Politik und Medien vertuschen Polizeigewalt in Berlin, die sie in Minsk aufbauschen

Gleichzeitig werden die Szenen vom Reichstag zum Sinnbild der Corona-Proteste stilisiert. Die Berliner Polizei ist seit Tagen im Dauereinsatz und geht gleichzeitig hart und rabiat gegen Demonstranten vor, dennoch werden sie zu Helden stilisiert.

«Heldenpolizistian wehren bis zu 400 Chaoten ab», jubelt Bild derzeit und mein damit den «Sturm auf unseren Reichstag», ein kleiner Ausschnitt von zahlreichen Anti-Corona-Demos, die man am Samstag am liebsten verboten hätte. Videos mit Polizisten, die den Knüppel gegen Demonstranten schwingen und ein Polizist, der sofort auf einen Demonstrant auf der Reichstagtreppe schlug. Das sind für das Springer-Blatt Bild die sogenannten «Helden», die das Bundesvedienstkreuz verdient hätten. Ganz gleich, wie man diese Szenen auch werten will, sie lenken ab und verwischen das Gesamtbild der Corona-Proteste.

Durch Blockaden und Schikanen wollte die Polizei vierlerorts die Demonstranten in die Enge treiben und zum Maskenzwang nötigen und schließlich die Versammlung auflösten. Die Verbotstaktik um die Demonstrationen nicht gerichtlich, sondern polizeilich zu zerschlagen — scheiterte am Mittag kläglich für SPD-Innensenator Andreas Geisel. Nachts löste man schließlich das Protestcamp auf, eine Spontanversammlung der Hauptakteure Widerstand 711, deren Protest am Sonntag aufgelöst.

Besonders in der Nacht waren die Polizisten, die zum Teil auch aus anderen Bundesländern kamen, leisteten in Berlin Amtshilfe. Beispielsweise waren bei der nächtlichen Auflösung das Protest-Camp aufgelöst worden und der freie Reporter Boris Reitschuster war mit Kamera vor Ort war, sah und filmte viele Akte der Polizeigewalt. Reitschuster, einst vom Mainstream als scharfer Putin-Kritiker gefeiert, wird heute von seinen Ex-Kollegen vom Nachrichtenmagazin Der Spiegel auf Twitter für seine Berichterstattung beleidigt.

Ich muss ganz offen gestehen, dass ich von dem Vorgehen der Behörden entsetzt war und mich an meine Zeit in Moskau erinnert fühlte. Einen «Schutz gleich­wertiger Rechts­güter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnism­äßigkeit» sehe ich nicht mal ansatzweise. Immer öfter erlebe ich in Berlin, was ich noch vor einigen Jahren für unmöglich gehalten habe: Dass Recht und Gesetz von staatlicher Seite faktisch ignoriert werden und dies sehr zynisch verkleidet wird, so der ehemalige Moskau-Korrespondent auf seinem Blog Reitschuster über die Vorgänge in Berlin in der vergangenen Nacht.

Würde Reitschuster heute solche Szenen aus Moskau oder aus Minsk liefern, wäre er auf ARD oder im linken Mainstream als Osteuropa-Experte Dauergast. Kritik an den Berliner Verhältnissen sind dagegen unerwünscht, dennoch verfügt er als freier Reporter eine beachtliche Anhängerschaft von über 40.000 Followern auf Twitter, wo er seine eigenen Eindrücke vor Ort veröffentlicht. Reporter des Mainstreams waren nicht in der Nähe, um dieses Geschehen festzuhalten.

Das staatliche ARD arbeitet immer noch die Vorgänge von gestern vor dem Berliner Reichstag auf, von dem Reitschuster im Übrigen auch einen anderen Eindruck hat. «Keine Distanz» , beklagt ein ARD-Beitrag die Ansicht, dass sich die Anti-Corona-Bewegung sich nicht von den vielen «Rechtsextremen» distanziert, die mit Reichsflagge auf einmal auf den Treppen des Reichstags standen. Reporter vor Ort wie Billy Six oder Reitschuster vermitteln jedoch den Eindruck, dass sogenannte Reichsflaggen immer mal wieder zu sehen waren, aber sicherlich die Minderheit waren.

