Nach Jahrzehnten der Blockfreiheit: Westbalkan wird zur NATO-Basis

Jugoslawien wollte nach der verheerenden Zerstörung durch den Zweiten Weltkrieg keinem Block angehören. Tito initiierte in Belgrad die 1961 unterzeichnete Gründungsakte der Bewegung der Blockfreien-Staaten. Heute kontrolliert die NATO weitgehend den Balkan.

von Zlatko Percinic

 

 

Von knapp 16 Millionen Einwohnern (Stand 31. März 1941) im ehemaligen Königreich Jugoslawien kamen in den vier Jahren des Zweiten Weltkrieges auf dem Balkan etwa 1.023.000 Menschen ums Leben. Die Kämpfe konzentrierten sich auf das spätere Zentraljugoslawien, also auf das Gebiet des heutigen Bosnien und Herzegowina und Teile Serbiens und Kroatiens. Für den Partisanenkämpfer und späteren Staatsgründer der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, Marschall Josip Broz «Tito», war es klar, dass sich Jugoslawien unter allen Umständen aus den Großmachtbestrebungen irgendeines Blocks heraushalten müsse.

Aus diesem Grund warben Tito und der indische Ministerpräsident Jawaharlal Nehru bei anderen Ländern, die sich aus dem West-Ost-Konflikt heraushalten wollten, um einen eigenen Pakt. Im indonesischen Bandung trafen sich 1955 zum ersten Mal Abgesandte aus 23 asiatischen und sechs afrikanischen Ländern. 1961 wurde schließlich in der jugoslawischen Hauptstadt Belgrad die Gründungsakte der Bewegung der Blockfreien-Länder unterzeichnet. Heute gehören insgesamt 120 Länder der Bewegung an und 17 Länder verfügen über einen Beobachterstatus. Das bedeutet, 137 von insgesamt 193 UN-Mitgliedsländern haben kein Interesse an den Machtspielen irgendeines Blocks. Das sind immerhin fast 71 Prozent aller Länder dieser Welt.

Nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens und den Balkankriegen der 1990er Jahre hat sich dieses Bild dramatisch verändert. Ein Land nach dem anderen folgte den Lockrufen in die transatlantische Allianz NATO und entschied sich dadurch klar für eine bestimmte Seite.

Mit der Bombardierung Serbiens und der Unterstützung der militanten kosovarischen Organisation UCK trat die NATO selbst zum ersten Mal unter der Führung von Bill Clinton und Tony Blair unter Missachtung des Völkerrechts als Aggressor auf. Seitdem ist das Kosovo zu einer Art Protektorat der NATO geworden, welches nahezu vollkommen auf ausländische Hilfe in jeglicher Hinsicht angewiesen ist. Die USA errichteten mit Camp Bondsteel die zweitgrößte Militärbasis in Europa, welche auch einen Teil der NATO-KFOR-Truppe behaust.

Fast zwanzig Jahre lang war diese eigentlich US-amerikanische Militärbasis im Kosovo die einzige ausländische auf dem westlichen Balkan. Das soll sich nun mit einem Schlag ändern.

Albanien

Im April reiste die albanische Verteidigungsministerin Olta Xhacka nach Washington und traf sich mit Pentagon-Chef James «Mad Dog» Mattis. Dort biederte sie sich ihrem US-amerikanischen Amtskollegen regelrecht an:

«Ich möchte Sie gerne freundlich dazu einladen, Albanien als eine Kontaktnation in der Region zu berücksichtigen, […] und wir haben verschiedene Ideen, um unsere Land-, Luft- und Seestützpunkte zur Verfügung zu stellen, aber auch unsere weiteren Möglichkeiten, entweder bilateral mit den USA oder der NATO.

Selbstverständlich wolle Washington auf dieses Angebot von Tirana zurückgreifen, da man — «abgesehen von Russlands Absicht, seinen Einfluss durch destabilisierende Handlungen zu vergrößern, sei es durch ihre Geheimdienste oder Investitionen oder andere hybride Formen oder Medienpropaganda und Stipendien» — auch ein Wachstum in diesbezüglichen Absichten und Interessen aus anderen Nationen wie der Volksrepublik China und dem Iran sehe.

Nur vier Monate später vermeldete Albaniens Ministerpräsident Edi Rama auf Facebook «eine sehr gute Nachricht», nämlich dass die NATO «über 50 Mio. Euro» in die Modernisierung der Kucovës-Air-Base investieren werde. Rama spricht davon, dass diese Investition «als nationale Grundlage für die albanische Luftwaffe» dienen werde, die der gesamten Region wirtschaftliche und soziale Entwicklung bringen werde.

