«Die Stadt denken» und «Havanna wird nicht gentrifiziert»: Zwei Texte aus Kuba über die Restaurierung und die Probleme in einer «immer schöner werdenden Stadt»

Damals, in den 30-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, führte Jorge Mañach ein Interview mit Enrique José Varona (1848 – 1933). Die Stimme des Alten war nur noch ein Flüstern. Gezeichnet von vielen Narben war etwas Schönes in diesem alten Meister. Er bewahrte die Lebendigkeit des Geistes und einen Mut ohne Dreistigkeit. So konnte er der Tyrannei von Machado trotzen und den Jugendlichen, die sie bekämpften, die Türen öffnen. Er litt unter den Repressalien. Fast zum Ende seines Lebens wurde er Opfer des brutalen Einbruchs in sein Heim.
Wie die Menschen, so haben auch die Städte ihr Leben und ihre Geschichte. Sie tragen an den Narben der Zeit, sind Wesen, die durch den Geist der Erinnerung zum Leben erweckt werden. Aus dieser Perspektive müssen wir uns die Stadt Havanna am Vorabend der Vollendung ihres 500-jährigen Bestehens denken. Es gibt so viele Probleme, die sich aufhäufen und zusammentreffen, dass man Konzepte entwickeln muss, sich Ziele setzen, sie verbreiten und auf diese Art die Mitwirkung der Einwohner erreichen muss. Das halbe Jahrtausend wird kein Ziel sein, dass man erfüllen muss, sondern ein für die Zukunft offener Neubeginn.
Die Idee der Städteplanung wurde bei uns erst nach dem Sieg der Revolution zur konkreten Realität. Vorher gehorchte das Wachstum der Stadt dem anarchischen Wechselspiel des Bodenpreises. Als Zusammenfassung aller Faktoren, die das Leben einer Stadt beeinflussen, konzentriert auf die Probleme der Menschen, die sie bewohnen, in seinem Wesen humanistisch, stellt sich die Städteplanung einer technokratischen, kurzfristigen Vision des Nützlichkeitsdenkens entgegen. Unter diesen Bedingungen konnte der erste Masterplan für die Entwicklung Havannas entworfen werden. Er basierte auf einer historischen Analyse, der Beschreibung einer zergliederten und in der Fläche ausgedehnten Stadt, damals schon von einem Viertel der Bevölkerung des Landes besiedelt, mit Defiziten in der Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen, mit wenig Industrie; zerrissen zwischen den prunkvollen Bauten, die die Küste säumten und dem Elend in den Randgebieten; ihre Demografie verstärkt durch den stetigen Fluss der Binnenmigration auf der Suche nach besseren Chancen und begünstigt durch die Zentralisierung des Regierungsapparates, der wichtigsten Bildungseinrichtungen und der namhaftesten kulturellen Zentren.
Einige Probleme waren damals schon sehr drängend. Sie zeigten sich in der Wohnungsknappheit, den Unzulänglichkeiten im Transportwesen, die sich durch die Ausdehnung der Stadt und die Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsorten noch verschärften, und in einem hohen Anteil an Bauten in mäßigem oder schlechtem Zustand. Um die Situation zu ändern, wurden zwei Aktionen parallel in Angriff genommen: Man gab der Entwicklung der Städte und Siedlungen im Rest des Landes Vorrang und zugleich formulierte man unter Beteiligung der hervorragendsten Architekten das Projekt eines Masterplans für die Hauptstadt.
Dieser enthielt eine Zukunftsvision, die zu den fortgeschrittensten der Epoche zählte. Damals gab es noch nicht dieses Bewusstsein über die sich aus der Umweltverschmutzung ergebenden Probleme, wie es heutzutage der Fall ist. Dennoch legte man schon einen grünen Gürtel um die zentralen Bereiche der Hauptstadt herum. Er begann am alten Stadtwald von Havanna – dem Parque Metropolitano –, erstreckte sich über den Stadtring und reichte bis zum Lenin-Park, dem Botanischen Garten und dem Zoo. Das sind Hunderte Hektar, die die Stadt mit Sauerstoff versorgen. Sie stehen zum Genießen für Einheimische und Besucher zur Verfügung.