Dennoch verweist man lieber auf die Szenen vor dem Reichstag oder der Russischen Botschaft, wo Attila Hildmann verhaftet wurde. Eine Szene die gerne geteilt und bejubelt wurde. «Das ist Antifa», lautet das Motto der linksliberalen Twitter-Gemeinde, die teilweise sogar mehr Einsatz von der Polizei verlangten. Eine oft geteilte Szene ist ein über 20 Jahre altes Video aus Luxemburg, wo die Polizei Rechtsextremisten aus Deutschland schonungslos verprügelt. «So macht man das», finden manche, die hier auf einmal Polizeigewalt bejubeln, die der Mainstream in Minsk aber beklagt.

Die meisten Gewaltszenen der Polizei, wo es zu brutalen Festnahmen kam, war an solchen Orten, wo Versammlungen aufgelöst wurden. Mal wurden angemeldete Versammlungen aufgelöst, mal Spontan-Versammlungen, die nicht vorher angemeldet wurden. Rechtsanwalt Markus Haintz, der die Veranstalter der Corona-Demos jurisitsch vertritt und die Demonstrationen aktiv mitgestaltet, weiß, dass auch Spontanversammlungen nicht ohne Weiteres aufgelöst werden dürfen und dürfte momentan auch mit den Verwaltungsgerichten in Kontakt stehen.

Seine Aktivisitengruppe Querdenken 711 aus Baden-Württemberg hatte bestimmt nicht vor gehabt, den Reichstag mit alter Kaiserflagge zu stürmen. Aber Szenen wie diese oder die Vorfälle an der russischen Botschaft wird nun auch dieser Gruppe zugerechnet, die sich absolut friedlich verhält und immer betont, dass sie noch an Demokratie und Rechtstaat glaubt und ihr Anwalt das vor dem Verwaltungsgericht zumindest teilweise bewiesen hat. Jedenfalls gibt es noch Richter und Verwaltungsjuristen, die sich nicht für politische Zwecke des Berliner Innensenators, aus welchen Gründen auch immer, einspannen lassen.

Allerdings machte es die Berliner Senatsverwaltung es den Richtern mit ihrer linkspopulistisch untermauerten Verbotsverfügung ziemlich einfach, denn ein Versammlungsverbot aus politischen Gründen zu erlassen ist immer ein genommenes Lehrbeispiel für ein rechtswidriges Handeln der Verwaltung. Deswegen war es auch wenig verwunderlich, dass Mainstream-Medien wie Bild-Zeitung diese richterliche Entscheidung begrüßten und dafür vom linken Establishment für ihren Beitrag «Ein Sieg für unseren Rechtsstaat» kritisiert werden. Generell hielten sich Journalisten damit zurück, die Berliner Verwaltungsrichter anzugehen, nur weil sie die Verbotsverfügung als rechtswidrig bewerten, was auch an dieser Stelle zu vermessen wäre.

Die Reichsflagge (Schwarz-Weiß-Rot) ist für Medien und Politik ein Tabu und oftmals erliegen viele dem Irrtum, die alte deutsche Flagge aus der Kaiserzeit von 1871-1918, sei verboten. Wer dieses Tabu bricht und sich öffentlich mit ihr zeigt, gilt als «Reichsbürger» oder «Rechtsextremist» und ein Fall für den Verfassungs- und Staatsschutz. Oftmals irrtümlich und umgangssprachlich als Nazi-Flagge verschmäht, so gibt es für den linken Mainstream nichts schlimmeres als eine Demonstration, wo viele solcher Flaggen wehren. Am liebsten würden einige sie sogar verbieten.

Gerne hingegen und mit voller Romantik und Leidenschaft zeigt man gerne Bilder aus Minsk, wo die alte Flagge der Republik Belarus (Weiß-Rot-Weiß) von vielen Oppositionellen gezeigt wird, die gegen die Diktatur von Lukaschenko auf die Straße gehen. Die Tatsache, dass diese Flagge auch in der Zeit der NS-Besatzung im Zweiten Weltkrieg als Landesflagge verwendet wurde (ebenso war sie es zwischen 1991 und 1995 auch, Lukaschenko ersetzte sie durch die alte Flagge der Sowjetrepublik unter Auslassung des Symbols Hammer und Sichel), interessiert dann niemanden mehr, oder wird bewusst unter den Teppich gekehrt.