Interessant ist aber, dass die albanische Luftwaffe nicht ein einziges Flugzeug in Betrieb hat. Lediglich 23 Helikopter sind flugfähig und in Verwendung, weswegen wohl auch parallel direkte Gespräche mit dem «strategischen Partner USA» geführt werden, um die Luftstreitkräfte auszubauen. Tirana erwartet, dass der US-Kongress noch in diesem Herbst Gelder und Rüstungsgüter für Albanien absegnen wird.

Abgesehen von der strategischen Bedeutung einer NATO-Basis in Albanien ist die US-Unterstützung dafür wohl auch eine Art Kick-back für die Aufnahme iranischer MEK-Kämpfer, die in einem Deal mit den USA 2013 vereinbart wurde. Selbst im Europaparlament wurde damals eine Debatte darüber geführt, was für eine Gefahr die MEK für Albaniendarstellt. Doch angesichts der zu erwartenden Investitionen in den Aufbau einer Luftwaffe scheint dieses Risiko für die albanische Regierung in einem kalkulierbaren Rahmen zu liegen. Oder die Gefahr wird schlichtweg ignoriert.

Montenegro

Das kleine, gebirgige Land an der Adria ist seit Mitte 2017 ein Mitglied der NATO. Nur wenige Monate danach gab es bereits die ersten Gerüchte, wonach auch in Montenegro eine NATO-Basis gebaut werden soll. Damals hatte der Generalsekretär der Allianz dies noch verneint, allerdings mit dem Vorbehalt, dass sich das ändern könnte, sollte Podgorica darum bitten.

Ganz abgesehen davon, dass sich die Frage regelrecht aufdrängt, weshalb ausgerechnet in einem so kleinen Land wie Montenegro eine NATO-Basis gebraucht wird, ergibt sich auch eine andere, eine praktikablere Frage: Wohin damit?

Wie man auf dieser topografischen Karte von Montenegro erkennen kann, ist das Land sehr gebirgig und verfügt nur im Südosten über ein einigermaßen flaches Gebiet. Dort befindet sich allerdings die Hauptstadt Podgorica, das ehemalige Titograd, wo 151.000 von insgesamt 642.500 Einwohnern leben. Auch der internationale Flughafen befindet sich in diesem Gebiet. Und nur um sich mal ein Bild von der Größe Montenegros zu machen: Was auf dieser Karte wie eine lange Strecke zwischen Cetinje und Podgorica aussieht, sind in Wirklichkeit gerade mal 35 Kilometer. Bis zur albanischen Grenze sind es von der Hauptstadt aus nur 23 Kilometer.

In diesem engen Raum eine NATO-Basis aufzubauen, wäre also ein äußerst schwieriges Unterfangen. Wohin also damit?

Hier kommen die Europäische Union und das Kosovo ins Spiel. Die EU-Kommission will mit ihrer «Strategie für eine glaubwürdige Erweiterungsperspektive» für die Staaten des westlichen Balkans den Geldhahn öffnen. Allein für das Jahr 2018 sind 1,07 Milliarden Euro «im Rahmen des Instruments für Heranführungshilfe» vorgesehen. Das ist nichts weiter als eine gekaufte Entscheidungshilfe für die Regierungen in Montenegro und Serbien. Beide Länder sollen mit unseren Steuergeldern in die EU gelockt werden und im Gegenzug die Grenzstreitigkeiten insbesondere mit dem Kosovo beenden.

Für das Kosovo ist der Weg nach Brüssel noch ein Langzeitprojekt, das der Bevölkerung allerdings über die «Visaliberalisierung» mit der EU – nebst den Milliarden, die die internationale Gemeinschaft ohnehin schon «investiert» hat – schmackhaft gemacht werden soll. Den Euro hat das international noch nicht voll anerkannte Land bereits als Währung eingeführt, obwohl es kein Mitglied der Währungsunion ist. Für ein Land mit 1,8 Millionen Einwohnern und einer Diaspora von schätzungsweise 800.000 bis zu einer Million Kosovaren, hauptsächlich in Westeuropa, ist die Visaliberalisierung ein erster und wichtiger Schritt.

Für die EU-Kommission steht fest, dass Pristina alle Vorgaben der EU erfüllt habe. Dimitris Avramopoulos, Kommissar für Migration, Inneres und Bürgerschaft, ersuchte deshalb das Europäische Parlament «nachdrücklich», den Vorschlag der Kommission zur Aufhebung der Visumspflicht anzunehmen. Dies wäre seiner Meinung nach «nicht nur ein wichtiger Schritt für das Kosovo, sondern für die gesamte Westbalkanregion und für Europa insgesamt».

