Wahlen in Pakistan: Zwischen Häftling und Hoffnungsträger

Pakistan wählt: Ein Land, in dem der Expremier im Gefängnis sitzt, Armee und Geheimdienst im Hintergrund agieren und leere Versprechungen die Regel sind — von Thomas Berger.

Quelle: KFW

Am 25. Juli wird in Pakistan das Parlament neu gewählt. Von den rund 200 Millionen Einwohnern sind knapp 106 Millionen von der Wahlkommission als Stimmberechtigte eingetragen.

Von Junge Welt.

Das sind fast 19 Millionen oder 23 Prozent mehr als bei den vorigen Wahlen vor fünf Jahren. 3.459 Kandidaten bewerben sich um 272 Sitze im nationalen Parlament (60 sind zusätzlich für Frauen, zehn für religiöse Minderheiten reserviert) – im Schnitt sind das 13 pro Wahlkreis, in einigen Fällen sogar deutlich mehr als 20. Weitere knapp 8.400 Frauen und Männer kämpfen um die 577 Mandate in den Regionalparlamenten der vier Provinzen Sindh, Punjab, Belutschistan und Khyber-Pakhtunkhwa. Das mag viel erscheinen, stellt aber gegenüber 2013 sogar einen Rückgang um rund ein Viertel dar. Die Jugend stellt eine besonders umworbene Gruppe dar – 2016 waren 59,9 Prozent der pakistanischen Bevölkerung unter 30 Jahre alt – und dürfte am stärksten an Veränderungen interessiert sein, da sie zu den bisherigen Repräsentanten des politischen Systems keinerlei Verbindungen unterhält.

Pakistan steht am Scheideweg. Auf der einen Seite hat Oppositionsführer Imran Khan, der sich als Volkstribun geriert, dieses Mal die größten Chancen auf einen Wahlsieg. Auf der anderen Seite kämpft die Sharif-Familie, die das Land über weite Strecken in den vergangenen drei Jahrzehnten dominiert hat, um ihr politisches Überleben. Ihre Hauspartei, die konservative Pakistanische Muslimliga – Nawaz (PML-N), befindet sich in der vielleicht schwierigsten Phase ihrer Geschichte. Absetzbewegungen werden sichtbar, seit der langjährige Parteiführer Mian Nawaz Sharif und seine als politische Erbin aufgebaute Tochter Maryam am 6. Juli von einem Gericht zu Haftstrafen von zehn bzw. sieben Jahren verurteilt wurden. Teile der PML-N schweißt der Skandal, der als abgestimmte Intrige des politischen Gegners im Bündnis mit führenden Kreisen der Armee und Vertretern der Justiz gesehen wird, stärker denn je zusammen. Andere bemühen sich, das vermeintlich sinkende Schiff noch rechtzeitig zu verlassen.

Fakt ist: Das Gerichtsurteil so kurz vor dem Wahltermin hat noch einmal Öl ins Feuer gegossen. Im Frühjahr 2017 hatten die Ermittlungen im sogenannten Panamagate-Fall gegen Nawaz und seine Familie begonnen. Am 28. Juli 2017 zwang der Oberste Gerichtshof den Premier zum Rücktritt, knapp ein Jahr später folgte nun das Urteil mit der Haftstrafe. Doch so einfach, dass jetzt der »Saubermann« Imran Khan mit seiner Pakistanischen Gerechtigkeitspartei (Pakistan Tehreek-e-Insaf, PTI) antritt, um das Land endgültig von der Vorherrschaft der korrupten Sharif-Clique zu befreien, wie es einige gern darzustellen versuchen, ist die Lage nicht. Vielfältige Interessen, fragwürdige Allianzen und manche Strippenzieher im Hintergrund sind da am Werk.

Der »Löwe des Punjab«

Wer die gegenwärtigen Verwerfungen in der pakistanischen Politik verstehen will, muss in der Geschichte zurückgehen. Pakistan, ein Spaltprodukt bei der Teilung der vormaligen Kronkolonie Britisch-Indien 1947, brauchte lange, um tatsächlich halbwegs zu einer Nation zusammenzuwachsen. 1971 gewann mit indischer Hilfe das heutige Bangladesch, vormals Ostpakistan, seine Eigenständigkeit.

