewaffeneinrichtung“ gewesen, stellte sich der Regierungssprecher auch nicht.
Am 20. April dann stellte der wissenschaftliche Dienst des Bundestages fest, dass der Militärschlag der USA, Großbritanniens und Frankreichs gegen Syrien völkerrechtswidrig gewesen sei. Die Fraktion Die Linke im Bundestag hatte das Gutachten in Auftrag gegeben. Darin heißt es unter anderem:
„Der Einsatz militärischer Gewalt gegen einen Staat, um die Verletzung einer internationalen Konvention durch diesen Staat zu ahnden, stellt einen Verstoß gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot dar.»
Seitdem wurden sehr viele Informationen veröffentlicht, die die Darstellung von Regierungssprecher Steffen Seibert in Frage stellen. Russische Experten, die den Ort unmittelbar nach den Behauptungen von Chemiewaffenangriffen untersucht hatten, sprachen von einer Inszenierung. Weder Giftgas noch Tote seien an den genannten Orten gefunden worden. Augenzeugen berichteten von einer inszenierten Vorstellung durch die „Weißhelme“, die den Vorwurf eines angeblichen Giftgasangriffs in Duma als erste am 7. April 2018 verbreitet hatten. Ärzte, medizinisches Personal, selbst Personen, die in dem Film zu sehen waren, den die „Weißhelme“ als Beweis verbreitet hatten, schilderten die Geschehnisse völlig anders.
Der am 6. Juli veröffentlichte Zwischenbericht der OPCW beförderte nun tatsächlich auch etwas ganz anderes ans Tageslicht, als die „Weißhelme“, westliche Regierungen, Hilfsorganisationen und die jüngsten Medien-Schlagzeilen behaupteten. An vier Orten waren Proben genommen worden. Giftgaslabore, wie von syrischen Medien behauptet, wurden nicht gefunden. Es wurden überhaupt keine Spuren für Giftgas gefunden.
Unter Punkt 2.5 des 26 Seiten umfassenden Berichts heißt es:
„Die Ergebnisse der Analysen der ausgewählten Proben, die in ausgewiesenen OPCW-Labors untersucht wurden, erhielt die Untersuchungsmission (Fact Finding Mission Team) am 22. Mai 2018. Es wurden keine phosphororganischen Nervengase oder deren Abfallprodukte festgestellt, weder in den Proben, die in der Umgebung genommen wurden, noch in Plasmaproben der angeblichen Todesopfer. Verschiedene chlorierte organische Chemikalien wurden in Proben der Orte 2 und 4 gefunden, mit Überresten von Sprengstoff.“
Die Bedeutung dieser Fundergebnisse wird weiter analysiert.
„Bis heute sind mehr als 1000 natürliche Chlorverbindungen bekannt und daneben viele künstlich synthetisiert worden“, heißt es in einem Vortrag über „Chlorverbindungen im Alltag“. Chlor findet sich demnach in Kunststoffen und in fast allen Desinfektions- und Reinigungsmitteln. Chlor wird vor allem bei der Wasserreinigung eingesetzt. In dem OPCW-Bericht wird von „chlorierten organischen Chemikalien“ gesprochen. Dabei handelt es sich um Stoffe, die in der Industrie, als Lösungsmittel, in Hydraulikölen, Kältemitteln oder in Pflanzenschutzmitteln vorkommen. Ihre Umweltschädlichkeit wird als hoch eingeschätzt.
Unter Berufung auf einen Artikel im Time Magazine berichtete die „Initiative über nukleare Bedrohung“ (NTI) im April 2013, dass die Nusra Front (Al Qaida) im August 2012 die einzige Chlorgas-Fabrik in Aleppo besetzt hätte. Fabrikbesitzer Mohammad Sabbagh sagte, die Fabrik arbeite nicht mehr, doch auf dem Gelände hätten sich etwa 400 Behälter befunden, die jeweils 1 Tonne Chlorgas enthalten hätten.
Die syrische Regierung hatte die Besetzung der Fabrik damals umgehend der UNO und der OPCW gemeldet, um auf die Gefahren hinzuweisen.
Nach dem ersten Auftreten von Chlor- oder Giftgas im Umland von Aleppo (19. März 2013 in Khan al-Assal) wandte die syrische Regierung sich direkt an den UN-Sicherheitsrat, und bat um die Entsendung einer OPCW-Untersuchungskommission. Unterstützt wurde Syrien damals von Russland, doch es dauerte fünf Monate, bis die westlichen Veto-Mächte USA, Frankreich und Großbritannien dem Einsatz – der mit hohen Kosten verbunden ist – zustimmten. Die Waffeninspekteure trafen am 18. August 2013 in Damaskus ein, um sich auf die Fahrt nach Aleppo vorzubereiten. Am 21. August 2013 ereignete sich der große Angriff mit chemischen Waffen im Umland von Damaskus. Die Fahrt nach Khan al-Assal war vergessen, die Inspekteure untersuchten stattdessen, was im Umland von Damaskus geschehen war.
