Giftgas-Vorfall in Douma: Geleakte OPCW-Dokumente entlasten weiter Damaskus

Auch nachdem WikiLeaks-Begründer Julian Assange seit mehr als einem halben inhaftiert ist, veröffentlicht das Investigativ-Portal weiterhin geheime Dokumente. Diesmal geht es wieder um den Giftgas-Anschlag im syrischen Douma im April letzten Jahres, den die Anti-IS-Koalition, die von den USA angeführt werden, zum Anlass genommen haben, Syrien zu bombardieren.

Dabei war es bis zu diesem Zeitpunkt nicht zweifelsfrei nachgewiesen, dass die syrische Regierung hinter dieser Giftgas-Attacke steckt. Wochen zuvor gab es in internationalen Medien immer wieder Warnungen, die Weißhelme planen eine Giftgas-Attacke unter falscher Flagge, damit der Westen Damaskus diese Attacke vorwerfen kann.

Seit 2013 gab es immer wieder solche Anschuldigungen und inzwischen hat Syrien seine chemischen Waffen entsorgt und ist inzwischen Mitglied der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), die ihren Hauptsitz in der belgischen Hauptstadt Brüssel hat.

Folge: Luftangriffe des Westens auf Damaskus und Homs

WikiLeaks veröffentlichte gestern weitere Dokumente, die interne Meinungsverschiedenheiten innerhalb der OPCW darüber aufzeigen, wie Tatsachen in einer überarbeiteten Version eines Berichts über einen mutmaßlichen chemischen Angriff in Douma, Syrien, im April 2018 falsch dargestellt wurden.

Dennoch haben die USA, Frankreich und das Vereinigte Königreich am 14. April 2018 einen Luftangriff aus Damaskus und Homs verübt, um den angeblichen Giftgas-Anschlag der syrischen Regierung zu rächen. Der Angriff führte zu diplomatischen Auseinandersetzungen zwischen Russland und den USA. Russland, China und Syrien haben diesen Angriff als Aggression verurteilt, während westliche Länder, unter anderem Deutschland, befürworteten.

Auch innerhalb der OPCW war man sich offensichtlich uneinig, wie man den Angriff bewerten soll. Und bis heute konnte Syrien nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, den Chemiwaffen-Anschlag verübt zu haben. Ein solches Handeln wäre von Damaskus zum damaligen kontraproduktiv gewesen, denn zu diesem Zeitpunkt konnte Syrien mit Hilfe Russlands bereits weite Teile wieder unter Kontrolle bringen und ihren Machtanspruch sichern.

Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (englisch Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons, OPCW) ist eine unabhängige internationale Organisation, die durch die Vertragsstaaten der Chemiewaffenkonvention begründet wurde. Sie überwacht die Einhaltung und Umsetzung dieser Konvention und legt die Rahmenbedingungen für die Vernichtung von Chemiewaffen fest.

Wie bereits oben angesprochen ist Syrien dieser Organisation nach den Anschuldigungen aus dem Jahre 2013 ebenfalls beigetreten und muss sich an die Chemiewaffenkonvention halten.

Als die OPCW den Fall untersuchte, kamen bereits zu damaligen Zeitpunkt ohne Einsicht in die von WikiLeaks vorgelegten Dokumente zu Zweifeln, dass Syrien hinter den Angriffen vom April stecke. Den anscheinend wurden die Erkenntnisse der Ermittler vor Ort frisiert. Bislang gibt es auch nur einen Zwischenbericht über den Vorfall von Mitte April. Am 6. Juli 2018 wurde ein OPCW-Zwischenbericht veröffentlicht.Nervengas konnte demnach nicht nachgewiesen werden, jedoch Chlorrückstände, was den Einsatz von Chlorgas — zumindest für das Wochenmagazin Der Spiegel — nahelegte («wurde offenbar Chlorgas eingesetzt»). Allerdings kamen diese Ergebnisse aus heutiger Sicht bereits ziemlich chaotisch zusammen.

Spezialisten von der Untersuchung ausgeschlossen

Die von WikiLeaks veröffentlichten Dokumente sind auf der Seite des Investigativ-Portals abrufbar und in englischer Sprache verfasst. Neben der Pressemitteilung besteht die Möglichkeit die Dokumente herunterzuladen. Diese sind in englischer Sprache verfasst und

Darunter befindet sich ein Memorandum, das aus Protest von einem der Wissenschaftler verfasst wurde, der eine Ermittlungsmission (Fact Finding Mission, FFM) zur Untersuchung des Angriffs gesendet hatte. Es ist vom 14. März 2019 und an Fernando Arias, Generaldirektor der Organisation, gerichtet. Dies war genau zwei Wochen, nachdem die Organisation ihren Abschlussbericht über die Douma-Untersuchung veröffentlicht hatte.

WikiLeaks veröffentlicht zum ersten Mal auch den ursprünglichen vorläufigen Bericht sowie die überarbeitete Version (die von der OPCW veröffentlicht wurde) zum Vergleich.

