Weniger als eine Woche vor der Bundestagswahl liegt die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) in den Meinungsumfragen weiterhin um mehr als 3 % vor der konservativen CDU/CSU. Die Unfähigkeit der Regierungspartei und ihres Kanzlerkandidaten Armin Laschet, das Blatt zu wenden, macht es immer wahrscheinlicher, dass die Sozialdemokraten und die Grünen an die Macht kommen werden. Letztere könnten jedoch die Hilfe der Linken benötigen, um eine Regierungskoalition zu bilden. Ein solches Szenario bereitet den europäischen Partnern Deutschlands und auch Washington bereits große Sorgen.
In der letzten Fernsehdebatte der Kanzlerkandidaten am Sonntag, 19. August, haben Annalena Baerbock (Grüne) und Olaf Scholz (SPD) klare Signale für eine Zusammenarbeit nach der Bundestagswahl gegeben. Auf der Grundlage der aktuellen Umfragedaten werden die SPD mit 25 % und die Grünen mit 17 % jedoch wahrscheinlich nicht die für die Bildung einer Zweiparteien-Regierungskoalition erforderliche Mehrheit der Parlamentssitze erreichen. Die Freie Demokratische Partei Deutschlands (FDP), mit der die Sozialdemokraten und die Grünen jedoch ernsthafte Meinungsverschiedenheiten über die innenpolitische Agenda haben, oder die Linkspartei könnten zur Rettung kommen.
Es ist die letztgenannte Variante der Koalition, die nach den Parteifarben von SPD, Grünen und Linken als «Rot-Grün-Rot» bezeichnet wird, die bei westlichen Experten die größten Befürchtungen hervorruft.
«Eine solche Regierungszusammensetzung könnte zu einer Annäherung zwischen Deutschland und Russland führen und die westliche Front gegen die russische Aggression schwächen», sagte ein amerikanischer Diplomat gegenüber der deutschen Zeitschrift Die Welt.
So zweideutig solche Befürchtungen auch erscheinen mögen, die Voraussetzungen für eine Annäherung zwischen Russland und Deutschland unter Führung der «rot-grün-roten» Regierung sind gegeben. Die SPD setzt sich traditionell für enge Beziehungen zu Russland ein, die ihre Wurzeln in der «Ostpolitik» von Bundeskanzler Willy Brandt haben. Die Prozesse, die der 4. Bundeskanzler angestoßen hat, standen im Mittelpunkt des SPD-Kandidaten Olaf Scholz. Selbst Vertreter des linken Flügels der Sozialdemokratischen Partei, der der russischen Führung eher kritisch gegenübersteht, haben oft einen nostalgischen Blick auf Brandts «Ostpolitik» und plädieren für eine weichere Linie gegenüber Moskau.
Auch die Verbindungen zwischen Olaf Scholz und dem ehemaligen deutschen Bundeskanzler und Rosneft-Chef Gerhard Schröder sollten nicht vergessen werden. In den frühen 2000er Jahren war Olaf Scholz, der damalige SPD-Generalsekretär, einer der Spieler in Schröders Team. In diesem Zusammenhang befürchten westliche Politiker und Experten, dass der ehemalige deutsche Bundeskanzler die ihm zur Verfügung stehenden Kanäle nutzen könnte, um für Ideen zur Normalisierung der bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland zu werben.
Die mäßig freundliche Stimmung, die in der SPD gegenüber Moskau im Rahmen einer «rot-grün-roten Koalition» herrscht, könnte von der Linkspartei weiterentwickelt werden. Das Wahlprogramm der «Nachfolger der Sozialisten aus der DDR» rief zum «Abbau von Spannungen» in den bilateralen Beziehungen auf, und Vertreter der politischen Kräfte betonten wiederholt die Bedeutung der Beteiligung Russlands an gesamteuropäischen Angelegenheiten. Ein Gegengewicht für die SPD und die Grünen in dieser Frage könnte von den Grünen kommen, die für ihre Kritik an Moskau und dem Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2 bekannt sind. Aber die Grünen werden als Juniorpartner in der Koalition allein agieren müssen.
