Der Relotius-Fall — vom «bedauerlichen Einzelfall» zur «mentalen Notlage»

Der Skandal um den Journalisten Claas Relotius ist nur die Spitze des Eisbergs und daher kein bedauerlicher Einzelfall. Und auch wenn sich die Medien in Selbstreflexion jetzt üben, sie werden trotzdem weiter lügen. Denn kaum ist der Skandal verdaut, wird auch schon hier relativiert, was das Zeug hält. Bei aller Kritik und bei allem Misstrauen in Relotius, waren viele — so auch News Front — in einer Geschichte etwas voreilig. 

 

Alle reden vom «Spiegel-Skandal«, so als wäre dieser fast alleine der «Edelfeder» Relotius auf dem Leim gegangen. Doch auch auf Hamburger Wochenblatt Die Zeit, die Schweizer NZZ sowie auf vielen anderen sogenannten «Qualitätsmedien» konnte sich der preiskrönte Journalist, den man bis vor kurzem außerhalb der Mainstream-Szene wohl kaum auf dem Schirm hatte, verewigen. Der Spiegel hatte hier — wie man will — das Pech oder Glück, dass ihn man aufgrund finanzieller Mittel schnell an sich binden konnte, nachdem man von seinen Texten überzeugt war.

Überzeugt deswegen, weil er — wie RT Deutsch es treffend sagte — das schrieb, was man haben wollte. Von schlimmen Geschichten aus den USA, nachdem Donald Trump an die Macht kam, bis hin zum beliebten Märchen über «selbstlose Flüchtlinge», die mal eben zufällig 1000 Euro von der Straße schnurstracks ins Fundbüro bringen. Von allem scheint irgendwie was dabei zu sein. Wer solche Märchen, die seit 2015 gefühlt in allen Zeitungen und Wochenblättern zu lesen waren, anzweifelte, bekam von allen Seiten die Nazikeule zu spüren. Laut Spiegel soll diese Geschichte sich bewahrheitet haben, nachdem man diesen Fall ebenfalls geprüft hat. Überprüft wurde dieser Vorfall heute. Es soll auch nicht der erste gewesen sein, der über diesen Fall berichtet haben soll.

Umso mehr, seit bekannt wurde, dass Relotius Teile vieler seiner Texte erfunden hat. Jetzt wird der Wahrheitsgehalt all seiner Texte in Frage gestellt. Und die Geschichte von Mahmoud Abdullah, dem ehrlichen Syrer, vor allem in den sozialen Netzwerken rechter Kreise, schreibt Spiegel-Online. Gleichzeit wird hier darauf hingewiesen, dass nicht alle Geschichten von Relotius erfunden waren.

Wenn das der Fall gewesen sollte und der Spiegel hier diese Geschichte in der Dokumentation sorgfältig recherchiert hat, dann unterstellen wir einfach mal, dass diese Geschichte stimmt. Allerdings hatten solche Geschichten in dieser Zeit Hochkonjunktur, was nicht unbedingt Zweifel aus dem Wege räumt. Allerdings bemühte man sich bei der Aufarbeitung dieser Geschichte dem Vernehmen nach wirklich und führt «gesicherte Tatsachen» an.

Sogenannte «Fake News» und «Verschwörungstheorien» schrieb man gerne alternativen Medien und den «kremfinanzierten Medien» zu. Das machte sich besonders in der Flüchtlingskrise bemerkbar. Auch News Front wurde sogar mal vorgeworfen, «Fake News» zu verbreiten. Und warum? Man wagte es über sexuelle Übergriffe durch Flüchtlinge zu schreiben. Trotz erfolgloser Gegenrecherche waren es falsche Nachrichten. Und warum? Es kommt den Qualitätsmedien nicht darauf an, dass unliebsame Medien die Wahrheit schreiben. Denn die Realität ist nicht wichtig, sondern das was dem Narrativ der Leitmedien entspricht.

In Sachen «Flüchtlingskrise» passen halt Nachrichten über kriminelle Asylanten nicht ins Bild. Und wie sehr freut man sich immer wieder in den Qualitätsmedien, wenn die andere Seite einen Fehler macht. Dort freut man sich über jeden kleinen Fehler, den man nutzten kann, um unliebsame Medien zu diskreditieren. Davon können auch RT Deutsch, Sputnik Deutschland, die Epoch Times, Contra Magazin und viele andere Medien ein Lied singen. Jede noch so billige Quelle auf Facebook, jeder noch so amateurhaft betriebene WordPress-Blog sind auf einmal «seriöse und investigative Quellen», um solche Portale ins unseriöse und anrüchige Licht zu rücken.

