Konzerne erpressen Venezuela

US-Ölriese ConocoPhillips «kaperte» Venezuelas Export-Infrastruktur auf den niederländischen Antillen zwecks Entschädigungszahlung. Kanadischer Goldkonzern greift derweil nach Venezuelas Raffinerien in den USA.

von Simon Ernst

 

 

Wie der drittgrößte US-amerikanische Ölkonzern ConocoPhillips (COP) am Montag erklärte, hat die venezolanische Regierung in die Zahlung einer milliardenschweren Entschädigungssumme eingewilligt. Dem geht ein jahrelanger Rechtsstreit voraus. Der Betrag von 2,04 Milliarden Dollar soll nun in einem Zeitraum von vier Jahren beglichen werden, wobei 500 Millionen Dollar sofort zahlbar sind.

COP hatte bereits im Mai mit der Pfändung von ausländischen Vermögenswerten der krisengeschüttelten staatlichen Erdölgesellschaft Venezuelas (PDVSA) begonnen, um die Entschädigung zu erpressen. Nach der Konfiszierung des PDVSA-Verladeterminals auf der Karibikinsel Bonaire und einer ähnlichen Anlage auf St. Eustatius hatte am 11. Mai auch ein Gericht auf Curaçao grünes Licht für die Übernahme der Kontrolle über die große PDVSA-Raffinerie «La Isla» durch den US-Konzern gegeben.

Über die Anlagen auf Bonaire, St. Eustatius und Curaçao wird etwa ein Drittel der venezolanischen Erdölexporte abgewickelt — ein Umsatz von täglich mehr als 20 Millionen Dollar. Geld, das das in einer schweren Schulden- und Devisenkrise befindliche Land dringend benötigt, da Millionen Menschen unter Lebensmittel- und Medikamentenknappheit leiden. Die Reallöhne sind in den letzten drei Jahren um mehr als 75% gesunken.

Der Kontrollverlust über die Exportinfrastruktur auf den niederländischen Antillen machte die Benutzung der größten Tankerklasse für das südamerikanische Land zuletzt unmöglich und es bildeten sich Schlangen vor den Raffinerien und Verladeterminals der venezolanischen Karibikküste.

Der ohnehin durch eine zerrüttete Produktion niedrige Export war durch die überfallartigen Pfändungen von Seiten COPs offenbar zuletzt weiter zurückgegangen, was die Wirkung der US-Wirtschaftssanktionen auf die Devisenkrise noch verstärkte. Venezolanische Handelspartner wie China mussten in der Folge ausfallende Seelieferungen des «Schwarzen Goldes» verkraften, dem Staat fehlten Einnahmen für Importe und Schuldendienst.

Die Konfiszierungen im Mai und die jetzige Einwilligung der Regierung in den Zahlungsplan folgten auf ein Urteil eines in New York angesiedelten Schiedsgerichts der Internationalen Handelskammer vom 25. April, das den venezolanischen Staat zu der Entschädigungszahlung verpflichtet hatte. Statt aber nach dem Urteil einen Zahlungsplan zu vereinbaren, so Regierungsvertreter, sei COP direkt zu einem harten Inkassoverfahren übergegangen.

Der wirtschaftliche Schaden, den der mehr als 100 Milliarden US-Dollar schwere Ölriese vor dem in den USA ansässigen Schiedsgericht geltend machte: Maßnahmen der venezolanischen Regierung aus den Jahren 2006 und 2007 wie Steuererhöhungen und partielle Nationalisierungen, die der damalige Präsident Hugo Chávez im Zuge seiner linken Reformpolitik auch gegen den Widerstand von US-Regierung und großen Ölkonzernen durchgesetzt hatte, hätten ein Loch von angeblich mehr als 20 Milliarden Dollar in die Konzernprofite gerissen.

Die Erdölreform von Hugo Chávez war die Grundlage staatlicher Mehreinnahmen gewesen, die Millionen VenezolanerInnen Reallohnsteigerungen und den Zugang zu umfangreichen Bildungs- und Gesundheitskampagnen ermöglicht hatten, bis die Krise des Welterdölmarktes und das Fortdauern neokolonialer Abhängigkeiten den Reformfortschritten nach Chávez Tod im Jahr 2013 schließlich ein jähes Ende bereiteten.

Als die US-Regierung und einheimische Oligarchen gemeinsam mit internationalen Erdölkonzernen in den Jahren 2002 und 2003 mehrere Putschversuche gegen Chávez’ Regierung organisierten, hatte eine breite Volksbewegung durch ihren Massenwiderstand mit Streiks und Demonstrationen den Präsidenten im Amt verteidigt und die Reformmaßnahmen erst ermöglicht.

39 der 41 ausländischen Kapitalgesellschaften im venezolanischen Erdölsektor willigten damals ohne Anrufung von Schiedsgerichten in Chávez’ neue Förderbedingungen ein, die ihnen neben Steuererhöhungen auch jahrzehntelange Laufzeitverlängerungen brachten. Nur ExxonMobil und COP, beides Großkonzerne aus den USA, fochten die Reform vor verschiedenen internationalen Schiedsgerichten an und forderten Entschädigungssummen von insgesamt mehr als 42 Milliarden Dollar.

