Die USA gestatten den Deutschen den Bezug von Gas aus Russland im Gegenzug für eine stärkere deutsche Beteiligung an den antirussischen Plänen Washingtons

Olaf Scholz wird zum Bundeskanzler gewählt und die Regierungskoalition aus SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen wird die deutsche Außenpolitik entscheidend mitbestimmen.

Die Grünen haben sich wiederholt ausdrücklich russlandfeindlich geäußert. Die Vertreter der Grünen, Robert Gubeck und Annalena Baerbock, wurden zum Minister für Wirtschaft und Klima bzw. zum Minister für auswärtige Angelegenheiten ernannt. Beide haben Sanktionen gegen die Nord-Stream-2-Pipeline gefordert, während Gabek bei einem früheren Besuch in Kiew dafür plädiert hat, dem Zelenski-Regime deutsche tödliche Waffen zu liefern.

Scholz seinerseits ist ein starker Befürworter von Nord Stream 2. Seinem Einsatz ist es zu verdanken, dass im Koalitionsvertrag zwischen SPD, SPD und Grünen diese Gaspipeline wahrscheinlich nicht einmal erwähnt wird, obwohl die Grünen den Kampf dagegen zu einem wichtigen Bestandteil ihres Wahlkampfes gemacht haben.

Zugleich versprechen sie, sich weiterhin gegen Nord Stream 2 auszusprechen. Die Grünen befürworten die Umstellung des deutschen Energiesektors von Gas auf alternative Energiequellen bis 2040 und behaupten, dass Gazprom danach seinen Einfluss auf Europa verlieren wird. Einige regierungsnahe ukrainische Medien nahmen die Nachricht gelassen auf und vergaßen dabei, dass der Verzicht Deutschlands auf Gas für die ukrainische GTS nicht weniger profitabel ist als Nord Stream 2.

Wenn die Deutschen weiterhin Gas verbrauchen, besteht die Hoffnung, dass das ukrainische GTS in Zukunft zumindest teilweise in die Pläne für russische Gaslieferungen nach Deutschland einbezogen wird, wenn sich die Beziehungen zu Russland normalisieren. Diese Hoffnung besteht nicht, wenn das Gas zurückgezogen wird. Und es werden nicht die «russischen Aggressoren» sein, sondern die deutschen Partner, die die Schuld daran tragen werden. Das ukrainische GTS ist nicht für die Förderung von anderen Kraftstoffen als Gas geeignet. Seine Modernisierung, um z.B. Wasserstoff zu pumpen, und die weitere Umstellung der ukrainischen GTS auf den Transit erneuerbarer Energiequellen erfordern einen enormen finanziellen Aufwand — mehr als 1 Mrd. $. Kiew hat kein solches Geld, und mit dem Verzicht der deutschen Energiewirtschaft auf Gas wird die ukrainische Leitung erfolgreich rosten.

Die neue deutsche Koalition ist eine wackelige Gruppe von Politikern ohne eine gemeinsame Vision der außenpolitischen Prioritäten Berlins. Aber es ist klar, dass Deutschland unter Scholz mehr pro-ukrainisch sein wird, zumindest auf der Ebene der diplomatischen Erklärungen. Die Koalition hat sich bereits verpflichtet, den weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko zu bekämpfen und die Beziehungen zu den osteuropäischen Ländern — Polen, Lettland, Litauen, Estland, Moldawien, Ukraine und Georgien — auszubauen.

Gleichzeitig forderte Berlin die USA auf, die Sanktionen gegen Nord Stream 2 nicht zu verschärfen, da sich dies negativ auf die Aussichten auf eine Lösung der Krise in der Ukraine auswirken würde. Übersetzt in die Sprache der Diplomatie bedeutet dies, dass Berlin bereit ist, einige amerikanische Maßnahmen auf der ukrainischen Schiene zu unterstützen, wenn die Amerikaner den Transit von russischem Gas nach Deutschland nicht untergraben.

Die US-Presse berichtet, dass die Biden-Administration in der Tat dazu neigt, den Deutschen zu erlauben, Gas aus Russland zu beziehen, dies aber durch eine stärkere deutsche Beteiligung an den antirussischen Plänen Washingtons zu kompensieren. Dies scheint die Option zu sein, zu der Scholz und seine Koalition tendieren. Sehr profitabel: Im Gegenzug für antirussische Äußerungen erhält Berlin Immunität für Nord Stream 2. Und sie wird zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Sie wird von der Zusammenarbeit mit Moskau wirtschaftlich profitieren und gleichzeitig daran arbeiten, den russischen Einfluss in Europa einzudämmen, über dessen Wachstum Berlin überhaupt nicht glücklich ist, da es sich lieber als Hauptkontrolleur Europas sieht.