Aber das gehört alles dazu, also zur Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland. Und wenn man ehrlich ist, dann geht man in den alternativen Medien auch nicht gerade zimperlich mit dem Mainstream um. Das gehört eben auch dazu. Aber zurück zum Fall Relotius, deren Details man sowohl auf Der Spiegel als auch in vielen anderen Medien man sich informieren kann. Er ist nun mal nicht der «bedauerlicher Einzelfall», den man uns allen jetzt verkaufen will. Er ist einer von tausenden Fällen, die mal — je nach Gewichtung — unterschiedlich gravierend sind.

Ein besonders schwerer Fall ist der Absturz der MH-17 am 17. Juli 2014 in der Ostukraine, wo man meinen könnte, dass die Leitmedien den Russen oder den pro-russischen Rebellen noch vor der Explosion die Schuld in die Schuhe geschoben hatte und das immer noch tut. Den Vogel schoss dabei das Berliner Recherchebüro Correctiv ab, die mit einer absoluten Lügengeschichte ebenfalls mit dem Grimme Award 2015 belohnt wurden.

Hier war es der freie Reporter Billy Six, der keine Kosten und Mühen scheute, diese Lügengeschichte aufzudecken. Denn anders als der Spiegel-Redakteur Juan Moreno, der zugegeben auch seinen Job beim Spiegel riskierte, reiste Six von der Ostukraine bis in die Niederlande, um die preisgekrönte Correctiv-Reportage zu widerlegen. Dafür riskierte er nicht seinen Job, aber dafür wurde er in den Mainstream-Medien von allen Seiten geteert und gefedert. News Front sprach im August 2016 über den Vorfall. Später folgten dann RT Deutsch und andere Portale aus dem alternativen Bereich, die ihm Gelegenheit gegeben haben, seine Sichtweise darzustellen.

https://youtu.be/q7T480uGuKw

Mehr als zwei Jahre später wird Six am 20. November vom Geheimdienst Venezuelas inhaftiert und die Reaktion in den Leitmedien ist mehr als verhalten. Immerhin berichtete Der Spiegel — zugegeben sehr fair — über seine Inhaftierung. Denn trotz aller Verärgerung über Spiegel und andere Leitmedien, sollte man fair bleiben. Nicht jede Geschichte dort ist frei erfunden und es gibt auch in den Leitmedien noch Journalisten, die ihre Arbeit aufrecht und ehrlich machen, wobei sie gerade deswegen immer wieder ihren Job riskieren.

Aber bei allem Verständnis und bei aller Fairness soll es hier gerade nicht darum gehen, die Leitmedien zu verteidigen. Denn die erfundenen Geschichten von Relotius waren allenfalls Unterhaltung. Geschichten, die man sich im im Wartezimmer beim Arzt oder beim Friseur durchgelesen hätte und später wieder in Vergessenheit geraten wären. Wir können lange darauf warten, bis die Leitmedien ihre Lügen in Sachen MH-17, Skripal-Vergiftung oder Maidan zugeben werden. Und wenn das passiert, dann wahrscheinlich in der gleichen Selbstgefälligkeit, wie sie im aktuellen Fall zelebriert wird.

Wahrscheinlich wird man sich dann auch damit ausreden, dass die Schreibtischtäter und Propagandisten sich in einer «mentalen Notlage» befunden haben und deswegen zu «grundfalschen Mitteln gegriffen» habe. Diese aberwitzige Ausrede tätigte ARD-Journalistin Julia Stein auf Twitter, um den Skandal um Relotius zu relativieren. Und wir können uns sicher sein, dass man bald in den Mainstream-Medien zum Gegenangriff ausholen wird. Dann wird es Geschichten geben, dass «böse Portale» wie News Front und die üblichen Verdächtigen den Relotius-Fall für «ihre eigenen Zwecke instrumentalisierten». Von Selbstreflexion wird dann keine Rede mehr sein.

 

Update: In der ersten Fassung wurde hier die Geschichte mit dem ehrlichen Flüchtling (siehe oben) in Frage gestellt. Spiegel-Online sagt nun nach Überprüfung des Falles, dass die Geschichte der Wahrheit entspricht (22.12.2018). Wir bitten Sie daher den voreiligen Schluss zu entschuldigen.