Angriff auf Armenien – Wenn der Kaukasus zu brennen beginnt

Wenn zwei ehemalige Sowjetrepubliken im Kaukasus um einen Gebirgszug streiten, denken viele Menschen an einen lokalen Konflikt, der von uns in Europa nur wenig Beachtung verdient.

von Patrick Poppel, Russlandexperte und Generalsekretär der Österreichisch Abchasischen Gesellschaft

Leider war der aktuelle Angriff der Truppen des Aserbaidschan auf die Republik Arzach (früher bekannt als Bergkarabach) am 27. September 2020 kein eskaliertes Scharmützel an einer militarisierten Kontaktlinie sondern der Beginn einer lange geplanten Offensive.

Auch wenn man über die völkerrechtliche Zugehörigkeit dieser Provinz, welche sich unter armenischer Kontrolle befindet, streiten kann, müssen wir diese dramatische Entwicklung in der Kaukasus-Region im Zusammenhang mit den geopolitischen Ambitionen der Türkei analysieren.

In der Strategie des Präsidenten der Türkei Recep Tayyip Erdoğan den türkischen Einfluss nicht nur in Syrien und am Balkan, sondern auch am Kaukasus auszubauen, ist der Aserbaidschan seine wichtigste Operationsbasis.

Nicht nur die geografische Lage Aserbaidschans am Kaspischen Meer, sondern auch der ständige Konflikt mit Armenien bieten eine große Chance die Träume einer «Großtürkei» weiterzuspinnen und zu realisieren.

In seinem Größenwahn eines Türkischen Großreiches genügt es Erdoğan nicht die EU in der Flüchtlingsfrage zu erpressen oder sich durch die massive türkische Migration in den Staaten Europas eine hörige 5. Kolonne aufzubauen, nun geht es ihm, wie wir es auch schon in Syrien gesehen haben, um reale Landnahme.

Diese wird allerdings im Falle der armenischen Territorien nicht durch die reguläre Türkische Armee, sondern durch seine Helfershelfer die Azeris (Das im Aserbaidschan ansässige Turkvolk) durchgeführt, welche bereits dieses Vorgehen bei einem türkisch- aserbaidschanischen Manöver eintrainiert haben.

Besonders vor dem Hintergrund des fürchterlichen Volkermordes an den Armeniern am Anfang des letzten Jahrhunderts, sollten die Menschen in Europa nun aufwachen und sich gegen die türkischen Expansionspolitik wenden.

Wenn man bedenkt, dass Armenien eine 7000 Jahre alte Geschichte hat und zudem das älteste christliche Land der Welt ist, während der Aserbaidschan nicht einmal auf eine 100 Jahre alte Staatlichkeit verweisen kann, ist der Angriff auf Armenien auch als ein Angriff auf die Zivilisierte Welt zu werten.

In jedem Fall ist die aktuelle Entwicklung im Südkaukasus sehr gefährlich für die Erhaltung des Friedens in der gesamten Region.
Hier prallen die Interessen des Nato-Staates Türkei, des Irans und der Russischen Föderation aufeinander.

Auch das Verhältnis zwischen Georgien und Russland, wie die Situation der international nichtanerkannten Staaten Abchasien und Südossetien, aber auch die muslimisch geprägten Regionen Russlands Tschetschenien und Dagestan bieten ein weiteres Spannungsfeld.

Ein kleiner Funke am Kaukasus kann sehr schnell einen verheerenden Flächenbrand erzeugen. Ähnliches ist uns aus der Geschichte vom Balkan bekannt.

Die Tatsache, dass immer mehr militante Muslime in den Aserbaidschan gelangen und sich auf der anderen Seite der Front Armenier aus der ganzen Welt zur Verteidigung ihrer Heimat melden, erzeugt ein starkes Konfliktpotential, dessen Folgen noch nicht absehbar sind.

Die unterschiedliche Haltung der einzelnen kaukasischen Völker und Staaten zueinander, wie die Zugehörigkeit zu Christentum oder Islam, könnten nun den Kaukasus in zwei oder mehr Lager spalten.

Da ich den Kaukasus sowohl von mehreren Reisen, meiner Tätigkeit für die Republik Abchasien und durch familiäre Bande sehr gut kenne, möchte ich auch auf das Temperament der Menschen dort hinweisen, welches sich durch Einsatzbereitschaft für die Sippe, den Stamm und das Volk stark von uns Europäern unterscheidet.

In dieser angespannten Situation, könnte es auch zur gewaltsamen Begleichung vieler alter und aufgeschobener Rechnungen kommen.

Wie bereits in den letzten Jahren wird auch wieder Russland als Vermittler zwischen Armenien und dem Aserbaidschan auftreten. Dieses mal aber sicher mit weniger Erfolg als früher.

Es bleibt wohl den westlichen Massenmedien überlassen, diesen Konflikt als die Eskalation einer regionalen Gebietsstreitigkeit zwischen zwei postsowjetischen Staaten darzustellen.

Aber uns in Europa sollte die Offensive am letzten Wochenende eine Lehre sein, welches Schicksal den Volkern beschert ist, die dem Expansionsdrang eines neu erwachenden Osmanischen Reiches im Wege stehen.