Wegen alternativer Sichtweise zu den Jugoslawien-Kriegen: Kontroverse um Literaturnobelpreisträger Peter Handke

Gestern nahm der vielfach preisgekrönte österreichische Schriftsteller Peter Handke den Nobelpreis für Literatur entgegen. Im deutschsprachigen Raum wird diese Entscheidung kontrovers diskutiert.

Kontroversen um  Literaten sind keine Seltenheit und oftmals polarisieren sie mit ihren politischen Ansichten. Entweder vor oder nach der Verleihung der höchsten Auszeichnung die ein Literat erreichen kann. Der deutsche Günter Grass (1999), der Russe Alexander Solschenizyn (1970), oder der Norweger Knut Hamsun (1920) sollen hier beispielhaft für jene Literaten stehen, die wegen ihrer politischen Positionen ein Nebenschauplatz im politischen Meinungskampf sind.  Bei den genannten Beispielen war die politische Einstellung der Literaten ausschlaggebend für Kontroversen.

Beim diesjährigen Empfänger der schwedischen Auszeichnung, die in der Regel jährlich in der schwedischen Hauptstadt Stockholm verliehen wird, steht Handke wegen seiner pro-serbischen Haltung in den Jugoslawien-Kriege in den 1990er Jahren in der Kritik. Im pro-westlichen deutschen Mainstream wurde die Position Handkes damals wie heute kritisiert. Warum das so ist, kann leicht beantwortet werden. Der NATO-Krieg in Jugoslawien wird bis heute vom Westen verteidigt, während Serbien und auch Russland beispielsweise dieses völkerrechtswidrige Ereignis im Frühjahr an die Bombardierung Belgrads 1999 anlässlich des 20. Jahrestages im besonderen Maße erinnerten.

Auch News Front berichtete rund um den 7. Mai immer wieder über Gedenkveranstaltungen in Serbien, wo Reporter vor Ort berichteten. Vor 20 Jahren, wo Online-Medien noch kaum öffentlich wahrgenommen wurden, gab es beispielsweise in Deutschland nur wenige linke oder rechte Zeitungen und Zeitschriften, die kritisch über den NATO-Einsatz, überhaupt über die Jugoslawien-Kriege eine NATO-kritische Position eingenommen haben.

In Deutschland hob sich damals der Journalist und Publizist Jürgen Elsässer hervor, der damals überwiegend für linke Medien schrieb. Für seine Bücher und Artikel sind ihm auch heute viele Menschen in Serbien dankbar. Im neutralen Österreich hob sich der Journalist und damals schon vielfach preisgekrönte Literat Handke hervor. Bis heute sind sie ihrer damaligen Position treu geblieben. Handke löste Mitte der 1990er Jahre mit seinem publizistischen Wirken die sogenannte Serbien-Kontroverse aus, nachdem er im Zuge seiner Balkan-Reise den Reisebericht unter dem Titel Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien, der 1996 erschien, eine Kontroverse aus.

Es mag vielleicht nur Zufall sein, aber ohne jetzt alle Schriften und Handlungen des Kärntners auf die Goldwaage zu legen, so lässt sich dennoch ein Bruch in Sachen Preise und Auszeichnungen erkennen. Denn seit 1967 räumte der studierte Jurist Handke, der auch als Journalist und Übersetzer tätig war, eine Auszeichnung nach dem anderen ab. Literaturpreise, Ehrendoktoren und Auszeichnungen. Zwischen 1995 und 2001 als inmitten des Jugoslawien-Kriegs keine einzige Auszeichnung. Von 2001 bis zum diesjährigen Höhepunkt ging es wieder weiter: Literaturpreise, Ehrendoktortitel bis hin zum Nobelpreis, wo ihn die ernüchternde Vergangenheit einholte.

