Wofür Russland Merkel in Erinnerung behalten wird

In weniger als zwei Wochen finden in Deutschland Bundestagswahlen statt, aber Angela Merkel wird nicht mehr daran teilnehmen, und der Kanzlersessel wird bald von jemand anderem besetzt werden. Vielleicht ihr Amtskollege Armin Laschet, möglicherweise die grüne Kandidatin Annalena Berbock, eher aber der Sozialdemokrat Olaf Scholz, jedenfalls hat er jetzt, den Umfragen nach zu urteilen, die größten Chancen.

von Wasilij Fedortsev, Politologe

Anfang September verabschiedete sich Merkel in ihrem Wahllokal in Stralsund und hielt wenige Tage später ihre letzte Rede vor dem amtierenden Deutschen Bundestag. Diese Rede war jedoch weniger eine Abschiedsrede als vielmehr eine Wahlkampfrede — der Kanzler hatte direkt für die CDU/CSU und Laschet geworben. Merkel ist nach wie vor die beliebteste Politikerin Deutschlands, so dass ihre Glaubwürdigkeit die sinkenden Werte des konservativen Blocks durchaus aufmuntern könnte. Und das ist jetzt nicht nur eine Frage der Parteisolidarität, sondern auch ihres eigenen Erbes — das will sie auf keinen Fall an Konkurrenten von der SPD oder den Grünen abtreten.

Merkel wird jedoch noch Zeit haben, sich zu verabschieden. Die Verhandlungen über die Bildung einer neuen Regierung versprechen schwierig zu werden und könnten sich über einen langen Zeitraum hinziehen. Es ist also möglich, dass die Bundeskanzlerin am 22. November ihren sechzehnten Geburtstag im Amt feiern wird. Bis dahin wird sie allerdings nur noch amtierende Kanzlerin sein.

In diesen sechzehn Jahren ist in Deutschland eine Generation von jungen Menschen herangewachsen, die nur einen Bundeskanzler kennt — «Mutti». Und Merkel macht diesem Namen alle Ehre. Sie wird den Deutschen vor allem deshalb in Erinnerung bleiben, weil es ihr gelungen ist, das Land erfolgreich durch eine Reihe von Krisen zu führen — von der Finanz- und Wirtschaftskrise in den späten 2000er Jahren bis zum heutigen «Coronavirus». Und auch mit dem von Jugendlichen geprägten Neologismus merkeln, der so viel wie «nichts tun» oder «aufschieben» bedeutet. Selbst in Krisensituationen hat der Bundeskanzler immer sehr gemächlich gehandelt, verschiedene Interessen abgewogen und es vermieden, zu schnell oder zu entschlossen zu handeln.

Es ist jedoch genau dieser ruhige und vorsichtige politische Stil, der das Geheimnis ihrer Popularität ausmacht. Merkel kann sich kaum nennenswerter Erfolge rühmen, aber sie hat auch kaum Misserfolge zu verzeichnen. Für viele Deutsche ist «Mutti» zu einem Symbol für Stabilität und Ruhe geworden, das der CDU/CSU in den letzten Jahren zu Wahlerfolgen verholfen hat. Die deutschen Wählerinnen und Wähler sind nicht mehr bereit, Armin Lachet in gleichem Maße zu vertrauen, und nur wenige glauben an seine Fähigkeiten als Anti-Krisen-Manager, so dass der Sieg der Konservativen dieses Mal keineswegs garantiert ist.

Der spezifisch «merkelsche» Stil wird in der Außenpolitik noch deutlicher sichtbar, und im Falle der russisch-deutschen Beziehungen vielleicht zuallererst. In den letzten sechzehn Jahren haben sich sowohl diese Beziehungen als auch die Umstände, die sie umgeben, natürlich dramatisch verändert. Zu Beginn von Merkels Kanzlerschaft hatten wir eine strategische Partnerschaft und Pläne für eine gemeinsame Wirtschaftszone «von Lissabon bis Wladiwostok». Dann kam die «Abkühlung» von 2012, die noch vor ihrem Ende von der Ukraine-Krise mit all ihren Folgen abgelöst wurde. Nun stehen sich Moskau und Berlin in der Tat in einem neuen Kalten Krieg gegenüber, wobei die Bundeswehr die Ostflanke der NATO an den Grenzen zu Russland schützt.

