Handelskonflikte, Zollstreits, Dispute in der Nato: Die transatlantischen Beziehungen stehen derzeit stark unter Druck. Unter Präsident Trump gibt es zudem eine Hinwendung der USA zu anderen Mächten wie Russland. Befindet sich die „alte Weltordnung“ am Ende? Wo ist das „gute Verhältnis“ zwischen USA und Europa geblieben? Sputnik auf Spurensuche.
Sind die transatlantischen Beziehungen erst seit Trumps Amtsantritt Anfang 2017 in die Krise geraten? Oder gab es schon davor Risse und Verwerfungen im Verhältnis zwischen den USA und der Europäischen Union (EU)? Für die Mainstream-Medien scheint der Fall klar. „Trump will die Weltordnung zerstören“, titelte die „FAZ“ vor wenigen Tagen. Eine „Zerstörung der liberalen Weltordnung“ glaubt die „Zeit“ zu erkennen. Und die „Welt“schreibt: „Die Europäer sind geradezu hysterisch in der Verachtung des amerikanischen Präsidenten und seiner Taten.“ Fast täglich „verunglimpfen sie ihn und warnen vor dem Weltuntergang, den Trump auslösen werde“.
Doch Trump ist weder der Bringer eines Weltuntergangs noch der alleinige Grund für die derzeitigen Spannungen im transatlantischen Verhältnis. Das sagen Analytiker, die tiefer forschen. Zu ihnen gehört der Politologe Erhard Crome. Er sagt, Trump sei nicht die Ursache, sondern letztlich das Ergebnis aktueller Verwerfungen in der Weltpolitik – sowie der US-Innenpolitik.
„Der Kern der transatlantischen Beziehungen ist eine geopolitische Verbindung zwischen den USA und den wichtigsten Staaten Westeuropas“, sagte der Berliner Politikwissenschaftler in einem früheren Studio-Interview für Sputnik. Da sich geopolitische Konstanten seit Jahrzehnten, seit Ende des Kalten Kriegs verschieben, „haben wir es jetzt mit einer Phase zu tun, in der offensichtlich eine Relativierung stattfindet“. Und in der agiere Trump so, wie er es eben müsse.
Alte Risse in EU-US-Beziehungen
Risse in der westlichen Staatengemeinschaft waren schon unter Trumps Vorgänger, Barack Obama, deutlich zu erkennen. Dessen außenpolitische Linie war stark auf den Pazifik-Raum und Ostasien ausgerichtet („pivot to Asia“). Darunter würden dann auch immer die Beziehungen Washingtons zu anderen Machtzentren der Welt leiden, sagen Wirtschafts-Experten.
Die Vereinigten Staaten haben sich im ersten Amtsjahr Trump „von ihren westlichen Verbündeten entfremdet“, zeigt eine aktuelle Studie des ifo-Instituts in München. Die Studie des liberalen Wirtschaftsinstituts hat dazu das Abstimmungsverhalten in der UN-Generalversammlung untersucht. Viele Länder hätten – insbesondere bei wirtschaftlichen Fragen – nicht im Einklang mit den USA gestimmt. „Zu vermuten ist“, warnen ifo-Experten vor einer weiteren Verschärfung der Krise, „dass der gegenwärtig von Donald Trump angezettelte Handelskrieg zu einer weiteren Entfremdung zwischen den Vereinigten Staaten und den westlichen Verbündeten führt.“ Vor allem im ökonomischen Bereich.
