Nowitschok-Vergiftung von Salisbury ist immer noch eine Geheimnis

Bis heute gibt es kaum offizielle Infos zu den Nowitschok-Vergiftungen von Salisbury. Offenbar gab es schwere Versäumnisse der britischen Geheimdienste.

 

 

Unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen ist das Nowitschok-Opfer von Salisbury beigesetzt worden. Dawn Sturgess war zu Monatsbeginn offenbar das verspätete Opfer eines mysteriösen Anschlags mit dem chemischen Kampfstoff, der dem russischen Überläufer Sergej Skripal gegolten hatte.

Das Übergangsheim für Obdachlose mitten in dem südenglischen Städtchen, in dem das Mordopfer zuletzt gelebt hat, ist nach Abschluss der kriminaltechnischen Untersuchung wieder geöffnet. Die Spurensuche in einem hübschen Park am Ufer des Avon-Flusses geht hingegen weiter. Dort hatte Sturgess den letzten Abend vor ihrer Vergiftung mit ihrem Lebensgefährten den Sommerabend genossen, ehe sie gemeinsam zu Charlie R.s Wohnung im zwölf Kilometer entfernten Amesbury fuhren.

Am nächsten Morgen habe er seiner «wunderbaren» Freundin ein Geschenk gemacht, berichtete der sichtlich mitgenommene 44-Jährige britischen Medien. In den Tagen zuvor hatte der registrierte Heroinsüchtige in Salisbury – «wo genau, weiß ich nicht» – eine «teuer aussehende» Parfümflasche in einer original wirkenden Verpackung gefunden. Sturgess öffnete den Flakon, sprühte sich den Inhalt auf die Innenseiten der Handgelenke und verrieb ihn. Bereits 15 Minuten später habe sie über Kopfschmerzen geklagt, berichtet R.: «Kurz darauf fand ich sie voll bekleidet in der Badewanne, ich rief den Krankenwagen.»

Ölige Substanz

Er selbst habe an der Flasche gerochen. Da die Substanz aber nicht nach Parfüm roch und sich ölig anfühlte, habe er sie sofort abgewaschen. R. wurde später selbst ins Kreiskrankenhaus Salisbury gebracht, konnte aber nach drei Wochen entlassen werden. Sturgess starb acht Tage nach ihrer Einlieferung.

Die schrecklichen Ereignisse wirkten wie die Kopie eines unwirklichen Zwischenfalls Anfang März. Damals waren auf einer Parkbank mitten in Salisbury der von Großbritannien aus russischer Haft freigekaufte Überläufer Sergej Skripal, damals 66, und seine 33-jährige Tochter Julia bewusstlos aufgefunden worden. Beide haben den Anschlag überlebt, öffentliche Erklärungen dazu blieben bis heute aus.

Das örtliche Spital war gut auf den Umgang mit Kampfstoffen vorbereitet, weil Salisbury nur je zehn Kilometer vom ABC-Labor Porton Down sowie von der ABC-Ausbildungsstätte der britischen Streitkräfte entfernt liegt. Bei dem Städtchen handele es sich um «den wichtigsten militärischen Knotenpunkt Südenglands außerhalb Londons», sagt der Geheimdienstexperte Anthony Glees, Politikprofessor an der Buckingham-University.

Haus bar bezahlt

Dass Skripal ausgerechnet dort 2011 für eine sechsstellige Summe in bar ein Haus erwarb, könnte darauf hindeuten, dass er auch weiterhin geheimdienstlich tätig war. Im Fall der Skripals war Nowitschok offenbar auf die Türklinke von Sergejs Haus geschmiert, wie sich den spärlichen Informationen der Kripo entnehmen lässt. Die restriktive Informationspolitik dürfte daran liegen, dass der Fall gefährliche Sicherheitslücken offenbart hat.

So hielt der Inlandsgeheimdienst MI5 den Ex-Angehörigen des russischen Militärdienstes GRU und Doppelagenten für den britischen MI6 offenbar für ungefährdet. Dabei hatten GRU-Spezialisten bereits seit 2013 den E-Mail-Verkehr von Julia Skripal überwacht, wie der nationale Sicherheitsberater Mark Sedwill im April der Nato mitteilte. Die Abhörzentrale GCHQ sucht mittlerweile per Anzeige nach russischsprechenden Mitarbeitern.

London machte schon früh Moskau für den Anschlag verantwortlich; die Vorwürfe führten zur Ausweisung von 140 russischen Diplomaten durch Großbritannien und seine Verbündeten und die gleiche Anzahl westlicher Diplomaten aus Russland.