Hamas als Garantin für die palästinensische Spaltung

Der deutsch-israelische Soziologe Moshe Zuckerman über die Eskalation im Nahen Osten, die israelische Innenpolitik und die Antisemitismusdebatte.

von Ramon Schack

Sie sagten kürzlich, Israel brauche die Hamas und die Hamas brauche Netanjahu. Was heißt das konkret?

Moshe Zuckermann: Die Entstehung der Hamas vor rund vierzig Jahren wurde von Israel mitinitiiert und befördert, weil Israel einen Keil zwischen den palästinensischen Lagern treiben wollte und dabei die islamistische Hamas gegen die säkulare PLO unter Arafat stark machen wollte. Die Hamas war von Anbeginn für Israel eine Garantin für die palästinensische Spaltung.

Die Hamas ihrerseits braucht Israel, weil es ihre Raison d’etre perpetuiert. Es ist kein Zufall, dass Israel bei allen Gaza-Kriegen stets darauf aus war, die Hamas zu schwächen, aber ja nicht endgültig zu zerschlagen. Israel lässt auch zu, dass Katar die Hamas finanziert.

Noch Ende März, nach den jüngsten Wahlen in Israel, sah es danach aus, als würden die arabischen Parteien so etwas wie ein Zünglein an der Waage bilden. Mansour Abbas, dem Vorsitzende der konservativen arabischen Raam-Partei, kam die Rolle des potenziellen Königsmachers zu, heftig umworben von Premierminister Netanjahu. Welche Auswirkungen wird der aktuelle Konflikt auf die Regierungsbildung und die politische Landschaft haben?

Moshe Zuckermann: Ob Mansour Abbas noch das Zünglein an der Waage ist, wird sich herausstellen müssen. Die Gewalteskalation hat ihn in Zugzwang gebracht: Er kann sich nicht mehr einfach mit den rechten antiarabischen Parteien verbünden, weil sein Wahlvolk es nicht mehr ohne Weiteres hinnehmen kann.

Sein jüngster Besuch in einer von Arabern in Brand gesetzten Synagoge hat ihm einige Schelte vonseiten seiner eigenen Leute eingebracht. Er scheint im Moment geschwächter als zuvor. Der jüngste Konflikt wird sich entscheidend auf die Regierungsbildung auswirken, wie ich oben dargelegt habe. Aber das größere Problem ist in seiner Wirkung auf die innerisraelische Beziehung zwischen Juden und Arabern zu sehen — die zivilgesellschaftliche Koexistenz ist vermutlich heftig beschädigt. Es wird lange dauern, bis sie sich wieder «normalisieren» wird.

In Israel selbst kam es an vielen Orten zu schweren Zusammenstößen zwischen Angehörigen der arabischen Minderheit und den Sicherheitskräften. Welche Folgen wird dieses für den Zusammenhalt der Gesellschaft haben, die ja ohnehin schon tief gespalten ist, selbst innerhalb der jüdischen Bevölkerung?

Moshe Zuckermann: Es waren nicht nur die Zusammenstöße zwischen den Arabern und den Sicherheitskräften, sondern die zwischen den Arabern und den Juden, die die Bevölkerung in Schock versetzt haben. Es wurde offenkundig, welche Hass- und damit einhergehende Gewaltpotenziale sich in der Gesellschaft angestaut haben. Das kam nicht von ungefähr, denn abgesehen von schierem Vandalismus bildete sich in diesen Exzessen der Frust und der Zorn großer Teile der arabischen Minderheit ab, die in Israel seit Jahrzehnten ein Leben als Bürger zweiter Klasse fristen müssen. Vielleicht werden die Ausbrüche während der Krise als Alarmzeichen wahrgenommen werden. Ausgemacht ist dies aber nicht.

In Deutschland wird dieser Tage viel über Antisemitismus berichtet, vor allem mit Blick auf propalästinensische Demonstrationen. Sie selbst, als israelischer Staatsbürger und Jude, wurden schon in Deutschland von Deutschen des Antisemitismus beschuldigt. Werden die Begriffe «Juden», «Zionismus», «Israel» und «Antisemitismus» in der deutschen Öffentlichkeit verwechselt oder gar falsch verwendet?

Moshe Zuckermann: Ja, der Meinung bin ich und habe dies auch schon oft genug theoretisch wie empirisch in Deutschland dargelegt. Allerdings vergeblich, wie es scheint, und wie sich angesichts der gegenwärtigen Krise wieder herausstellt. Es muss ein für alle Mal verstanden werden: Judentum, Zionismus und Israel sind drei verschiedene Kategorien und entsprechend auch Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik.

Das zeigt sich schon daran, dass nicht alle Juden Zionisten, nicht alle Zionisten Israelis und nicht alle Israelis Juden sind. Es ist klar, warum diese Kategorien in Deutschland allzu häufig gleichgesetzt werden. Das bedient deutsche Befindlichkeiten und Bedürfnisse der Schuldabtragung. Aber nicht nur ist diese Gleichsetzung an sich falsch, sondern sie bedient objektiv auch die Interessen der israelischen Propaganda.

 

Quelle: Telepolis