Für die Anlage des Lenin-Parks mit seinen außerordentlich einladenden Möglichkeiten und seiner Kultur des Details konnte Celia Sánchez die Mitwirkung von Architekten, Designern und Künstlern gewinnen. Ich erinnere mich noch an die originellen viereckigen Teller im Café La Faralla, angefertigt in der Keramikwerkstatt von Rodriguez de la Cruz in Santiago de las Vegas – dort, wo Persönlichkeiten von der Bedeutung einer Amelia Peláez und eines Luis Martinez Pedro in dieser Kunstrichtung ausgebildet wurden.
Die notwendige Studie zur Definition des erforderlichen Masterplans muss unter Berücksichtigung dieser und anderer Prämissen formuliert werden. Zunehmend im Laufe der Zeit, den wirtschaftlichen Schwierigkeiten und den Folgen der Sonderperiode, kamen zu den ererbten Krankheiten auch die Unzulänglichkeiten der unterirdischen Leitungsnetze. Viele haben vergessen, dass ein Bürgermeister von Havanna, Manuel Fernández Supervielle (1894 – 1947), sich das Leben nahm, weil er das Problem einer angemessenen Wasserversorgung nicht lösen konnte. Hinzu kommen noch die Verschlechterung des Zustandes der Abwasserleitungen und der Verschleiß der Kanalisation. Das sind dem Blick verborgene Dinge, aber sie sind Garantie für Wohlergehen und Hygiene.
Auf der anderen Seite war der Hafen von Havanna wie schon zur Zeit der Stadtgründung im 16. Jahrhundert weiterhin der Weg, über den Waren und Passagiere ins Land kamen. Die Verlagerung dieser Funktion nach Mariel und die der Tourismusindustrie zukommende Rolle erfordern eine ernsthafte Neudefinition des ökonomischen, sozialen und kulturellen Profils der Hauptstadt. Zur Stärkung einer industriellen Produktion muss künftig ein Wachstum der Rolle der Dienstleistungsindustrie, ein bedeutendes Gewicht der Zentren der wissenschaftlichen Forschung, die Ausbildung von hochqualifiziertem Personal und die Bewahrung der Werte unseres Kulturerbes hinzukommen. Diese Werte überschreiten die Grenzen der Altstadt von Havanna und erstrecken sich nach Vedado, Miramar, Cubanacán; sie finden sich in der wunderbaren Aussicht, die man von Reina bis zum Castillo de Príncipe betrachten kann; in den Straßen von früher wie der Cerro und der 10 de Octubre, in dieser von Eliseo Diego besungenen Jesús del Monte. Ich halte inne. Die Liste wäre endlos und müsste das in unseren Museen aufbewahrte Erbe einschließen.
Die Herausforderung scheint überwältigend zu sein. Ganz im Gegenteil: Im Großen zu träumen ist das beste Gegengift gegen Mittelmäßigkeit, Willenlosigkeit, Trägheit und Nachlässigkeit. Ein Projekt zu formulieren ist die beste Art, den Stein ins Rollen zu bringen. Wir müssen dafür unsere besten Forscher, Architekten und Städteplaner zusammenrufen, verschiedene Kriterien einer öffentlichen Debatte unterziehen und so die gebürtigen und adoptierten Habaneros dazu bringen, an dieser gigantischen Aufgabe mitzuwirken, die vor uns liegt.
Graziella Pogolotti aus Kuba ist Kunstkritikerin und Essayistin. Präsidentin des Beirates beim Kulturministerium, Vizepräsidentin der Vereinigung der Schriftsteller und Künstler Kubas, Mitglied der kubanischen Akademie für Sprache und Präsidentin der Stiftung Alejo Carpentier