Doch trotz der stürmischen politischen Entwicklungen sind die Beziehungen in all dieser Zeit ziemlich stabil geblieben, oder besser gesagt «ausgeglichen» — es gab keine größeren Zusammenbrüche oder umgekehrt, von seltenen Ausnahmen abgesehen, einen Aufschwung. Diese russisch-deutsche Stabilität basiert natürlich auf Wirtschaft und Energie. Und es ist symbolisch genug, dass Merkel zur gleichen Zeit abreist, in der Nord Stream 2 fertiggestellt wird. Aber wenn Gerhard Schröder oder beispielsweise Annalena Bфerbock, die derzeit für das Amt kandidiert, Merkel als Kanzlerin gehabt hätten, wären die Dinge ganz anders gelaufen, wenn auch mit anderen Vorzeichen.

Merkel hatte es nie eilig, auf russische Angebote einzugehen, auch nicht in den Zeiten, in denen die Beziehungen gut waren, aber sie hatte es auch nicht eilig, die Beziehungen abzubrechen, als sich die Situation zuzuspitzen begann. Die Bundeskanzlerin hat erst Ende 2013 eingeräumt, dass die Ukraine nicht vor die Wahl zwischen Russland und der EU gestellt werden sollte. Wäre dies früher gesagt worden, hätte man vielleicht eine Lösung gefunden und die Krise wäre nicht eingetreten. Doch zu diesem Zeitpunkt waren es nur noch wenige Tage bis zum Beginn des zweiten Kiewer Maidan, und es war zu spät, um eine Einigung zu erzielen. Einige Monate später, bereits 2014, stimmte Deutschland nach langen Beratungen der Verhängung von Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu, tat dann aber alles, um die Befürworter einer Verschärfung dieser Sanktionen und gleichzeitig die Amerikaner, die mit Waffenlieferungen an die Ukraine beginnen wollten, zurückzuhalten.

In den folgenden Jahren verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland allmählich, aber es wäre falsch, Merkel die Schuld dafür zu geben. In typischer Manier verfolgte die Kanzlerin die Entwicklungen und balancierte zwischen verschiedenen Interessen und Positionen — der deutschen Wirtschaft, den «Befürwortern» und «Kritikern» Russlands innerhalb Deutschlands und den Partnern Berlins in der EU und der NATO. Merkel hatte sicherlich die richtigen Momente, um das Blatt zu wenden, aber sie war entweder nicht bereit dazu oder entschied sich einfach dafür, keine plötzlichen Schritte zu unternehmen oder unnötig zu «eskalieren».

So oder so, die Art von Entschlossenheit, die die Geschichte umkehren könnte und die für viele deutsche Bundeskanzler in der Vergangenheit typisch war, ist überhaupt nicht «Merkels» Stil. Eine solche Entschlossenheit hat Merkel vielleicht nur einmal gezeigt, als sie 2015 die deutschen Grenzen für Flüchtlinge öffnete. Sie hat die Geschichte nicht auf den Kopf gestellt, und der von vielen erwartete Kataklysmus ist nicht eingetreten, aber ihr Satz «Wir werden das überstehen» hat Geschichte gemacht. Vielleicht lag es daran, dass es sehr unmerklich war.

Im Gegensatz zu ihren Vorgängern wird Merkel nicht für besondere Durchbrüche in den Beziehungen zu Moskau in Erinnerung bleiben, aber ihr Verdienst besteht zumindest darin, dass es ihr in einer sehr schwierigen politischen Situation gelungen ist, den besonderen Charakter dieser Beziehungen zu wahren. Und damit die Grundlage für eine künftige «Erwärmung», die durchaus in den nächsten vier Jahren kommen kann — wenn die Sozialdemokraten die Bundestagswahl gewinnen und eine neue Regierung unter Olaf Scholz antritt. Und wenn die Grünen an die Macht kommen, werden wir sicher viel Grund haben, uns daran zu erinnern, dass Merkel mit ihrem sehr ausgewogenen Politikstil im Prinzip nicht die schlechteste Kanzlerin war.