Chile: Präsident schickt fast die Hälfte des militärischen Oberkommandos in Ruhestand

Finanzamt deckt mehrere Korruptionsfälle auf. 21 von 46 Generälen in den vorzeitigen Ruhestand entlassen. Ex-Armeechef wegen Todeskarawane verurteilt

«Durch Vernunft oder Gewalt». Wappen der Streitkräfte von Chile QUELLE:WIKIPEDIA/B1MBO LIZENZ:PUBLIC DOMAIN

Chiles Präsident Sebastián Piñera hat vergangene Woche 21 von 46 Generälen in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, nachdem schwere Korruptionsfälle in der Armee aufgedeckt wurden. Zudem ist der frühere Oberkommandierende, General Juan Emilio Cheyre, wegen Menschenrechtsverbrechen im Putschjahr 1973 verurteilt worden.

Bei jeder Ernennung eines neuen Oberbefehlshabers, die alle vier Jahre ansteht und in der Regel mit der Geschäftsübernahme des neu gewählten Präsidenten zusammenfällt, kommt es zu einigen vorzeitigen Entlassungen von Generälen um zu vermeiden, dass längergediente sich dem neuen Oberbefehlshaber unterordnen müssen. Der jetzige radikale Schnitt durch Piñera ist ungewöhlich und nur mit der Umstrukturierung der Armee 1990, nach der Rückkehr des Landes zur Demokratie, zu vergleichen.

Untersuchungen der Finanzbehörde hatten ergeben, dass zwischen 2010 und 2014 etwa 2,8 Millionen Euro aus dem Militäretat veruntreut worden sind. Die Gelder für die Streitkräfte kommen aus zehn Prozent des Kupferverkaufs des staatseigenen Bergbaukonzerns Codelco, dem weltgrößten Kupferproduzenten. Dieser «reservierte Fonds» entzieht sich jeder parlamentarischen Kontrolle und der Betrug wurde letztlich vom Finanzamt aufgedeckt. Gelder für angebliche Käufe von militärischer Ausrüstung wurden in Privattaschen umgeleitet.

Unlängst wurden weitere Geldhinterziehungen aufgedeckt. In 1.500 Fällen wurden Dienstreisen für Offiziere gebucht und die Tickets danach in private Ferienaufenthalte umgetauscht.

Der ehemalige Oberbefehlshaber (2002 bis 2006) General Juan Emilio Cheyre hatte in seinem Artikel «Chiles Armee: das Ende einer Vision» von 2004 geschrieben: «Die chilenische Armee hat die schwere, aber unumkehrbare Entscheidung getroffen, die Verantwortung zu übernehmen, die sie als Institution in allen strafbaren und moralisch inakzeptablen Handlungen der Vergangenheit begangen hat.

Darüber hinaus hat sie auch wiederholt die Vergehen und Straftaten ihrer direkten Angehörigen anerkannt. Sie wurden geahndet, öffentlich kritisiert und die Armee hat dauerhaft mit den Gerichten zusammengearbeitet, um so weit wie möglich zur Wahrheit und Versöhnung beizutragen.» Diese Aussagen hatten ihm den Beinamen «Nie-wieder-General» eingebracht.

Im Prozess ging es jetzt um seine Handlungen als Adjudant im Oktober 1973. Er hatte Dienst im Regiment Arica in La Serena geleistet, als die «Todeskarawane», der landesweit 96 Politiker, Gewerkschafter und Parteifunktionäre der Unidad Popular von Salvador Allende zum Opfer fielen, die Stadt erreichte. Zur Aufklärung trug er in dem Verfahren nichts bei, sein Anwalt leugnete jegliche Beteiligung. Cheyres Unterschrift erscheint unter 26 willkürlichen Todesurteilen des schnell einberufenen Kriegsgerichts. Er wurde zu drei Jahren Haft verurteilt, die er jedoch nicht absitzen muss. Die Opfer der Pinochetdiktatur sind empört über dieses milde Urteil. Auch habe Cheyres Doppelmoral sie wieder einmal darin bestätigt, dass es einen «Pakt des Schweigens» unter den Militärs gibt.

Die Ankläger prüfen, ob sie in die Revision gehen.

Nun hat Präsident Piñera zusammen mit Verteidigungsminister Alberto Espina die Notbremse gezogen. Die nachrückenden Offiziere im Rang von Obersten haben erst in den 1980er Jahren die Offiziersschule verlassen und sollen die Garantie dafür geben, nicht in Fälle von Menschenrechtsverletzungen während der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet (1973 – 1990) verwickelt zu sein.

Der jetzt erfolgte Generationswechsel in der Spitze der Armee ist eine einschneidende Maßnahme, aber, so bemängeln Kritiker, keine Garantie für ein der Demokratie verpflichtetes Offizierskorps, solange die Ausbildung junger Offiziere und Unteroffiziere einer demokratischen Kontrolle entzogen ist und alte Seilschaften in- und außerhalb der Armee weiterbestehen, die sich jeglicher Aufdeckung von Menschenrechtsverbrechen während der Diktatur entziehen.

Quelle: Amerika21