Seitdem Vorschlag Bundeswehrsoldaten nach Nordsyrien zu schicken steht die Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer unter Dauerbeschuss. Dabei ist die Idee grundsätzlich sinnvoll.
Noch vor drei Monaten erteilte Annegret Kramp-Karrenbauer eine Absage an Washington, nachdem man dort eine offiziell darum bat, mittels Bundeswehrsoldaten die US-Armee in Syrien zu entlasten. Am Dienstag machte sie indirekt Moskau und Ankara ein solches Angebot. Und das bevor der Gipfel zwischen Russlands Präsidenten Wladimir Putin und seinem Amtskollegen Recep Tayyip Erdoğan überhaupt begonnen hatte. Anlass genug für Außenminister Heiko Maas (SPD) Kritik zu üben.
Was der SPD innerhalb der Großen Koalition möglicherweise am meisten störte, mag auch die Tatsache sein, dass ein Zustandekommen als außenpolitischer Erfolg gewertet werden kann. Und dieser wird dringend gebraucht, weil Deutschland seit 2010 seiner Rolle in der Welt nicht gerecht werden konnte. Das liegt vor allem daran, dass Deutschland in Konflikten wie Libyen, Ukraine oder auch Syrien ohne selbst treibende Kraft zu sein, die Fehler von Frankreich, Großbritannien und den USA auf diplomatischer Ebene mitgetragen hat.
Innerhalb der CDU hatte die Saarländerin erstaunlich viel Rückgrat, denn selbst eingefleischte Transatlantiker wie Friedrich Merz, stärkten ihr den Rücken, nachdem sie aus den Reihen der Politik und den Medien wegen ihres Vorschlages in die Kritik geraten ist. Das dürfte ein Zeichen dafür sein, dass inzwischen selbst pro-amerikanische Politiker erkannt haben, dass man sich auf Washington gar nicht mehr verlassen kann.
Moskau selbst war über diesen Vorschlag selbst überrascht und nahm ihn in Ermangelung von Präzision zunächst einmal zur Kenntnis. Zugegeben, es ist bislang nicht klar, wie Berlin sich die Militärpräsenz grundsätzlich vorstellt. Erst wurde allgemein von einer Zusammenarbeit zwischen deutschen, russischen und türkischen Soldaten. Mal wurde von einer internationalen Friedenstruppe gesprochen, die den Waffenstillstand in der Sicherheitszone überwacht. Später kam dann ein UN-Mandat ins Spiel. Insoweit ist Kritik aber auch durchaus nachvollziehbar.
Warum dann die Aufregung? Früher wurde Berlin kritisiert, wenn sie sich nicht an den Luftangriffen der amerikanischen Anti-IS-Koalition beteiligt haben. Stimmt! Russland und die Türkei sind inzwischen das Feindbild der westlichen Medien. Vor allem im Hinblick auf den Syrien-Krieg, wo Russland inzwischen deutlich die Oberhand gewonnen hat. Auf die Türkei und ihren Präsidenten schoss man sich später ein. Und zwar im Sommer 2016 als Russland und die Türkei ihre Feindseligkeiten im Hinblick auf den Su-24-Abschuss zu Grabe getragen haben. Also da haben wir das eigentliche Problem.
Für die pro-westlichen Medien wäre es ein Alptraum, wenn Deutschland in internationalen Fragen militärisch mit Moskau oder Ankara kooperieren würde. Außerdem denken viele «Militärexperten» in Politik und Medien, dass dies ohnehin unmöglich wäre. Mit der Türkei wäre eine militärische Zusammenarbeit als NATO-Partner kein Problem. Und eine Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr-Soldaten und russischen Militärs waren im Kosovo im Rahmen des NATO-Programms «Partnerschaft für den Frieden» (Partnership for Peace) ebenfalls möglich.
Bundeskanzlerin Angela Merkel wird Putin im November treffen, wo die Themen Ukraine, Syrien und Libyen besprochen werden. Alle Konflikte wurden von den westlichen Freunden Deutschlands angezettelt. Nicht einmal in der Ukraine-Krise waren die Deutschen die treibende Kraft. Hier wurde die Agenda Brüssels, Paris und Washington durchgezogen, als man 2014 einen Staatsstreich anzettelte. Der größte Fehler Deutschlands war hier die diplomatische Rückendeckung der Agenda, die das Verhältnis zu Russland erheblich erschütterte.
Der Angriff auf Libyen 2011 und der Syrien-Krieg haben die Flüchtlingskrise nach Europa gebracht, in der Berlin die Hauptlast zu bewältigen hat. Hier haben die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union Berlin teilweise im Stich gelassen. Die verfehlte Flüchtlingspolitik sei hier mal außer Acht gelassen. Es sollte klar sein, dass man die Flüchtlingströme aus Afrika und dem Nahen Osten nur an der Wurzel bekämpfen kann. Weder in Syrien, noch in Libyen kann Deutschland auf westliche Unterstützung zählen. Mangels unterschiedlicher außenpolitischer Interessen ist das nicht einmal Frankreich.
All das sollte berücksichtigt werden, wenn man der Ansicht ist, eine militärische Zusammenarbeit mit Russland, der Türkei. Auch muss man sich, ob es nun gefällt oder nicht, mit den Regierungen Syrien oder Libyen engagieren. All das wird schon nicht einfach sein. Und ja: Deutschland war in diesem Jahrzehnt einerseits mitliärisch passiv, andererseits unreflektiert die Agenda des Westens unterstützt. Sich militärisch nicht an den westlichen Angriffskriegen zu beteiligen war letzlich klug. Unklug war natürlich die Nibelungentreue zum Westen, die letzlich dazu geführt hat, dass immer mehr Deutsche an der Souveränität Deutschlands zweifel erheben.
Abgesehen von der militärischen Blamage des Westens in Syrien, trägt Deutschland nach wie vor die Hauptlast der daraus resultierenden Flüchtlingskrise. Hier ist ohnehin schon ein Kompromiss mit der Türkei notwendig. Und eine vernünftige Zusammenarbeit an der syrisch-türkischen Grenze wäre im Endeffekt günstiger und nachhaltiger als Milliarden an Steuergeldern an Ankara zu verschenken.
Letztlich bleibt abzuwarten, wie sich die Debatte weiter in Deutschland entwickeln wird. Sicher wird diese Diskussion mit moralpolitischen Plattitüden bespickt sein, da viele Journalisten und Politiker immer noch eine Art romantische Solidarität zu Kurden zum Ausdruck bringen, sowie die unverzichtbare Debatte um die «beiden Diktaturen». Das zeigte uns letztlich die Debatte um die türkische Militäroperation «Friedensquelle», wo wieder einmal die «bösen Türken» gegen die «freiheitsliebenden Kurden» kämpfen.
Außerdem muss eine Einigung mit Moskau und Ankara getroffen werden. Die Offerte zeigt, dass Berlin die Niederlage seiner westlichen Partner anerkennt. Allerdings konterkarierte auch die Deutsche Verteidigungsministerin ihren Vorschlag, als sie im Hinblick auf die Türkei von «Annexion» sprach.