Um das gleich zu veranschaulichen, sei hier ein Foto aus der Zeit gezeigt. Aber auch der Umsturz in Kiew 2014 gezeigt, der im Westen als «friedliche Revolution» gefeiert wurde, wie zynisch und doppelzüngig Politiker und Medien mit diesem Thema umgehen. Vor allem Präsident Frank-Walter Steinmeier war sich nicht zu fein, sich mit waschechten Rechtsextremen zu treffen, während Neo-Nazi-Bataillone im Osten der Ukraine rauben, morden und vergewaltigen.

«Ihr habt kein Recht!», schrie er damals seine Kritiker aus der Friedensbewegung an, die ihn für sein Engament in Kiew kritisierten. Wie auch sein bereits verstorbener Vorgänger Guido Westerwelle besuchte er als Außenminister Kiew im Zuge des Maidan-Putsches und hatte keine Berührungsängste mit den Rechten. Dieses Verhalten wurde in Moskau als ausländische Einmischung betrachtet und auch in Deutschland zum Teil mit großer Skepsis wahrgenommen. Es spricht für sich, dass die Volksversammlung ihn zum Präsidenten wählte und nicht die Bürger, wie es in Belarus beispielsweise der Fall war.

Durch dieses Demokratie-Defizit war es überhaupt erst möglich, dass Steinmeier Präsident wurde. Und genau dieser Präsident kritisiert nun die Wahlen in Belarus, lobt den dortigen Protest und bezeichnet die Proteste in Berlin als einen «Angriff auf das Herz unserer Demokratie» — an Zynismus, Heuchelei und Selbstverliebtheit kaum noch zu überbieten. Wen wundert es da noch, dass man in Berlin mit Reichsflagge demonstriert und sich den guten alten Kaiser zurückwünscht. Man könnte ja fast meinen, mit diesem Präsidenten-Wahlrecht, das im Grundgesetz ein solches Wahl-Prozedere festlegt, wollten die Besatzer das Deutsche Volk auf ewig bestrafen.

Demonstrationsverbote und Auflösungen von Versammlungen gab es am Ende dann doch zahlreiche, über die man sich in den Leitmedien hinwegsetze. Der Fokus liegt aktuell in der Aufarbeitung des «Reichstags-Sturms» und dieses Thema wird lieber heute in Belarus aufgebauscht, wo es heute wieder zu großen Protesten kam. Wenn dort OMON-Milizen (so nennt man dort die speziellen Einsatzkräfte) Demonstranten verhaften, wird das aktuell breit skandiert, um den Blick auf das Vorgehen der eigenen Polizei zu vertuschen. Sie werden gerade als Helden im Mainstream gefeiert.  Wurde eine Demonstration in Minsk von der Polizei aufgelöst ist es — egal ob genehmigt oder nicht — ein Skandal.

Wie sich diese Doppelmoral am besten beweisen lässt, dafür reicht ein kurzer Blick auf die öffentlich-rechtliche Seite von ARD-Tagesschau, die heute vor allem Minsk und Berlin im Fokus haben.

«Alle Menschen sind gleich, aber andere sind noch gleicher», diesen Spruch kennt man aus dem Zeichentrick Animal Farm und genau mit diesem Maßstab und Ideologie agieren gerne Politiker und ihre Leitmedien. Es gibt nun mal die «Helden von Berlin» und die «brutalen Schläger aus Minsk» in der Welt von Innensenator Andreas Geisel, Außenminister Heiko Maas oder Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, die allesamt Genossen der SPD sind, die sich wie bei Farm der Tiere moralisch auf die Schulter klopfen.

Es gibt deswegen auch «friedliche und demokratische Proteste» in Minsk, die ein Zeichen für Freiheit und Demokratie setzen und halt auch die «schockierenden» und «unerträglichen» Szenen aus Berlin, wo das Verhalten einiger Hundert Teilnehmer der Stempel für die gesamte Anti-Corona-Bewegung sein soll. Fairerweise muss man an dieser Stelle betonen, dass nicht nur die drei SPD-Genossen dieses Bild prägen, sondern heute empörten sich Spitzenpoliker von AfD bis SPD über die Szenen vom Berliner Reichstag.

 

Von Alexander Saar-Demichel, exklusiv für News Front