Internet-Zensur in Russland? Wie Mainstream-Medien wieder die Tatsachen verdrehen

In den letzten Wochen häufen sich in den Medien Berichte, dass die russische Regierung ab November plane, «das Internet zu zensieren». Grundlage hierfür sei das im Frühjahr verabschiedete «Internet-Gesetz» in Russland. Doch was ist an den Berichten wirklich dran?

Das «Internet in Russland kommt unter staatliche Kontrolle», titelte das Wochenmagazin Die Zeit am 1. November. Das passt natürlich in den üblichen Narrativ westlicher Medien, die ständig über Zensur, gefährdete Meinungsfreiheit oder generell über staatliche Überwachung in Russland schreiben. Aufgegriffen wird hier «Runet», ein Akronym für das russische Internet, das sich von der restlichen Welt angeblich abschotten will. «Putin schottet Russlands Web ab», schreibt beispielsweise das staatliche Portal Tagesschau am ersten November. Wochen zuvor propagierte die Bild-Zeitung, dass man beispielsweise an Allerheiligen in einem Testlauf bereits das russische Internet vom Rest der Welt abschotten wolle.

Wenn das nun der Wahrheit entsprechen soll, warum war es dann möglich gewesen von Deutschland aus zum Beispiel das soziale Netzwerk VKontakte zu besuchen? Warum konnte man ohne Probleme Nachrichtenseiten aus Russland besuchen? Natürlich wurde hier wieder einmal maßlos übertrieben und man wollte mit solchen Titeln wieder die breite Aufmerksamkeit in Sachen Russland-Hetze erhalten. Aber was will man da noch sagen?

Ausgangspunkt ist das angesprochene Internet-Gesetz, das laut Kreml darauf abzielt, Russland in Sachen Internet unabhängiger zu machen. Für westliche Medien bedeutet das natürlich gleich, Russland wolle sich virtuell von der ganzen Welt abschotten. Doch ist das wirklich so? An dieser Stelle muss man zunächst erwähnen, dass der Internet-Traffic in Russland überwiegend überwiegend im Ausland abgewickelt wird. Traffic bedeutet hier der nternet-Verkehr, also der Datenfluss im gesamten Internet oder in bestimmten Netzwerkverbindungen seiner Teilnetze.

Im Prinzip kann man an dieser Stelle schon sagen, dass das russische Internet bis heute Gefahr läuft, dass beispielsweise die USA, aktuell der Hauptknotenpunkt für den russischen Internet-Traffic, Russland vom Internet abschotten könne. Über 70 Prozent des russischen Datenverkehrs läuft nämlich aktuell über die USA.

Und genau diese Szenario will man im Fall der Fälle ab November vermeiden. «Das Gesetz sieht vor, dass Russland in Zukunft seinen Internet-Traffic im eigenen Land halten soll und Provider inner-russischen Internet-Traffic nicht mehr über das Ausland laufen lassen dürfen. Dazu soll eine eigene Infrastruktur mit eigenen Internetservern und Knotenpunkten geschaffen werden. Und es soll klare Regeln geben, welcher Traffic die Grenze überschreiten darf», schreibt das Portal Anti-Spiegel, wo sich Thomas Röper selbst kritisch mit dem neuen Gesetz auseinandersetzt.

Wenn ein Land wie Russland also versuchen will, seinen Datenverkehr von den USA unabhängig zu machen, soll das also gleich heißen, dass sich Russland vom Rest der Welt abschotten will. Natürlich passt das alles aus Sicht der westlichen Medien ins Bild, wo man sowieso tendenziell dazu neigt, ein autoritäres Bild über Russland zu zeichnen. Und ein russisches Gesetz, welches die Mehrheit der Leser westlicher Medien sich nicht vor Augen hält, ist sowieso immer wieder ein beliebter Punkt um solche Berichte zu verfassen.

Überwachung, Regulierung und Zensur soll es im Tenor sowieso nur in Russland, China oder Nordkorea geben. Im freien Westen natürlich nicht, oder wie? Denken wir mal an das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Deutschland oder reflektieren wir mal einige Beobachtungen auf dem Videoportal YouTube. Oder Stichwort Überwachung, wo die NSA-Affäre um Edward Snowden 2013 ins Rollen kam. Seit geraumer Zeit wird in Deutschland sowie in der kompletten Europäischen Union versucht, das Internet zu regulieren. In diesem Zusammenhang beklagen Politiker und Experten ebenfalls, dass Europa in Sachen Internet de facto ebenfalls von den USA abhängig ist.

Facebook, Google und YouTube stehen hierfür stellvertretend. Im Gegensatz zu Westeuropa ist es in Russland zumindest gelungen, mit VKontakte, Yandex und Mail.ru sich zumindest teilweise von den USA unabhängig zu machen. In Deutschland hingegen wurde bei der Debatte um das Netzwerkdurchsetzungsgesetz immer wieder beklagt, dass es schwierig sei, geltendes Recht auf amerikanischen Plattformen durchzusetzen. Und in der Debatte um die Cybersicherheit wird ebenfalls die digitale Abhängigkeit von Amerika beklagt. Das mag ja nun alles richtig sein, aber wenn Russland Schritte unternimmt, sich von der Weltmacht USA virtuell unabhängig zu machen, dann ist im Westen sofort von Zensur, Regulierung, Überwachung und Abschottung die Rede.

Natürlich bleibt es erstmal abzwarten, wie das Gesetz in Russland nun umgesetzt wird und inwiefern man wirklich alle technischen Möglichkeiten tatsächlich ausschöpfen wird, um ein rein russisches Internet zu realisieren. Aber von einer Abschottung des russischen Internets vom Rest der Welt kann nicht die Rede sein. Und ja, es gibt sogar in Russland Gesetze, die es Behörden — wie auch in Deutschland — erlauben, strafbare Inhalte im Internet zu verbieten. Beispielsweise Volksverhetzung oder Beleidigungen, denn wie wir wissen, ist das Internet kein rechtsfreier Raum.

Man kann jetzt an dieser Stelle noch viel darüber philosophieren, was staatliche Zensur im Internet bedeutet oder wie weit man die Meinungsfreiheit im Internet regulieren sollte. Aber wie oben angesprochen, scheint in Russland die Gefahr, dass die USA im Rahmen von Sanktionen die IT-Infrastruktur Russlands empfindlich zu treffen, ziemlich real zu sein. Und das hätte im größten Land der Welt fatale Folgen. Viel eher sollte man sich die Frage stellen, warum nicht viel früher solche Schritte unternommen wurden. Und warum sich beispielsweise Deutschland und die EU keine Mühe darin geben, die eigene Internetarchitektur von den USA unabhängiger zu machen.