Der Mord an einem Georgier im August in Berlin-Moabit sorgt seit einer Woche wieder für Schlagzeilen, nachdem Ermittlungen auf höchster staatlicher Ebene durchgeführt wurden und es aufgrund der Ausweisungen zweier Mitglieder der Russischen Botschaft zu Berlin durch das Auswärtige Amt zu einer Belastungsprobe der deutsch-russichen Beziehungen führte. Parallelen zum Skripal-Fall ließen schon Böses ahnen.
Am gestrigen Freitag wurde bekannt, dass die im Tiergarten-Mord inzwischen eingeschaltete Generalbundesanwaltschaft mit dem Bundeskriminalamt auch im Skripal-Fall eigene Ermittlungen aufnehmen werden. Beide Behörden sind die obersten Ermittlungsbehörden. Die Generalbundesanwaltschaft (GBA) untersteht direkt dem Bundesjustizministerium und das Bundeskriminalamt (BKA) dem Bundesinnenministerium.
Beide Behörden werden natürlich nicht bei einfachen Morden aktiv. Sondern erst dann, wenn ein Fall zum Beispiel einen bilateralen Bezug hat, von politisch hoher Brisanz, international organisierte Kriminalität oder Terrorismus geht. Alles ist natürlich in diesem Fall möglich und der Hintergrund von Täter und Opfer alleine bieten hierfür Anlass. Ein dringend tatverdächtiger Russe soll Täter sein. Das Opfer ist ein Georgier mit tschetschenischen Wurzeln, der im Zweiten Tschetschenienkrieg gegen Russland kämpfte.
Sein Name: Zelimkhan Khangoshvilis. Selten nahmen deutsche Medien so viel Anteil an einem getöteten (ehemaligen) Dschihadisten, der in Russland als Terrorist eingestuft wurde und in Deutschland zumindest zeitweise als islamistischer Gefährder eingestuft wurde. Der Grund ist nicht unbedingt der Tatsache geschuldet, dass man dort ein Herz für Dschihadisten entdeckt hat und deswegen seine Verbindungen zum radikalen Islam zu verschleiern, gar zu beschönigen.
Der in Deutschland geduldete Asylant ist manchen Beschreibungen deutscher Medien ein potentieller Aspirant für Freiheits- und Friedensorden gewesen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde man solche Beschreibungen nicht in öffentlich-rechtlichen Medien lesen, wenn man in diesem Mordfall nicht vorher eine Spur in den Kreml, zu Präsident Wladimir Putin, gelegt hätte. Und das im gewöhnlichen Kampagnenstil westlicher Medien, die an den Skripal-Fall, auf den noch eingegangen wird, erinnern.
Wie bereits berichtet finden (zufälligerweise) Norddeutscher Rundfunk (NDR), Westdeutscher Rundfunk (WDR) und der Süddeutschen Zeitung eine Spur nach Moskau. Beweise hierfür stammen aber nicht von oben angesprochenen Ermittlungsbehörden, sondern von Bellingcat, ein Investigativ-Portal mit Verbindungen zu angelsächsischen Geheimdiensten. Diese Dienste haben bereits im Skripal-Fall den Investigativ-Portalen Material zugespielt.
https://twitter.com/NewsFrontDE/status/1202254324505731072?s=20
Die britische Regierung machte umgehend Russland für das mutmaßliche Attentat auf den ehemaligen verantwortlich. Moskau wies diesen Vorwurf von sich und forderte eine unabhängige Aufklärung. Die damalige britische Premierministerin Theresa May ließ als Reaktion auf den Nervengift-Anschlag 23 russische Diplomaten ausweisen. Aus „Solidarität“ mit London wiesen auch die USA, Deutschland und viele weitere EU-Staaten Dutzenden russischen Diplomaten die Tür.
Die Internetplattform Bellingcat, die sich als investigativ beschreibt, will die wahren Namen der beiden Russen herausgefunden haben. So hießen Boschirow und Petrow in Wirklichkeit Anatoli Tschepiga und Alexander Mischkin, behauptet Bellingcat.