Die im Vergleich mit dieser Rekordsumme allerdings relativ kleine Strafzahlung von zwei Milliarden Dollar trifft Venezuela, das Land mit den größten Erdölvorkommen der Welt und seinem kriselnden Staatskonzern aber zur Unzeit. Internationale Gläubiger aus Ost und West, die jeweils mehr als 50 Milliarden Dollar aus ihrer finanziellen Kolonie pressen wollen, haben die Wirtschaft fest im Griff. An die US-amerikanische Investmentbank Goldman Sachs zahlte Venezuelas Regierung von Präsident Maduro zuletzt Zinssätze von über 45% pro Jahr in einem heftig umstrittenen Dollar-Anleihengeschäft. Und auch für die Bezahlung bilateraler Verträge, die Chávez und Maduro auf Regierungsebene mit Russland und China abgeschlossen haben, sind immer größere Teile der schnell sinkenden venezolanischen Ölproduktion nötig, so dass die verfügbaren Devisenreserven auf ein Minimum fallen und die große Bevölkerungsmehrheit durch den Rückgang der Lebensmittelimporte und eine rasante Preissteigerung die Kosten der Krise trägt. Der Kurs von COP-Aktien an der Wall Street stieg nach Bekanntgabe der nun gefundenen Lösegeldregelung am vergangenen Montag derweil um mehr als 1% nach oben. Das Management hatte angekündigt, den von Venezuela erpressten Kassensegen, ähnlich einer Sonderdividende, über Aktienrückkäufe direkt an die Aktionäre weitergeben zu wollen.

Durch das COP-Urteil sind aber nicht nur unmittelbare Kosten für die Regierung des größten Karibikanrainers und seine Bevölkerung entstanden, sondern der Bestand des staatlichen Ölkonzerns und mittelfristig der gesamte Außenhandel sind gefährdet. Mehr noch als die Sanktionen der US-Regierung unter Präsident Trump treffen solche Pfändungen nämlich das Herz des venezolanischen Erdölhandels, dessen physische Träger jetzt durch das New Yorker COP-Urteil zum Entern freigegeben wurden.

Der nach der Jahrtausendwende neu gewonnene venezolanische Einfluss über das karibische Meer, der unter Präsident Chávez durch internationale Abkommen wie ALBA und Petrocaribe gefördert wurde, ist nun sichtbar erschüttert. Ein Bezirksgericht des US-Bundesstaates Delaware entschied dann auch Anfang August in einer Grundsatzentscheidung zugunsten von Pfändungsrechten gegen die ganze Republik Venezuela. Das Urteil gewährte in diesem ähnlich gelagerten Fall dem kanadischen Bergbauunternehmen Crystallex, zwecks Eintreibung einer Entschädigungszahlung von 1,4 Milliarden Dollar, Zugriff auf Aktienanteile der «PDV Holding». Dem war 2016 ein Weltbank-Schiedsspruch vorausgegangen. Wichtige Details der Entscheidung sind noch unbekannt, Venezuelas Staatskonzern hat bereits Berufung eingelegt.

Die in der US-Steueroase ansässige PDVSA-Filiale verfügt mit drei großen Raffinerien, dutzenden Verladeterminals und mehr als 5000 Tankstellen unter dem Markennamen CITGO über Vermögenswerte von etwa acht Milliarden Dollar auf dem Territorium der USA — und ist damit mit Abstand das «Kronjuwel» unter Venezuelas ausländischen Investitionen. Venezuela hatte es nach Angaben des Gerichts versäumt, die von einem Schiedsgericht der Weltbank zwei Jahre zuvor auferlegten Entschädigungszahlungen an Crystallex pünktlich zu leisten.

Das Crystallex-Urteil besagt zudem: Vermögenswerte von PDVSA wie CITGO seien auch dann pfändbar, wenn sich die Forderungen des klagenden Gläubigers eigentlich gegen den venezolanischen Staat richteten. Das könnte für Besitzer venezolanischer Anleihen, allen voran internationale Großbanken aus den USA und auch aus Deutschland, ein Signal geben, nun ebenfalls ihre Pfändungsrechte geltend zu machen und sich hinter Crystallex in die Inkasso-Schlange einzureihen.

Großinvestoren wie Blackrock, Vanguard und der deutsche Allianz-Konzern haben in den letzten Jahren von den hohen Zinssätzen der Papiere profitiert, bis Venezuela, auch unter dem Eindruck von US-Wirtschaftssanktionen, Ende letzten Jahres viele Zinszahlungen einstellte, womit Regressforderungen grundsätzlich möglich wurden. Bei den börsennotierten Staatsanleihen beträgt Venezuelas Zahlungsrückstand mittlerweile über 6 Milliarden Dollar, der Verlust der US-Anlagen würde Venezuelas Export erneut empfindlich schwächen und die Devisenkrise und Lebensmittelknappheit verschärfen.

Ähnlich wie im Falle des Ölkonzerns COP, der gegen eine Steuererhöhung durch die Erdölreform der Regierung des ehemaligen Präsidenten Hugo Chavez geklagt hatte, geht es auch bei der Milliardenforderung von Crystallex um eine «Enteignung durch linke Reformen». 2008 war nämlich die im Imataca-Urwaldschutzgebiet gelegene Goldmine «Las Cristinas», die der kanadische Investor 2002 erworben hatte, durch neue Umweltauflagen der Chávez-Regierung gestoppt worden. Dies hatte nach Ansicht eines Weltbank-Schiedsgerichtes den Investitionsschutz-Bestimmungen eines bilateralen Abkommens mit Kanada widersprochen und den Weg frei gemacht für die Entscheidung in Delaware.

«Las Cristinas», eines der größten Goldvorkommen des Kontinents, wurde von der Regierung Maduro angesichts der Schuldenkrise inzwischen allerdings wieder zur Ausbeutung an andere Investoren freigegeben. Zuletzt haben Aktivisten des Stammes der Pemón-Indianer im betroffenen Grenzgebiet zum Nachbarland Guayana Widerstand dagegen geleistet, auch, weil sie die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen durch großangelegten Tagebau und giftige Chemikalien fürchten.

 

 

Quelle: TP