Im Fall des von einer Spezialeinheit der chilenischen Militärpolizei ermordeten Camilo Catrillanca kommen immer neue Widersprüche ans Licht. Catrillanca, der eine 6-jährige Tochter und eine schwangere Frau hinterlässt, wurde auf der Rückfahrt mit einem Traktor von der Feldarbeit in den Hinterkopf geschossen. Die in Kolumbien ausgebildete Spezialeinheit «Dschungelkommando» (Comando Jungla) hatte nach eigenen Angaben Autodiebe auf das Gebiet der indigenen Gemeinde Temucuicui verfolgt. Offiziell ist die Aufgabe des Kommandos, den «Terrorismus in der Zone» und den Drogenhandel zu bekämpfen.
Direkt nach dem Tod des 24-Jährigen hatte der von Präsident Sebastián Piñera ernannte Chef der Regionalverwaltung der 9. Region, wo der Mord passierte, Luis Mayol, öffentlich erklärt, Catrillanca sei wegen Hehlerei vorbestraft und in den Autodiebstahl verwickelt gewesen. Nachdem das polizeiliche Führungszeugnis Catrillancas öffentlich gemacht wurde, aus dem hervorgeht, dass er keinerlei Vorstrafen hatte, geriet Mayol zunehmend unter Druck. Am 20. November trat er schließlich zurück und kam so einer gegen ihn von der christdemokratischen Parlamentsfraktion angstrebten Organklage zuvor.
Auch an anderer Stelle wird deutlich, dass von offizieller Seite gelogen wurde: Mayol und auch Innenminster Andrés Chadwick hatten behauptet, dass die Polizei Videoaufnahmen an die Staatsanwaltschaft übergeben habe. Hochrangige Vertreter des Kommandos hatten in Vernehmungen jedoch angegeben, die Einsatzkräfte hätten gar keine Kameras dabei gehabt. Weitere Ermittlungen ergaben, dass die Videoaufnahmen vernichtet wurden. Sechs Polizisten wurden daraufhin aus dem Dienst entfernt. Gegen sie wird wegen Behinderung der Justiz ermittelt.
Ausschlaggebend für dieses Ermittlungsergebnis ist die Aussage des 15-jährigen Zeugen, der bei Catrillanca war, als dieser erschossen wurde. «Sie haben mich auf den Boden geworfen und in den Transportpanzer gebracht. Dort hat ein Carabinero die Speicherkarte aus dem Aufnahmegerät genommen und eine neue eingesetzt», erklärte er. Der Jugendliche wurde schwer misshandelt und festgenommen. Ein Gericht erklärte dies am Tag darauf für illegal und ließ ihn frei. Der Zeuge gibt an, den Polizisten, der Catrillanca ermordet hat, identifizieren zu können. Aufgrund der Misshandlungen hat das Nationale Institut für Menschenrechte Klage wegen Folter eingereicht.
An der Trauerfeier und Beerdigung Catrillancas in Temucuicui nahmen rund 5.000 Personen teil. In ganz Chile gab es über das Wochenende Protestaktionen und Demonstrationen. In Santiago wurden Barrikaden errichtet, Demonstranten gingen bis zum Vorplatz des Regierungspalastes. Die Proteste halten an und werden immer breiter. Für Aufsehen sorgte, als die chilenische und die honduranische Fußball-Nationalelf vor dem landesweit übertragenen Freundschaftsspiel in Temuco gemeinsam eine Schweigeminute für den Toten abhielten. Im Stadion waren zahlreiche Transparente zu sehen mit Aufschriften wie: «Heute singe ich die Hymne nicht, Mapuche werden getötet».
Auch international gibt es zahlreiche Reaktionen. Die Vereinten Nationen teilten über ihr Büro in Chile der Familie Catrillancas ihr Bedauern mit und zeigen sich wegen des «Kontexts der Gewalt» in dem der Tod geschah, besorgt. In einer Stellungnahme der Menschenrechtsorganisation Amnesty International heißt es: «Wir lehnen die Durchführung solcher massiven Durchsuchungen von Gemeinden von Mapuche ab, da sie deren Menschenrechte verletzen und die Verfolgung und Kriminalisierung indigener Völker durch den Staat zeigt.» Beide mahnen gründliche und unabhängige Ermittlungen an. Das internationale Forschungsnetzwerk Red Temático Patagonia-Wallmapu fordert in einer Presseerklärung den Rücktritt von Innenminister Chadwick.
Unterdessen ist das Dschungelkommando trotz heftiger Kritik immer noch im Einsatz. In sozialen Medien wurden in den vergangenen Tagen verschiedene Videos öffentlich gemacht, unter anderem ist zu sehen, wie Polizisten auf einen Mann feuern, der sie in Aktion filmt. Bei einem anderen Einsatz wurde eine hochschwangere Frau verletzt. Die Regierung will weiter an der Spezialeinheit festhalten.