Die verdächtigten Mitarbeiter des russischen Militärgeheimdiensts GRU – bekannt unter den Namen Alexander Petrow und Ruslan Boschirow – sollen sich nun auch in Deutschland aufgehalten haben Das berichtete das Magazin Der Spiegel gestern. Im Jahr 2014 sollen sie drei Tage in der Gegend um Frankfurt verbracht haben.
Man kann nun an Zufälle glauben. Man kann aber auch über Zusammenhänge und Absichten zumindest einmal kurz nachdenken. Denn die «Beweise», die belegen sollen, dass Moskau oder die Geheimdienste den Mord in Auftrag gegeben haben, stammen nicht unbedingt von einer objektiven Behörde, sondern von Investigativ-Portalen, die im Informationskrieg westlichen Medien eine seriöse Quelle bieten sollen.
Und die Tatsache, dass Bellingcat mit angelsächischen Diensten kooperiert, macht den Blick auf die Interessenlage unentbehrlich. Wenn man von angelsächsischen Diensten spricht, dann von Großbritannien, USA, Kanada, Australien und Neuseeland. Kurz, knapp und zurückhaltend formuliert: sowohl Großbritannien, vor allem die USA als auch Kanada profitieren mehr von einer Verschlechterung der deutsch-russischen Beziehungen als von einer Verbesserung.
Die Anschuldigungen gegenüber Moskau im Skripal-Fall lösten unmittelbar nach dem besagten Anschlag eine internationale Krise aus, nachdem weltweit Staaten angefangen haben, russische Botschafter zur «unerwünschten Person» (persona non grata) zu erkären. Und sowohl im Skripal-Fall als auch im Berliner Mordfall konnte man bislang keine Beweise liefern, dass Moskau in irgendeiner Form verwickelt ist. Der (kriminelle) Hintergrund der Opfer legt das möglicherweise nahe, Aber es liegt nicht besonders nahe, dass solche Taten kurz vor wichtigen deutsch-russischen Treffen passieren oder international aufgebauscht werden, wie aktuell der Normandie-Gipfel in Paris, wo sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem russischen Präsidenten trifft.
Aus deutscher Sicht kann nach dem derzeitigen Stand der Dinge Russland nur der Vorwurf gemacht werden, dass Moskau nicht hinreichend zur Aufklärung dieser Fälle beigetragen habe. Wobei genügend oder hinreichend auch Adjektive sind, dessen Interpretationsspielraum nicht besonders eng ist, wohl eher im Gegenteil. Aber besteht eine solche Pflicht überhaupt? Grundsätzlich gelten natürliche Personen, also Menschen, solange als unschuldig bis die Straftat bewiesen ist und der Schuldige dementsprechend verurteilt wurde.
Eine Mitwirkung an der Aufklärung des Sachverhaltes ist allenfalls wünschenswert, aber keineswegs verpflichtend. Hier steht aber die russische Regierung und ihre Geheimdienste am Pranger. Diese können weder in Deutschland verurteilt werden. Das können nur die Täter vor Ort. Und bislang konnte man den dringend tatverdächtigen Vadim S., noch den Verdächtigen im Skripal-Fall nachweisen, dass sie an den Taten beteiligt sind.
Nicht einmal ihre Mitgliedschaft in einem russischen Geheimdienst wurde zweifelsfrei nachgewiesen. Bislang wurden hier von den selbsternannten Enthüllungsmedien Indizien in den Raum geworfen. Diese mündeten in eine Verdachtsberichterstattung, um somit indirekt Einfluss auf die Ermittlungen der Ermittlungsbehörden zu nehmen. Denn diese kann sich durch die breite Medienkampagne veranlasst sehen und muss im Zweifel auch in Richtung Kreml ermitteln, um später jenen Medien sich nicht den Vorwurf machen zu müssen, nicht objektiv in alle Richtungen ermittelt zu haben.
Wieso und warum diese Anschläge stattgefunden haben, lassen dabei viele Richtungen offen. Von persönlichen Racheakten bis zur Operation unter falscher Flagge, gibt es viel Spielraum für weitere Motive und Ursachen, die Anlass sind, dass die Ermittlungsbehörden auch wirklich nicht nur in Richtung Kreml, seinen Geheimdiensten FSB, GRU oder FSO zu ermitteln.