Dabei lassen die deutschen Leitmedien nichts aus, um gegen Handke Stimmung zu machen. Am stärksten argumentieren hierbei nicht unbedingt die notorischen NATO-Apologeten, sondern Journalisten mit bosnischen Wurzeln, deren Eltern nach Deutschland flüchteten, wo sie aufgewachsen sind. Aber auch zahlreiche Zeitzeugen und Überlebende kommen medial zu Wort, wo sie ihren Unmut für die Nobelpreis-Entscheidung zum Ausdruck bringen. Grund Handkes Haltung zum Massaker von Srebenica,

Handke wurde für die Verteidigung vom damaligen Präsidenten Jugoslawiens Slobodan Milosevic, dessen Grabrede er wie bei anderen Beteiligten auch später hielt. Von den damals beteiligten Bosniern verlangt man bis heute eine Entschuldigung für seine Position. Andere forderten gar den freiwilligen Verzicht auf den berühmtesten Literaturpreis, andere wiederholen lediglich ihren kritischen Standpunkt. Und Handke selbst? Er stellt sich der Kritik und nahm den Preis gestern entgegen.

Wie man aktuell zu Handke stehen soll, ist mehr oder weniger davon abhängig welche Sichtweise man auf die Trennungskriege in Jugoslawien hat. Wie steht man zum NATO-Einsatz im ehemaligen Jugoslawien, der erwiesenermaßen mit Lügen gerechtfertigt wurde. Wie bereits oben angeführt, sind die Einsätze bis heute umstritten. Wie ebenfalls angesprochen, wurde der Jugoslawien-Krieg in Deutschland medial überwiegend durch NATO-Propaganda flankiert.

Ansonsten hätten sich Handke und Elsässer für ihren Gegenstand damals nicht für einen pro-serbischen Standpunkt einen Namen gemacht, deren Standpunkt wohl aber nicht die breite Masse erreichte. Mit breiter Massser ist hier die deutschsprachige Bevölkerung gemeint, von der man wohl ausgeht, dass sie damals aufgrund der NATO-Deutungshoheit den ersten Kriegseinsatz Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg begrüßte. Aber war das wirklich so?

Zumindest heutzutage im digitalen Zeitalter steht die NATO heutzutage stärker in der Kritik. Und heute würde man einen solchen Einsatz nicht mehr so einfach rechtfertigen können. In Zeiten von Online-Medien ist es für die NATO schwer geworden, völkerrechtswidrige Angriffe auf souveräne Staaten zu rechtfertigen. Die Mär vom bösen Russen oder Serben zieht nicht mehr so einfach, wie vor 20 Jahren. Im genau deswegen lässt man heute aber auch nichts unversucht, durch solche Kontroversen, die Taten von damals indirekt zu rechtfertigen.

Im Übrigen wurde Handke auch nicht für seinen mutigen Gegenstandpunkt ausgezeichnet, sondern für das literarische Gesamtwerk, das seit über 42 Jahren besteht, sich zuvörderst auf die bis dahin verfasste Literatur bezieht, welche nicht durch sechs kontroverse Jahre gänzlich überschattet werden könnte. Aber dennoch bestimmt die Tätigkeit genau dieser Jahre die Kontroverse um die Person Handke, die eine bis heute nicht entschiedene Kontroverse in der Gesamtbewertung der Jugoslawienkriege darstellt.

Aber auch ein hybrider Kampf zwischen orthodoxen Christen und Muslimen, der letztlich auch Mitauslöser der Jugsolawienkriege war. Nicht umsonst äußerte sich der türkische Staatspräsident, Recep Tahiyp Erdogan, der die Herzen der Muslime im Balkan erobern will, kritisch und nannte Handke eine «rassistische Person». Religiöse, politische aber auch ideologische Haltungen bestimmen nach wie vor Diskussionen und Entscheidungen, wie die strittige Preisverleihung Handke, die von Kosovo und Albanien boykottiert wurde. Länder mit überwiegend muslimischer Bevölkerung, die bis heute mit Serbien um die Zugehörigkeit des Kosovo streiten.

Die Kontroverse um Handke ist deswegen im Informationskrieg zwischen Ost und West, zwischen Muslimen und Christen, zwischen Mainstream und Alternativen ein aktueller Schauplatz. Über den künftig noch viel berichtet wird.