Aber auch die nach der Trennung von den Bengalen verbliebenen ethnischen Gruppen der Sindhis und Punjabis sind sich teilweise bis heute nicht grün. In Belutschistan gibt es eine starke separatistische Bewegung, und in Khyber-­Pakhtunkhwa spielen zahlreiche widerstreitende Stammesinteressen eine Rolle. Zusammengehalten wurde das Staatsgebilde von Anfang an nur durch den gemeinsamen Glauben an den Islam, der indessen unterschiedlich ausgelegt wird, was für regelmäßige Konflikte sorgt: nicht nur zwischen Sunniten und Schiiten, die sich über Jahre hinweg vor allem in der größten Metropole Karatschi wiederholt auf offener Straße bekriegten und einander umbrachten, sondern auch zwischen liberalen, weltoffenen Muslimen, der mystischen Strömung des Sufismus und einer radikalen Glaubensinterpretation, die Bewegungen wie den äußerst heterogenen pakistanischen Taliban (TTP) Zulauf verschafft. Und auch der »Islamische Staat« mischt mittlerweile als neuer Akteur mit.

Demokratische Institutionen blieben in dem islamischen Land lange schwach, immer wieder ergriff das Militär die Macht. Zuletzt war dies beim Putsch des damaligen Armeechefs Pervez Musharraf 1999 der Fall. Sein Kontrahent war der damalige Regierungschef Nawaz Sharif, den der General nach seiner Machtübernahme ins Exil schickte: den gleichen Mann, der seit Ende der achtziger Jahre bis zu seinem erneuten Sturz im vergangenen Jahr allen Turbulenzen zum Trotz immer eine Konstante im politischen Leben Pakistans war – sei es in Regierungsverantwortung oder als Führungsfigur der Opposition.

Nawaz, 1949 und somit zwei Jahre nach der Unabhängigkeit geboren, entstammt einer führenden Industriellenfamilie, die schon in der Startphase des jungen, fragilen Staates enorme ökonomische Macht angehäuft hatte. Sein Vater drängte seinen Sohn vor vier Jahrzehnten zum Gang in die Politik. Nawaz wurde zum Gegenspieler des linkssozialdemokratischen Premiers Zulfikar Ali Bhutto, zum Gegner von dessen Politik einer Verstaatlichung der Wirtschaft, von der auch und gerade die Geschäfte des Sharif-Clans direkt betroffen waren. Bhutto und seine Pakistanische Volkspartei (PPP) wurden 1977 durch den Putsch des erst kurz zuvor zum Armeechef berufenen Zia-ul-Haq gestürzt, der Expremier 1979 hingerichtet. Massenproteste der PML-N und ihrer Verbündeten gegen die PPP-Regierung hatten die militärische Machtergreifung begünstigt, ihr geradezu die Basis bereitet. Unter dem neuen Diktator in Uniform, der schließlich bei einem Flugzeugabsturz unter ungeklärten Umständen ums Leben kam, stieg Nawaz als Finanzminister des Punjab erstmals in ein höheres Amt auf. Bei der Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen 1990 erlangte seine Muslimliga den Wahlsieg, und Nawaz wurde zum ersten Mal Regierungschef. Mit der PPP, lange Zeit die zweite dominierende Kraft der zivilen Politik, verbündete er sich später zeitweise gegen die Musharraf-Herrschaft. Doch in den vergangenen Jahren hat sich der ehemalige Kricketstar Imran Khan mit der von ihm als politische Erneuerungsbewegung gegründeten PTI Platz zwei im politischen Spektrum gesichert. Er war es, der seit Ende 2016 die Kampagne zum Rücktritt von Nawaz Sharif als Premier anführte und der am lautesten jubelte, als der Oberste Gerichtshof das vorläufige Ende der Karriere des lange machtvollsten Politikers besiegelte.