Darüber hinaus veröffentlichte man einen detaillierten Vergleich des ursprünglichen Zwischenberichts mit dem überarbeiteten Zwischenbericht und dem Abschlussbericht sowie relevante Kommentare eines Mitglieds der ursprünglichen Ermittlungsmission. Diese Dokumente sollen dazu beitragen, die Reihe von Änderungen zu verdeutlichen, die der Bericht durchlief, wodurch die Fakten verzerrt und Verzerrungen gemäß den Aussagen der FFM-Mitglieder eingeführt wurden.

In dem oben genannten Memo heißt es, dass rund 20 Inspektoren Bedenken hinsichtlich des abschließenden FFM-Berichts geäußert haben, der ihrer Meinung nach „nicht die Ansichten der Teammitglieder widerspiegelte, die zu Douma entsandt wurden“. Nur ein Mitglied des Ermittlungs-Teams, das zu Douma ging, ein Sanitäter, soll zur endgültigen Fassung des Berichts beigetragen haben. Abgesehen von dieser einen Person wurde ein völlig neues Team zusammengestellt, das als „FFM-Kernteam“ bezeichnet wird.

Dieses neue Team war laut Memorandum mit Mitarbeitern besetzt, die „nur in Land X operiert hatten“. Es ist nicht klar, auf welches Land sich das bezieht, außer dass es vermutlich nicht Syrien ist. Obwohl es nur Spekulationen gibt, ist es möglich, dass sich Land X auf die Türkei bezieht, da die OPCW Teams in Flüchtlingslager geschickt hat, um dort Überlebende aus Douma zu interviewen.

Der Verfasser des Memorandums gibt an, dass er ursprünglich mit der Analyse und Bewertung der beiden am Ort des mutmaßlichen chemischen Angriffs gefundenen Zylinder beauftragt war. Dies war eine Aufgabe, die er übernahm, „insofern [er] eindeutig das am besten qualifizierte Teammitglied war, als er am Standort in Douma war und [seine] Fachkenntnisse in den Bereichen Metallurgie, Chemieingenieurwesen (einschließlich Druckbehälterdesign), Artillerie und Verteidigung vorweisen konnte F & E ”. Er fährt fort: „In den folgenden Wochen stellte ich fest, dass ich aus unklaren Gründen von der Arbeit ausgeschlossen wurde.“

Der Autor erklärt, er habe häufig darum gebeten, über den Fortschritt des Abschlussberichts auf dem Laufenden gehalten zu werden und den Entwurf prüfen zu dürfen, sei jedoch in beiden Punkten abgelehnt worden. «Die Antwort war äußerste Geheimhaltung».

Erhebliche Änderungen

Als der Abschlussbericht am 1. März 2019 veröffentlicht wurde, stellte sich heraus, dass sich die Schlussfolgerungen des Berichts in den Händen des neuen „Kernteams“, das ihn in seine endgültige Form gebracht hatte, erheblich geändert hatten: Bei den Aktivitäten auf dem Boden der  Syrisch Arabischen Republik war sich das FFM-Team einig, dass es Anzeichen für schwerwiegende Inkonsistenzen bei den Ergebnissen gab. Nach dem Ausschluss aller anderen Teammitglieder als eines kleinen Kaders von Mitgliedern, die in Land X stationiert waren (und im Oktober 2018 erneut stationiert wurden), scheint sich die Schlussfolgerung völlig in die entgegengesetzte Richtung gewendet zu haben. Die FFM-Teammitglieder finden das verwirrend und sind besorgt zu wissen, wie es dazu gekommen ist. “

Gegen Ende des Memos schreibt er:

Abschließend muss ich betonen, dass ich weder eine Meinung, ein Interesse oder eine feste Meinung zum technischen Teil der Angelegenheit noch ein Interesse an den politischen Ergebnissen habe. Ich interessiere mich für solide technische Genauigkeit; Wissenschaft, Technik und Fakten werden für sich selbst sprechen. “

Bereits am 23. November veröffentlichte WikiLeaks interne Mails der OPCW, die den Schluss nahe, dass der Abschlussbericht der Kontrollorganisation überarbeitet wurde. Es ging eine E-Mail von einem Mitglied des Ermittlungs-Teams, das den Angriff untersuchte und die Organisation beschuldigte, die ursprünglichen Erkenntnisse der Ermittler zu ändern, um Beweise für einen chemischen Angriff schlüssiger erscheinen zu lassen.

Was nicht passt, wird passend gemacht…

Letztlich veröffentlichte WikiLeaks weitere Beweise für die Nichtbeteiligung von Damaskus an einen Giftgas-Anschlag. Bereits zum Zeitpunkt des Angriffs auf Damaskus war die Beweislage sehr dünn. Bereits im vergangenen Jahr war klar gewesen, dass die Vorwürfe des Westens gegen die ungeliebte Assad-Regierung nicht bewiesen werden können. Anhand der WikiLeaks-Dokumente kann man nun nachlesen, dass man während der Untersuchung alles daran setzte, Experten auszuschließen, die das für den Westen passende Ergebnis in Zweifel ziehen könnten. Inzwischen hat sich die Lage für die syrische Regierung auch nicht verschlechtert, so dass es fraglich ist, wie relevant diese Enthüllungen von WikiLeaks im politischen Diskurs werden.