Bis zu 500 Kilometern Reichweite, unberechenbare Flugbahn und höchste Präzision – es gibt Raketensysteme, die gelten als Russlands gefährlichste Nahkampfwaffe. Im Verbund mit anderer Technik schützen sie die russische Küste.
Die Nato hat den Iskander-Raketen den Codenamen „Stone“ gegeben. Recht hat die Allianz: Gut gezielt und stark geworfen kann ein Stein empfindlich, mitunter tödlich treffen. Genau darauf ist das operativ-taktische System „Iskander-M“ ausgelegt. Es soll Kleinziele punkgenau bekämpfen: Raketen- und Artilleriestellungen, Leitzentralen, Kommunikationsanlagen, Flugzeuge und Hubschrauber auf dem Flugfeld etc.
Seit 2006 steht das System der russischen Streitmacht zu Diensten. Hinter dem Baikal und an der Pazifikküste, am Finnischen Meerbusen und im Süden Russlands sind die Raketen stationiert. Und seit letztem Winter – als Reaktion auf die Verstärkung des Nato-Kontingents in Polen und dem Baltikum – auch in Kaliningrad.
Ach, ja: In Syrien haben die Iskander-Raketen auf IS*-Stellungen überzeugend eingewirkt. Dabei sind diese Systeme nicht allein dafür geeignet, Bodenziele zu bekämpfen: Seeziele treffen sie nicht minder genau, wie die russischen Soldaten des Militärbezirks Süd neulich bei einer Übung demonstriert haben.
Seine Raketen kann das operativ-taktische System „Iskander-M“ einzeln verschießen – oder in einer Doppelsalve: Ein maßgeblicher Vorteil gegenüber den Vorgängern „Totschka“ und „Oka“. Innerhalb von nur vier Minuten kann die Startrampe aus der Marsch- in die Kampfstellung versetzt werden.
Die einstufige Festtreibstoffrakete, die mit dem „Iskander-M“ verschossen wird (Bezeichnung: 9M723), wird in Stealth-Technologie gefertigt. Im Flug ist sie jederzeit lenkbar, manövriert permanent bei einem Flugtempo von über 2.000 Stundenkilometern. Der rund 500 Kilogramm schwere Gefechtskopf ist konventionell, aber je nach Einsatzzweck flexibel: Cluster-Munition, panzerbrechende Geschosse, Brandmunition und viele andere mehr.
Donnerblitz gegen Zerstörer
Bei Bedarf kann das Iskander-System auch Anti-Schiffs-Raketen verschießen, die P-500 „Kalibr“. „Die Rakete von Iskander-M hat eine quasiballistische Flugbahn, sie trifft jedes Bodenziel. Mit den Lenkwaffen ‚Kalibr‘ kann sich das System auf Seeziele neu profilieren“, sagt der Militärexperte Alexej Leonkow.
Mit den „Seezielen“ sind etwa die US-Zerstörer der Arleigh-Burke-Klasse gemeint – die mit den Tomahawk-Raketen an Bord. Außerdem sind sie in die „Aegis“-Raketenabwehr eingebunden. Zusammen mit den Ticonderoga-Kreuzern bilden sie die Plattform für die erste Angriffswelle, um den Gegner zunächst zu entwaffnen.
Eine „Kalibr“ ist wie eine „Iskander“ auch eine Kurzstreckenrakete, mit einem Aktionsradius von bis zu 500 Kilometern. Beim Zielanflug beschleunigt sie auf die dreifache Schallgeschwindigkeit.
„Sie fliegt tief, fünf bis zehn Meter über der Wasseroberfläche – da haben Abwehrsysteme des Schiffes keine Möglichkeit“, sagt der Militärexperte Leonkow. „Je nach Gefechtskopf erfüllt die Rakete unterschiedliche Aufträge: Der kleinere ist gegen die Zerstörer, der größere gegen die Kreuzer.“
Eine Lösung im Verbund
In der Anti-Schiffs-Version sind die Iskander-Anlagen eine gute Ergänzung zu russischen Küstenschutzraketen. Die Abwehrraketen „Bal“ zum Beispiel, auch sie können Zerstörer und Kreuzer bekämpfen, müssen die Schiffe dafür aber näher an die Küste ranlassen: die Reichweite beträgt nur 120 Kilometer.
Die mobile Startrampe verschießt Ch-35-Raketen, einzeln oder in einer Salve – dann werden 32 Raketen abgefeuert, alle drei Sekunden eine. Das „Nachladen“ dauert 30 bis 40 Minuten.
Schwerer und stärker ist das Küstenschutzsystem „Bastion“. Das hat aber auch einen schwereren Job: Flugzeugträgerverbände, Schiffskonvois usw. sind dessen Ziel. Bewaffnet wird es mit den „Oniks“-Raketen.
Sie fliegen in 14 Kilometern Höhe und gehen erst im unmittelbaren Zielanflug auf fünfzehn bis zehn Meter runter. Der 300-Kilogramm schwere Gefechtskopf erledigt den Auftrag.
„Bis zu 600 Kilometer Küste kann das ‚Bastion‘-System gegen schwerste Kampfschiffe verteidigen. Setzt man alle verfügbaren Raketensysteme im Verbund ein, entsteht ein massiver gestaffelter Küstenschutz“, sagt der Militärexperte Leonkow.
Nicht zu vergessen ist die Küstenartillerie, die auf kürzester Distanz eingesetzt wird. Diese Truppe ist wichtig, wenn der Gegner bei Landeoperation nicht mit großen Schiffen an die Küste heranfährt, sondern aus der Ferne kleinere Landungsschiffe und Amphibienfahrzeuge zum Anlanden schickt.
Wegen geringer Größer, relativ hohem Tempo und Agilität sind sie schwer zu orten und noch schwerer zu bekämpfen. In dieser Situation muss das „Mutterschiff“ der Landetruppen durch präzise Artillerieschläge versenkt werden, um die gesamte Operation zu vereiteln.
Aber auch Landungsschiffe kommen selten allein, sondern werden von Kampfschiffen begleitet. „Wird ein ganzer Schwarm von Raketen unterschiedlichen Typs abgefeuert – die ‚Kalibr‘, die Ch-35, die ‚Oniks‘ – dann wird es für den Gegner umso schwerer, sie abzufangen. Der Küstenschutz wird wirkungsvoller, aber auch flexibler“, so der Militärexperte Leonkow.
* Islamischer Staat (auch IS, Daesh) – eine in Russland verbotene Terrorvereinigung
Quelle: Sputnik