In Anlehnung an die Snowden-Affäre birgen die Enthüllungen westlicher Medien über die Geheimdienstkooperation zwar neue Details, aber wenig neue Erkenntnisse.
Anfang der Woche veröffentlichten westliche Staats- und Leitmedien, unter anderem das deutsche ZDF, ihre Recherchen zu «Cryptoleaks», die darlegen wie der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) und der US-Auslandsgeheimdienst (CIA) von 1970 bis 1993 gemeinsam mit einer Schweizer Dechiffriermaschine und den Verkauf von manipulierten Verschlüsselungsgeräten über 100 Regierungen auf der ganzen Welt abgehört haben. Gemeinschaftlich haben sie Fernmeldeaufklärung betrieben und die elektronische Kommunikation fremder Regierungen abgehört, womit sie über bestimmte Vorgänge in der Welt recht früh informiert waren.
«Operation Rubikon» hieß das gemeinsame Unternehmen zwischen der CIA und dem BND, das in der Schweiz über eine private Firma betrieben wurde, der Crypto AG, die 1970 sogar an der damaligen Regierung vorbei an die beiden Geheimdienste verkauft wurden. Ein Vorgang, der in der Schweiz nun ein Untersuchungsausschuss klären soll, denn die Regierung sagt, sie wusste nichts von der heimlichen Übernahme.
«Die Tatsache, dass Länder mithilfe von Geräten der Crypto AG ausspioniert wurden, überrascht mich nicht», sagt der ehemalige grüne Zuger Nationalrat Jo Lang im «Tagesgespräch» von Radio SRF. Dass jedoch auch Staaten wie Österreich oder der Vatikan «von dieser Zuger Firma verarscht worden sind», überrasche ihn sehr wohl.
Deswegen wird ein Untersuchungsausschuss gefordert, der nun Licht ins Dunkel bringen soll, wie damals bei der NSA-Affaire, wo durch den prominenten Whistleblower Edward Snowden mit Hilfe von WikiLeaks, die Überwachungspraxis der USA einen weltweiten Skandal auslöste. Der damalige Untersuchungsauschuss im Deutschen Bundestag konnte zwar weitere Details enthüllen, welche nicht freiwillig, sondern über WikiLeaks öffentlich zugänglich gemacht wurden.
Beides hängt insoweit mit zusammen, weil die USA nach dem Ende der Partnerschaft mit dem BND im Rahmen der Operation Minerva weiterhin auf der ganzen Welt Daten ausspähte. Auch der BND spionierte weiter, sogar in den USA wurde die Kommunikation von US-Behörden und Regierungsvertretern abgefangen, entschlüsselt und abgehört. Nicht über die Schweiz, sondern mit eigenen Kapazitäten und den strategischen Aufklärungskommandos der Bundeswehr.
Die Partnerschaft zwischen BND und CIA hatte sicher bessere Zeiten durchlebt, denn sie bestand seit der Gründung des Bundesnachrichtendienstes im Jahre 1955 durch General Reinhard Gehlen, der im Zweiten Welt im Generalstab in der Abteilung «Fremde Heere Ost» ausgezeichnete Aufklärung betrieben hat, deren Ergebnisse er den US-Truppen nach dem Zweiten Weltkrieg angeboten hat, die schließlich zur Partnerschaft zwischen Bonn und Washington während des Kalten Krieges führte.
Von der «Operation Rubikon» wurde selbst die Hauptverwaltung Aufklärung nichts, die im Auftrag des Ministeriums für Staatssicherheit Auslandsaufklärung betrieben hat, deren Ergebnisse nach dem Ende der DDR die westliche Geheimdienstwelt verblüffte. Klaus Eichner war damals in der HVA als Chefanalytiker tätig und sagte im Gespräch mit dem russischen Nachrichtenportal Sputnik, er wusste nichts von Cryptoleaks und der Operation Rubikon.
Ihm sei lediglich bewusst gewesen, dass die Partnerschaft zwischen West-Deutschland und den USA immer ein gewisses Misstrauen nach sich zog, weswegen beide sich gegenseitig ausspionierten. Unbekannt waren lediglich die technischen Details, also dass die USA ein Deutschland im Rahmen der Auslandsspionage ein Joint-Venture in der Schweiz eröffnet hatten. Der Ost-Geheimdienst HVA und der Partner in Moskau, der KGB, setzen im Rahmen des Kalten Krieges verstärkt auf die menschliche Spionage, englisch human intelligence (HUMINT), weniger aber auf die elektronsiche Aufklärung, im Jargon auch signal intelligence (SIGINT) genannt.
Die Enthüllung des ZDF und anderer Medien im Falle Cryptoleaks unterscheidet sich deutlich vom typischen Investigativ-Journalismus, der tatsächlich auf geleakte Daten beruht. Zwar wird von einer umfassenden Enthüllung gesprochen, gar von einer Sensation. Was aber wirklich ans Tageslicht kam, ist sehr allgemein und abstrakt. Von den 100 Ländern wurden nur wenige Beispiele wie der Iran genannt. Ob Osteuropa im Kalten Krieg von dieser Operation betroffen war, ist zwar zuzumuten, aber wird nicht explizit genannt.
So resumiert auch Eichner nüchtern über die Enthüllung: „Das ist nicht ganz so neu, dass die sich gegenseitig ausspionieren. So ein Beispiel wie ‚Rubikon‘ macht das natürlich noch plastischer.“ Der MfS-Spezialist weiß aber auch nicht, ob die jetzt bekannt gewordenen Aktivitäten von CIA und BND sich auch gegen die damaligen sozialistischen Länder richteten. Über die Crypto AG berichtete erstmals 1996 das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, der damals schon Zusammenhänge zwischen den beiden westlichen Geheimdienste erwähnte.
Die jetzigen Enhüllungen werden in Schweizer Medien als „grösste und erfolgreichste Geheimdienstoperation aller Zeiten“ beschrieben, über die man nichts gewusst haben wollte. Da Länder wie Saud-Arabien der Iran und Chile die größten Kunden der unterwanderten Crypto AG waren, war man über die historischen Umstürze 1973 in Chile und 1979 in Teheran bestens in Deutschland informiert.
Die Zusammenarbeit zwischen Geheimdiensten und privaten Firmen ist spätestens seit der NSA-Affäre keine Überraschung mehr, sondern vielmehr war es immer schon gängige Praxis gewesen, dass Geheimdienste an IT-Firmen lukrative Aufträge vergeben, um somit die Verantwortung für (illegale) staatliche Überwachung und Spionage ins Privatrecht verlagern beziehungsweise den staatlichen Bezug dieser Praxis zu verschleiern.
Deutsche, aber europäische Verschlüsselungs- und Überwachungstechnik, ist weltweit gefragt. Länder, die man in Deutschland als Diktaturen brandmarkt, sind für Firmen wie Hacking Team aus Mailand ein Millionengeschäft. Das enthüllte WikiLeaks 2015 auf ihrer Plattform, wo herauskam, dass der Sudan seine Überwachungssysteme aus Italien bezieht. In Deutschland boomt gerade der Sektor IT-Sicherheit und auch der Staat versucht eine digitale Agenda für die Zukunft erfolgreich zu gestalten.