Anders als in Medien und von Teilen der syrischen Opposition behauptet, hat die syrische Regierung den Einsatz der OPCW-Inspekteure immer unterstützt. Jedes Mal, wenn der Vorwurf oder die Vermutung eines Einsatzes mit Chemikalien oder Chemiewaffen laut wurden, wurden die Inspekteure eingeladen, die Orte zu untersuchen. Auch nach dem angeblichen Chemiewaffenangriff in Khan Sheikhun, am 4. April 2017, lud Damaskus die Inspekteure ein, um die Luftwaffenbasis zu untersuchen, wo angeblich syrische Kampfjets die giftige Ladung an Bord genommen haben sollen. Die Inspekteure kamen nicht, verschiedene Staaten im UN-Sicherheitsrat verweigerten das „grüne Licht“ aus Sicherheitsgründen. Ohnehin hatte US-Präsident Donald Trump kurz nach dem Ereignis von Khan Sheikhun die Luftwaffenbasis schon bombardieren lassen.
Erneut wurde dann im April 2018 der syrischen Regierung vorgeworfen, die OPCW-Inspekteure nicht nach Duma zu lassen, wo angeblich Chemiewaffen gegen die Bevölkerung eingesetzt worden seien. Medien berichteten unter Berufung auf Oppositionelle, Russland versuche Beweise verschwinden zu lassen. Und die Frankfurter Hilfsorganisation medico international behauptete, „die syrische Regierung hat eine Untersuchung des Vorfalls verweigert“. Dazu wurde ein Video der Forensic Architects verbreitet, über das Rubikon kürzlich berichtete.
Den Aktivisten von Forensic Architects und von medico international sei empfohlen, den OPCW-Zwischenbericht zu Duma aufmerksam zu lesen. Ab Seite 4 wird beschrieben, wie das OPCW-Team, das vorgesetzte OPCW-Sekretariat, die syrische Regierung und das russische Militär vor Ort zusammenarbeiteten, um die Untersuchung durchzuführen.
Die allgemeine Unsicherheit in Duma war dafür verantwortlich, dass das OPCW-Team erst eine Woche nach Ankunft, am 20. April 2018 seine Arbeit aufnehmen konnte. Minen und Sprengstoffe mussten erst geräumt werden, „Schläferzellen“ der Armee des Islam (Jaish al Islam) wurden in dem Ort vermutet, was erhebliche Sicherheitsprobleme verursachte.
In dem Bericht heißt es: „Am 18. April 2018, während eines Aufklärungsbesuchs an zwei Orten, die untersucht werden sollten, wurde das Sicherheitsteam von einer wütenden Menge gestoppt und aus kleinen Waffen beschossen. Eine Handgranate explodierte. Zwei Personen wurden getötet, eine Person wurde verletzt.“ Auch wegen der hohen UN-Sicherheitsstandards verzögerte sich der Beginn der Untersuchung. In dem OPCW-Bericht werden sie aufgezählt:
- Die Gebiete die von dem FFM Team (Fact Finding Mission) besucht werden sollen, müssen sicher sein.
- Die Gebiete müssen über einen Zeitraum von 24 Stunden vor Beginn der Arbeit gesichert sein.
- Die Zahl der Eskorten und der Vorausteams von UNDSS (United Nations Department of Safety and Security) und der russischen Militärpolizei, die das Gebiet vor der Ankunft des Teams kontrollieren, muss erhöht werden.
- Polizeikräfte müssen eingesetzt werden, um die Bevölkerung zu kontrollieren.
- Die Zahl der Zivilisten, die sich in den zu untersuchenden Gebieten bewegen, muss reduziert werden, weil es möglich sein könnte, dass Selbstmordattentäter in die nächste Nähe des Inspektorenteams gelangen könnten.
- Auf den Dächern der Gebäude, die um die Orte liegen, die untersucht werden sollen, müssen Scharfschützen positioniert werden.
Schließlich sei noch angemerkt, dass der ständige Vertreter Syriens bei der OPCW am 10. April 2018 an das OPCW-Sekretariat geschrieben (Verbalnote Nr. 38) und um die dringende Entsendung eines FFM-Teams gebeten hatte, das die Vorwürfe eines Einsatzes mit giftigen Chemikalien am 7. April 2018 untersuchen sollte.
Obwohl das und vieles mehr in dem vorläufigen OPCW-Bericht vom 6. Juli 2018 nachzulesen ist, haben weder die Bundesregierung noch die Hilfsorganisation medico international noch die Ton angebenden anfangs beschriebenen Medien ihre Darstellung über die Ereignisse am 7. April 2018 in Duma, einem der östlichen Vororte von Damaskus, korrigiert.
Quelle: Rubikon