Erdogan stimmte in Moskau Putin in allen Punkten zu. Waffenstillstand seit Freitagmitternacht in Kraft. Syrische Armee kann weiter vorrücken. Westen beschwört Kapitulation der Türkei gegenüber Russland.
Die Militäroperation «Frühlingschild» Ankaras in Syrien war von Anfang an nicht so gelaufen, wie es sich die türkische Regierung vorgestellt hat. Das lag vor allem auch an der Durchschlagskraft der syrischen Armee, die auch regulären türkischen Truppen trotzte.
Bislang hatte es die Syrisch-Arabische Armee lediglich mit Anti-Damaskus-Milizen zu tun gehabt, die von Ankara seit Beginn des Syrien-Konfliktes unterstützt wurden. Ob die Freie Syrische Armee (FSA), Syrische Nationalarmee (SNA) oder auch dschihadistischen Gruppen wie Hay´at Tahrir asch-Scham (HTS) konnten lange Zeit auf die Hilfe der Türkei zählen.
In westlichen Medien wurden Al-Kaida-Ableger oder schwer bewaffnete Militante gerne als «moderate Rebellen» bezeichnet, über die man im Kampf gegen die unbeliebte Regierung in Damaskus eher positiv berichtet.
Die Sicherheitszone in Idlib gilt seit Jahren als letzte Terroristenhochburg in Syrien, die an der türkischen Grenze liegt und als Rückzugsort diente. Seit Ende Februar geraten syrische und türkische Truppen direkt aneinander.
Oftmals befinden sich türkische Soldaten unter den Rebellen der Anti-Damaskus-Fraktion, deren Opfer immer dann beklagt wurden, wenn ein syrischer Angriff aus der Luft oder vom Boden aus glückte.
Da es kein Geheimnis ist, dass die russische Luftwaffe den syrischen Bodentruppen Feuerunterstützung leistete, rechnete die westliche Propaganda am liebsten alle türkischen Opfer den russischen Luftangriffen zu.
Die zahlreichen toten türkischen Soldaten kamen gestern in Moskau ebenfalls zur Sprache. Russlands Präsident Wladimir Putin bedauerte gegenüber seinem Amtskollegen Recep Tajip Erdogan den Tod türkischer Soldaten, wiederholte aber auch die Position des russischen Militärs, die nicht über die Präsenz türkischer Soldaten in den Rebellenhochburgen informiert waren.
Trotz direkter Verbindungen beider Militärs habe die türkische Seite den Standort ihrer Soldaten den Russen nicht mitgeteilt. Die türkische Seite begründet die Präsenz ihrer Soldaten im Übrigen mit dem Andana-Abkommen aus den 1990er Jahren, das türkischen Truppen erlaubt, in bis zu 20 Kilometern Tiefe ins syrische Gebiet vorzudringen, um Terrorgefahren abzuwenden.
Ob dieses Abkommen im aktuellen Konflikt überhaupt Anwendung findet, ist nicht unumstritten. Jedenfalls wird diese Grenze ebenfalls von den Türken oftmals überschritten, die wie die USA, Frankreich und Großbritannien völkerrechtswidrig mit Militärs in Syrien präsent sind. Ein vollständiger Rückzug türkischer Militärs stand gestern in Moskau allerdings nicht zur Debatte, sondern es wurden drei wesentliche Punkte vereinbart.
(1) Ab Freitagmitternacht gilt in der Region von Idlib eine Waffenruhe, wonach alle Kampfhandlungen einzustellen sind. (2) Entlang der M4-Trasse wird eine sechs Kilometer lange Pufferzone errichtet. (3) Ab dem 15. März werden russische und türkische Militärs in der Region gemeinsame Patrouillen starten.
Erdogan stimmte Moskau in allen Punkten zu, muss sich aber nicht vollständig aus Syrien zurückziehen, so dass Ankara nicht vollständig sein Gesicht dort verliert. «Für Erdogan gab es keinen anderen Ausweg», resümierte der Abgeordnete im Russischen Föderationsrat Oleg Morotow Erdogans Zugeständnis.
Putin hingegen betonte das besondere Verhältnis zu Ankara und unterstrich, dass sich das angespannte Verhältnis mit der Türkei wieder normalisieren wird. Am Astana-Format mit Iran halten beide Staaten ebenfalls fest, so dass der Westen seine Position nach gestern nicht verbessern konnte.
Russland und die Türkei haben in der Vergangenheit bewiesen, dass beide Staaten Konflikte durch Diplomatie und Dialog lösen können. Das Verhältnis beider Staaten verbesserte sich seit Juli 2016, nachdem beide Staaten ihre Sanktionspolitik beendeten, die man sich gegenseitig nach dem Abschuss der Su-24 Ende November 2015 gegenseitig verhängte.
Kurz darauf fand in Ankara ein gescheiterte Militärputsch statt, der vom Westen orchestriert wurde. Russland stützte die türkische Regierung während dieser Phase und beide Staaten vereinbarten Ende Dezember 2016 die Friedensgespräche in Astana (Nursultan), der Hauptstadt Kasachstans.
Der Schwerpunkt des russisch-türkischen Interessenkonfliktes basiert auf der Tatsache, dass Russland die syrischen Regierungstruppen unterstützt und auch nicht vor Anti-Damaskus-Milizen halt macht, selbst wenn diese im Verbund mit türkischen Soldaten gegen die Syrisch-Arabische Armee kämpft.
Syrien gewinnt durch das Treffen weiter an Boden, denn die Frontlinie wird sich nun entlang der M4-Autobahn verschieben liegt ,damit noch viel nördlicher aus syrischer Sicht. Ankara muss sich auf Dauer damit abfinden, dass die syrische Regierung nicht gestürzt werden kann und akzeptierte bereits auf dem Gipfel in Sotschi mit Russland, dass Damaskus auf lange Sicht die vollständige Kontrolle über das syrische Gebiet wiedererlangen soll.
Ob Erdogan tatsächlich eine Niederlage erlitten hat ist in Anbetracht des Gesamtkontextes zweifelhaft. Zwar ist die aktuelle Militäroperation nicht geglückt, gleichzeitig hält sich Erdogan durch die Waffenruhe an die Vereinbarung, dass Damaskus tatsächlich auf Dauer seine vollständige Souveränität wiedererlangen wird. Zudem kann Erdogan innerpolitisch seine Gegner beschwichtigen, die durchaus kritisch der jüngsten Militäroperation gegenüberstanden.