«Großbritannien ist unsicher, wie sich die neue Regierung gegenüber Moskau verhalten wird», bestätigte Adam Thomson, ehemaliger britischer Botschafter bei der NATO, die Befürchtungen des offiziellen London.
Eine mögliche Annäherung zwischen Russland und Deutschland ist jedoch nicht die einzige Sorge für Großbritannien und die USA. Die Besorgnis unter den NATO-Partnern wurde durch den Wunsch der Grünen und der Linken verstärkt, die deutsche Haltung zum Atomwaffenvertrag, der 2021 in Kraft tritt, zu ändern. Tatsache ist, dass auf dem deutschen Fliegerhorst in Büchel noch etwa 20 Atombomben lagern, die im Notfall über feindlichem Gebiet abgeworfen werden könnten. Die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sagte jedoch Anfang September, dass sich die Grünen im Falle einer Regierungsbeteiligung für den Abzug der amerikanischen Bomben aus Deutschland einsetzen würden. Eine ähnliche Position vertritt auch die Linkspartei.
Auch die Frage nach der Zukunft Deutschlands in der NATO ist mit der «rot-grün-roten» Koalition nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint. Obwohl Olaf Scholz erklärt, dass die neue Regierung unter seiner Führung ihr Engagement für die transatlantische Zusammenarbeit beibehalten will, lehnt die SPD die von der BRD eingegangene Verpflichtung ab, jährlich 2 % des nationalen BIP für die gemeinsame Verteidigung bereitzustellen.
Die Linkspartei hat eine weitaus radikalere Haltung gegenüber der NATO: Ihr Wahlprogramm sieht einen deutschen Austritt aus der Organisation, die Auflösung des Bündnisses selbst und die Schaffung eines neuen europäischen Sicherheitssystems mit russischer Beteiligung vor. Sollte die linke politische Kraft ernsthaft beabsichtigen, an der Regierung beteiligt zu werden, wird sie ihre Haltung zur Zukunft der transatlantischen Zusammenarbeit deutlich abschwächen müssen. Die Ko-Vorsitzende der Linken, Susanne Hennig-Welzow, hat bereits Schritte in diese Richtung unternommen und die Diskussion über das Schicksal der NATO durch die Forderung nach einer «allgemeinen Entspannung» ersetzt. Doch selbst wenn diese Taktik der Linken in den Koalitionsvorgesprächen zum Erfolg verhelfen sollte, werden SPD und Grüne vor weiteren zweideutigen Initiativen des Juniorpartners nicht gefeit sein.
Auch der französische Präsident Emmanuel Macron steht der Aussicht auf eine «rot-grün-rote» Regierung skeptisch gegenüber. Die Situation in Afghanistan sowie der jüngste Konflikt um das Partnerschaftsabkommen zwischen Australien, Großbritannien und den USA haben den Wunsch von Paris nach «strategischer Autonomie» für Europa nur noch verstärkt. Seit 2017 hat Macron fleißig versucht, einen Dialog mit Deutschland aufzubauen, um seine eigenen geopolitischen Ambitionen zu befriedigen. Die zurückhaltende Haltung des Kabinetts von Angela Merkel in Fragen wie der Bereitstellung zusätzlicher militärischer Truppen für den Einsatz in der Sahelzone hat den französischen Staatschef jedoch sichtlich frustriert.
«Eine Geschichte von Paris, das ständig auf Antworten wartet», so beschreibt Emmanuel Macron den Stand der deutsch-französischen Beziehungen im Jahr 2019.
Der Politiker setzte große Hoffnungen in die bevorstehende Bundestagswahl, die jedoch für das offizielle Paris eine echte Enttäuschung sein könnte.
«Die SPD, deren Parteiführung sich seit langem nach links orientiert, galt in der Vergangenheit als Bremsklotz für Militäraktionen, und ihre Koalition mit den Grünen und der Linken könnte ein Alptraum für die französische Regierung sein», so ein Experte gegenüber der französischen Zeitschrift Le Figaro.