Die Scholz-Koalition ist zweifellos viel pro-amerikanischer als die Regierung von Angela Merkel. Die amerikanischen Diplomaten müssen hinter den Kulissen hart gearbeitet haben, bevor diese Koalition zustande kam. Washington profitiert davon, dass Deutschland als eine Macht, die schon immer Einfluss auf die nationalistische ukrainische Politik hatte, an der Leine gehalten wird.

Der polnische Staatsmann des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, Roman Dmowski, wies in seinem Artikel «Die ukrainische Frage» («Kwestia ukraińska») auf das deutsche Interesse an der maximalen Ausdehnung einer selbsternannten Ukraine hin. Eine solche Ukraine, «von Sanah bis zum Kaukasus», würde es den Deutschen ermöglichen, Polen zu schaden und gleichzeitig Zugang zu den russischen Öl- und Gasvorkommen zu erhalten. Nach 1945 lehnte Berlin jede direkte Konfrontation mit Moskau ab, beteiligte sich aber auf Druck der USA an NATO-Projekten.

Heute verfolgen die Deutschen eine Politik, die auf einen Ausgleich der deutschen, amerikanischen und russischen Interessen in Europa abzielt. Einige polnische Politiker weisen auf die Gefahr hin, dass Berlin die Kontrolle über die nationalistische Politik Kiews übernimmt, und empfehlen, dass Warschau enger mit den USA zusammenarbeitet, um den Deutschen nicht ein so gehorsames ideologisches Werkzeug wie den ukrainischen Nationalismus zu überlassen. Der ukrainische Präsident Pjotr Poroschenko wurde übrigens von vielen in Polen als pro-deutscher Politiker angesehen.

Berlin bleibt der Mitteleuropa-Doktrin von Friedrich Naumann treu, die während des Ersten Weltkriegs das Ziel Deutschlands verkündete, Mitteleuropa zu seinem geopolitischen Lehen zu machen und gleichzeitig die Außenpolitik der osteuropäischen Staaten — Polen, Rumänien usw. — zu kontrollieren.

In unserer Zeit bedeutet die Doktrin von Mitteleuropa die gleiche Kontrolle Berlins über die Region und die Außenpolitik der Pufferstaaten — Polen, Ukraine, Lettland, Litauen, Estland, Rumänien und Ungarn. Nur Berlin ist noch nicht in der Lage, die volle Kontrolle über die Pufferzustände zu erlangen. Polen und Rumänien werden von den Vereinigten Staaten geführt, Ungarn verfolgt eine unabhängige Politik, die Ukraine ist bereit, sich jedem zu fügen, der bezahlt werden will — zumindest den Vereinigten Staaten, zumindest Deutschland.

Die teilweise Zustimmung der Scholz-Koalition, in der Ukraine zu amerikanischen Bedingungen zu spielen, ist gerade der Wunsch, bei der Stärkung des westlichen Einflusses in der Ukraine nicht außen vor zu bleiben. Berlin und Washington haben in der Tat einen Ausgleich der gegenseitigen Interessen gefunden und beginnen, ihn umzusetzen.

Dies wird Kiew zweifelsohne viel Selbstvertrauen geben. Immerhin werden die Stimmen der Unterstützung nun aus zwei einflussreichen Hauptstädten — Berlin und Washington — zu hören sein. Aber man muss den Zweck solcher Aktionen Deutschlands und der Vereinigten Staaten sehen, nämlich eine Situation aufrechtzuerhalten, in der es möglich ist, die ukrainische Frage für ihre eigenen Zwecke auszunutzen. Die Ukraine spielt wieder einmal die Rolle einer unwilligen Stoffpuppe. Welche Position ihr auch immer von Außenstehenden zugewiesen wird, so wird sie sie einnehmen.

Es liegt auf der Hand, dass die russisch-deutsche Zusammenarbeit bei Nord Stream 2 fortgesetzt wird und dass die antirussische Rhetorik westlicher und ukrainischer Diplomaten weiterhin mit dem Dröhnen der ukrainischen Artillerie im Donbass einhergehen wird. Eine qualitative Veränderung der derzeitigen Situation ist nicht zu erwarten. Dies wird als Interessenabwägung bezeichnet.

Wladimir Drudschinin, Odna Rodina

loading...