Weltwirtschaft im Umbruch: Faktor für Krise
„Tatsächlich hat die Globalisierung die innere Struktur der USA tiefgehend verändert“, schreibt der Ost-Berliner Politologe Crome in seinem Buch „Trump und die Deutschen“. „Die Abhängigkeitsverhältnisse haben sich umgekehrt; mit den riesigen dauerhaften Handels-Defiziten sind die USA von der übrigen Welt stärker abhängig als umgekehrt.“
Das sei der entscheidendere Hintergrund für den Bruch der transatlantischen Beziehungen. Tatsächlich suche Trump seine Ziele „nicht wahllos“ aus, sondern nur die Zentren, die ihm wirtschaftlich am gefährlichsten werden könnten. Die aktuellen „Ziele“ der US-Wirtschaft sind China und die EU, vor allem Deutschland. Trump verschärfe die kapitalistische Konkurrenz. „Die Entwicklung der Weltwirtschaft hat dazu geführt, dass die international agierenden Unternehmen des Westens immer öfter um die Aufteilung eines kaum noch wachsenden Wirtschaftsvolumens konkurrieren müssen.“
Das Polit-Magazin „Politico“, das den US-amerikanischen Eliten nahesteht, berichtet: „Für Trump, der seine Ansichten über Handel und Wirtschaft oft als Nullsummenspiel ausdrückt, kann seine Freundlichkeit gegenüber einem Land oder einer Region daran gemessen werden, inwieweit sie als wirtschaftliche Bedrohung für die USA angesehen werden.“
Trump vermische ständig politische und ökonomische Interessen, zitiert die „taz“ in einem aktuellen Beitrag eine Wirtschafts-Expertin. Doch dass es nicht Trumps Handlungen allein sind, sondern dass es auch an der Wettbewerbs-Logik des gegenwärtigen Wirtschaftssystems liegt, zeigt der Philosoph Elmar Treptow. „Zu Kämpfen (…) kommt es regelmäßig nicht nur innerhalb der kapitalistischen Länder, sondern auch zwischen den Ländern (…). Alle Nationen sind zwar formal gleichberechtigt, aber die großen und reichen Nationen sind die Mächte, die sich in den Konfrontationen auf dem Globus durchsetzen.“ Das schrieb Treptow 2012 in seinem Buch „Die widersprüchliche Gerechtigkeit im Kapitalismus“.
Krisen-Faktor: US-Eliten versus „altes Europa“
Die Einschätzung, dass der Westen strukturell, also nicht erst seit Trumps Präsidentschaft, in der Krise ist, teilt auch der Schweizer „Tagesanzeiger“.
„Trump beschleunigt das Ende des euro-amerikanischen Bündnisses, doch er ist nicht die Ursache dafür“, schreibt die Tageszeitung aus Zürich. „Das Fundament bröckelt schon lange. Das beginnt bei den alten amerikanischen Eliten. Seit dem in Europa verhassten Irak-Krieg von George W. Bush sind weite Teile der amerikanischen Konservativen überzeugt, dass Europa ein alter, müder Kontinent sei, geschwächt und ausgehöhlt von den angeblichen Verheerungen des Sozialismus und – neuerdings – der Masseneinwanderung.“
Die Eliten in Europa wiederum nahmen und nehmen laut der Zürcher Zeitung die Entwicklungen in den USA „nicht sehr ernst“. Die Zeitung schreibt: „Man verließ sich lange darauf, dass die Amerikaner schon wüssten, was sie an der Beziehung zu ihrem Mutterkontinent hätten.“ Ähnliches lasse sich über die europäische Jugend sagen. „Eine ganze Generation von jungen Europäern – jene, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 politisiert wurden – kennt die USA vor allem als Dystopie: Amerika, das ist Guantanamo und Abu Ghraib, das sind Drohnenmorde, NSA-Überwachung und Schulmassaker.“
„Abwärtsspirale“: Transatlantiker über Europa
Vor allem US-amerikanische Transatlantiker scheinen sich für eine tiefergehende Analyse der Ursachen des derzeitigen inner-westlichen Bruches eher wenig zu interessieren. Deren Zielscheibe der Kritik heißt meist: Donald Trump. So zitiert das transatlantisch geprägte Brookings Institut, eines der führenden Think Tanks der USA, den einflussreichen US-Politologen Robert Kagan. Der behauptet, Trump würde „die liberale Weltordnung zerstören“.
Aber das derzeitige Europa, sprich Brüssel, sei zu schwach, um das zu verhindern. Denn die EU befände sich selbst in einer Krise. Er beschrieb die transatlantische Partnerschaft als in einer „Abwärtsspirale“ befindlich. Der Politikwissenschaftler argumentiert mit Blick auf den russisch-amerikanischen Staatsgipfel in Helsinki, „Trump und Putin sind eigentlich Verbündete, mit dem gemeinsamen Ziel, die liberale Weltordnung zu zerstören“.