Dabei spricht Avramopoulos insbesondere das Grenzfestlegungsabkommen mit Montenegro an. Dieses wurde am 21. März 2018 vom kosovarischen Parlament nach Tagen interner Debatten und sogar Tränengasvorfälle innerhalb des Parlaments mit 80 zu 11 Stimmen abgesegnet. Oppositionsführer Visar Ymeri von der Partei Vetevendosje äußerte sich bereits im vergangenen Jahr negativ über die Art und Weise, wie die Regierung in diesem Fall vorgeht:

«So wie die Regierung vorgeht, hat es nichts mit Demokratie zu tun, welche die (Menschen) zu überzeugen sucht, sondern viel mehr mit einer kriminellen Autokratie, die mit Gewalt funktioniert. Denkt nicht einmal daran, das Kosovo zu verkaufen oder wegzugeben!

Was Ymeri mit «das Kosovo verkaufen oder wegzugeben» meinte, war das von der EU geforderte Grenzfestlegungsabkommen mit Montenegro. Was nach einem trockenen Thema klingt, hat für die Menschen des Rugova-Tales enorme Auswirkungen. Ein 8.000 Hektar großes Gebiet soll, wenn es nach dem Willen der Regierungen in Pristina, Podgorica und — mittlerweile auch — Brüssel geht, jetzt den Besitzer wechseln. Die Menschen in diesem Gebiet haben bereits erklärt, dass dieser Entschluss der kosovarischen Regierung einen bewaffneten Aufstand zur Folge haben werde. Die kosovarische Group for Legal And Political Studies kam zum Schluss, dass das Abkommen rechtlich auf wackeligen Beinen steht und damit nur der nächste Konfliktherd auf dem Balkan vorprogrammiert ist.

Diese «Übergabe» von 8.000 Hektar Land eröffnet Montenegro jedoch nun neue Möglichkeiten, den Wünschen der NATO zu entsprechen. Die Bewohner von Mojkovac, einer Kleinstadt an den Ausläufern des Nationalparks Biogradska Gora, haben sich bereits gegen die Pläne ihrer Regierung ausgesprochen, eine neue NATO-Basis zu bauen. Würde man diese aber nun in das «neue» Gebiet verlegen, wäre die Basis abseits der kritischen Blicke der Menschen und näher am italienischen KFOR-Stützpunkt in Peja, der künftigen Grenzstadt zwischen Kosovo und Montenegro. Dort wurde sogar die Hauptstraße in «Straße des Generals Wesley Clark» umbenannt, nach dem ehemaligen NATO-Oberbefehlshaber während der Bombardierung von Serbien.

Außerdem soll in Tivat, einer kleinen Stadt mit knapp 10.000 Einwohnern in der wunderschönen Bucht von Kotor, ebenfalls ein NATO-Stützpunkt für die Marine errichtet werden, wie eine albanische Nachrichtenagentur unter Berufung auf unerkannt bleibende Diplomaten berichtet hat. Die montenegrinische Regierung und die NATO selbst haben diesen Bericht dementiert. Doch für Milan Knežević, einen Oppositionspolitiker der Partei Demokratische Front, steht fest, dass Montenegro zum «Pudel der NATO» geworden ist.

Auch Republik Nord-Mazedonien kann ein NATO-Mitglied werden

Nachdem der Streit zwischen Mazedonien und Griechenland um den offiziellen Namen der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik beigelegt wurde, haben auch deren Beitrittsgespräche zur NATObegonnen. Angesichts der Entwicklung in den anderen Teilrepubliken des ehemaligen Jugoslawiens hegt der russische Botschafter in Mazedonien, Oleg Schcherbak, die Befürchtung, dass auch in diesem kleinen Land ein weiterer Stützpunkt der transatlantischen Allianz gebaut werden könnte.

Wie im Falle Albaniens, wo die NATO einen alten Luftwaffenstützpunkt wieder auf Vordermann bringen will, gibt es in Mazedonien das ehemalige 250 Hektar große Camp Able Sentry der US-Army in der Nähe der Hauptstadt Skopje. Dieses wurde 1992 im Zuge der Balkankriege errichtet und diente der U.S. Air Force während der Bombardierung Serbiens als Drohnenstützpunkt. Seit 2003 unterhielt das Pentagon diese Basis für den Fall der Fälle, sollte es wieder einmal in der Region gebraucht werden. Noch gibt es diesbezüglich keine offiziellen Aussagen aus Skopje, aber es liegt auf der Hand, dass die NATO in Kürze auch hier weitere Investitionen tätigen könnte.

 

 

 

Quelle: RT