Beim Nato-Gipfel am 11. und 12. Juli quälte Präsident Donald Trump die Bündnispartner mit Forderungen nach zusätzlichen Militärausgaben und speziell Deutschland mit dem Ansinnen, auf weiteren Gas- und Ölimport aus Rußland zu verzichten. Beim anschließenden Besuch in London stellte Trump öffentlich fest, Ministerpräsidentin May habe den Brexit verbockt und Ex-Außenminister Boris Johnson würde es besser machen – ein beispielloser Affront unter Verbündeten! Im US-Senat hat Trump für diese grobschlächtige Politik keine Mehrheit, die Bündnispartner wissen das und stellen sich den Provokationen mit Vernunft.
Die einvernehmliche Abschlußerklärung des Gipfels hat daher mehr Gewicht als Trumps Radau. Leider ist sie eine bloße Auflistung von 79 Punkten, die kein Teilnehmer ganz gelesen hat. Das beweist Nummer 75, die sogar Gender Mainstreaming als Beitrag zur Funktionsfähigkeit der Nato würdigt. Der Text ist für die Öffentlichkeit zu lang, unstrukturiert und bürokratisch. Mit solchen handwerklichen Fehlern kann sich die Nato nicht überzeugend präsentieren.
Die Nato hält dagegen
Die umfangreichsten Aussagen betreffen die Bündnisverteidigung nach Artikel 5 des Nato-Vertrages. Auslöser ist die Wende der russischen Politik von strategischer Partnerschaft zu sicherheitspolitischer Konfrontation in Europa, von der Intervention in Georgien 2008 bis zur Stationierung gegen uns gerichteter Atomraketen im Raum Königsberg heute.
Die Nato hält dagegen. Politisch ragt die beabsichtigte Aufnahme neuer Bündnispartner heraus. Sie soll das Bündnis geostrategisch absichern und Rußlands Einfluß einschränken. Beitrittsperspektiven haben Staaten auf dem Balkan und am Schwarzen Meer, dort vor allem Georgien – ein mutiger Konter gegen die russische Vormacht am Kaukasus!
Militärisch setzt die Nato auf Abschreckung: Selbst wenn ein Übergriff Rußlands anfänglich Erfolg hätte, sein Ausgang soll unkalkulierbar, das Risiko für die russische Weltmacht zu hoch sein. Dazu werden multinationale Truppenkontingente bei den östlichen Bündnispartnern stationiert, zusammengenommen nicht mehr als eine Heeresdivision wie 1997 unter der „Nato-Rußland-Grundakte“ mit Moskau vereinbart. Sie wirken als „Stolperdraht“, der die ganze Bündnisverteidigung auslöst.
Trumps Vier-Prozent-Forderung ist absurd
Entscheidend bleibt dabei die Fähigkeit zur schnellen Verlegung von Verstärkungskräften innerhalb Europas und über den Atlantik. Sie wird durch höhere Bereitschaftsforderungen sowie Anpassung von Logistik- und Führungsstrukturen weiter gesteigert. Ein neues Hauptquartier in Norfolk/Virginia ist für die Seekriegführung der Nato im Atlantik bestimmt und nimmt eine bis 2003 bestehende Regelung wieder auf.
Vieles davon ist erledigt, in Vorbereitung oder konkreter Planung und mit verfügbaren Haushaltsmitteln realisierbar. Zusätzlicher Finanzbedarf besteht – nicht nur in Deutschland – für die ausreichende Bereitstellung kampfkräftiger Land-, See- und Luftstreitkräfte. Hierfür ist kein Notprogramm nötig, sondern die Schließung von Fähigkeitslücken und ein deutlicher Kampfkraftzuwachs in kommenden Jahren.
Daher war Trumps plötzliche Idee, nicht nur die schon beschlossenen zwei Prozent, sondern vier Prozent des Bruttoinlandprodukts für die Verteidigung aufzuwenden, geradezu absurd: Maßlose Hochrüstung führt zu Rüstungswettlauf, Kaltem Krieg und unkontrollierbaren Konflikten. Und die innenpolitischen Folgen wären nicht beherrschbar.
Das Thema Massenmigration fehlt
Die Nato betont ihr „360-Grad-Konzept“, wonach sie sich nicht nur europäischen, sondern allen möglichen Sicherheitsrisiken für das Bündnis stellt. Afrika und der Nahe Osten werden in der Erklärung erwähnt, ohne die Risiken zu konkretisieren. Vor allem das Thema Massenmigration hätte man aber nicht auslassen dürfen, denn eine ungezügelte Zuwanderung würde die südeuropäischen Bündnisstaaten destabilisieren und in der Folge die ganze Nato schwächen.
Dies ist ein aktuelles, klares und substantielles Sicherheitsrisiko, das die Nato beschäftigen muß, so wie die Aktivitäten Rußlands gegenüber der Ukraine oder im Kaukasus. Mit überzogenen Äußerungen zur Migration nach Europa hat Trump die anderen Teilnehmer verschreckt; dennoch hätten sie die Gelegenheit nutzen müssen, vor allem Afrika als Handlungsfeld für die Nato zu reklamieren.
Sagen, was nötig ist, und handeln
Nato, Europa und Rußland – hier liegt die Nato auf Kurs. Wenn die Bündnispartner ihren Part erfüllen, bleibt das Bündnis für die Zukunft gewappnet. Insoweit war es ein gutes Gipfeltreffen. Aber für den Umgang mit Krisen wie im Nahen Osten und mit dem für uns schicksalhaften afrikanischen Kontinent kam nichts heraus. Nur: Aussitzen hilft nicht, man muß sagen, was nötig ist, und handeln.
Nach dem Gipfel – und dem mißlungenen Besuch in Großbritannien – reiste Präsident Trump zum Treffen mit Präsident Wladimir Putin nach Helsinki. Im Vorfeld befürchteten viele, Trump würde einseitige sicherheitspolitische Zugeständnisse machen und die einvernehmliche Gipfelerklärung aushebeln. Dies blieb aus. Abgesehen von peinlichen Diskussionen in der Pressekonferenz über die amerikanische Innenpolitik, ausgelöst durch US-Journalisten, ist das Fazit: Die USA und Rußland wollen ihr Verhältnis verbessern und, wo immer dies möglich ist, Dissens überwinden, Konflikte kooperativ lösen. Das ist dringend nötig.
Quelle: Junge Freiheit