Kagan ist mit der US-Diplomatin Victoria Nuland verheiratet, die weltberühmt wurde durch ihren geleakten Satz „Fuck The EU“. Schon damals wurde offenbar, wie die US-Führung auf ihre europäischen „Partner und Alliierten“ herabschaut.
Das US-Polit-Magazin „The Atlantic“ – seit jeher ein transatlantisches Sprachrohr – behauptet, der amtierende US-Präsident habe keine außenpolitische Philosophie oder Linie. Das Magazin zitiert den renommierten Polit-Analytiker Thomas Wright. Der Direktor des „Center on the US and Europe“ am Brookings Institut sagt, Trump „verabscheut die liberale internationale Ordnung“ und würde sogar politisch gegen sie arbeiten. Ebenso würde Trump keine militärischen Bündnisse wie die Nato mögen – und sogar gegen die westliche Allianz arbeiten. Deutliche Belege dafür liefert der Politik-Experte allerdings nicht.
„Das heißt im Klartext“, schreibt der Politologe Ullrich Mies für das kritische Online-Magazin „Rubikon“, dass „diese Gruppe von ‚Experten‘, um deren Rat niemand gebeten hat, Deutschland und der EU eine ‚besondere Verantwortung‘ für das Überleben der ‚liberalen Weltordnung‘ zuweisen möchte“.
„Trump twittert Weltordnung kaputt“: Deutsche Transatlantiker
Dass deutsche Transatlantiker, darunter auch Mitglieder der Bundesregierung, Alarm schlagen, zeigen folgende Reaktionen.
„Ich glaube, der Ordnungsrahmen auf der Welt verschiebt sich“, sagte Angela Merkel (CDU) auf der letzten Bundespressekonferenz der Kanzlerin im Juli in Berlin. Es sei für Deutschlands Zukunft nicht mehr gesichert, ob die USA immer noch als globale Schutzmacht auftreten. „Dennoch ist die transatlantische Zusammenarbeit, auch mit dem US-Präsidenten, zentral für uns. Ich werde sie auch weiter pflegen.“ Das versprach Merkel.
Einer ihrer Kollegen im Kabinett, Außenminister Heiko Maas (SPD), meinte, Trump twittert die alte Weltordnung kaputt. Cem Özdemir, Außenpolitiker von den Grünen, bezeichnete die aktuelle US-Außenpolitik gar als „erratisch und gefährlich.“ Der euro-atlantische Riss scheint im Bewusstsein vieler Entscheidungsträger und Politiker angekommen.
Neue Weltordnung: Chancen für Russland und China
Der Bruch im westlichen Lager ist vorhanden. Er wurde jedoch nicht durch Trump ausgelöst. Auch wenn dessen Politik-Stil sicherlich nicht dazu beiträgt, dass der Riss bald geschlossen werden wird. Die weltpolitischen Probleme werden nicht kleiner für den schwächelnden Hegemon USA. „Am Anfang des 21. Jahrhunderts befinden wir uns in einer Phase des hegemonialen Übergangs“, schreibt Crome: „Sie ist durch den Abstieg der USA als globale Hegemonialmacht gekennzeichnet.“
Seit einigen Jahren engagieren sich aufsteigende Mächte wie Russland und China in multilateralen Organisationen und Bündnissen, die nicht „westlich-liberal“ geprägt sind. Darunter fallen die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) sowie die asiatische „Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit“ (SOZ, englisch: SCO). In letzterer sind Staaten zusammen geschlossen, die 40 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren.
Politik-Experte Crome zeigte sich im Studio-Gespräch mit Sputnik überzeugt, dass die jetzige Phase für Moskau und Peking Chancen biete, sich weltpolitisch neu zu positionieren. „Zunächst einmal sind die BRICS als auch die SCO einfach eine Folge der Verlagerung des weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Schwerpunktes nach Asien“, erklärte er.
„Wenn Hegemonialordnungen wechseln, ist es immer eine Zeit von Unsicherheiten und Instabilitäten. Bis zu dem Moment, an dem sich dann die neue Ordnung herausgebildet hat.“ Die neue Weltordnung müsse auf dem Völkerrecht gründen. Das forderte der frühere Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie Mit-Herausgeber der „WeltTrends“, Erhard Crome. Sonst könne kein globaler Frieden garantiert werden.
Quelle: Sputnik