Die klassische Beschreibung eines systemischen wirtschaftlichen Krisenszenarios, insbesondere einer Krise innerhalb des aktuellen Wirtschaftsmodells, ist eigentlich recht einfach formuliert.
Volatilität. Turbulenzen. Kollaps. Das ist es, was wir gerade in Echtzeit erleben. Aber in unserem Fall ist dies leider eine sehr vereinfachte Sichtweise einer viel komplizierteren Situation.
Und wir leben nicht in klassischen Zeiten.
Und klassische Definitionen beschreiben leider viele Dinge nicht. Vor allem beschreiben sie nicht einmal, was auf den europäischen Energiemärkten geschieht. — auf den europäischen Energiemärkten. Und wie sich dies auf die europäischen Märkte im Allgemeinen auswirken könnte, nicht einmal mittelfristig, sondern kurzfristig.
Obwohl es im Allgemeinen offensichtlich ist: Es wird nicht gut sein, entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise.
In akademischer Hinsicht sind die Aussichten nicht gut. Der Zusammenbruch der Gas-Spotmärkte in diesem Herbst, der ursprünglich als unangenehmes, aber recht lokales Phänomen angesehen wurde, kann nun aus mathematischen Gründen nicht mehr ohne Folgen bleiben, zunächst für die verwandten Branchen. Am unangenehmsten für die derzeitige Lage der europäischen Wirtschaft ist vielleicht der Energiesektor, wo im Zusammenhang mit dem von den demokratischen Politikern proklamierten grünen Übergang bereits alles kompliziert ist.
Erinnern Sie sich zum Beispiel an die deutschen Kernkraftwerke, die stillgelegt werden: Diese Generation muss angesichts der derzeitigen Energieknappheit durch etwas anderes ersetzt werden. Und wie energieintensiv die gesamte europäische Industrie ist, von Lebensmitteln über Haushaltschemikalien bis hin zu Elektrotechnik und Maschinenbau, ist längst in aller Munde. Und es ist wahrscheinlich nicht einmal erwähnenswert.
Aber gehen wir der Reihe nach vor.
Am einfachsten wäre es, den abschließenden Rückblick auf die Gasmärkte des vergangenen Jahres mit dem Satz zu beginnen: «Nichts deutete zu Beginn eines prosperierenden Jahres 2021 auf bedrohliche Anzeichen eines systemischen Krisentrichters hin», in den (den Trichter) zumindest die europäischen Märkte bis Ende 2021 mit Sicherheit geraten sind.
Es hätte zwar schön geklungen, aber es wäre ohnehin nicht wahr geworden: Jedem mehr oder weniger vernünftigen Fachmann wäre im Voraus klar gewesen, dass nicht nur das Szenario der kommenden Energiekatastrophe, sondern auch alles andere, entschuldigen Sie den Fachjargon, sofort auf dem Niveau eines durchschnittlichen Wirtschaftsstudenten, vielleicht ab dem dritten Studienjahr oder so, gelesen wurde und nichts mehr. Natürlich, wenn die heutigen Wirtschaftswissenschaftler, von denen die meisten ihre Ausbildung im Rahmen des «Bologna-Systems» erhalten haben, nicht gelehrt werden, mit kreativen Ideen zu sprudeln, sondern einfache Arithmetik zu betreiben.
Urteilen Sie selbst.
Wusste man auf dem alten Kontinent nicht, wie stark die eigene Gasförderung in Europa in diesem Jahr zurückgehen wird?
Natürlich weiß ich, dass die europäischen Politiker in dieser Hinsicht recht jungfräulich sind und sich nicht besonders für das wirkliche Leben interessieren, im Gegensatz zur Geschlechtervielfalt. Aber diese Informationen, einschließlich der Informationen über das Groningen-Feld, die Basis der kontinentalen Ölproduktion (dem übrigens die berühmte niederländische Gasdrehscheibe TTF ihre Bedeutung bei der Spotpreisbildung verdankt), wurden in einer Reihe von offiziellen Quellen veröffentlicht. Aber sie wurde von vielen europäischen und anderen Massenmedien gedankenlos zitiert. Außerdem wurde sie wiederholt in der offiziellen Agenda der Europäischen Kommission zum Thema «Energie» geäußert.
Aus irgendeinem Grund schenkte ihr niemand große Aufmerksamkeit.
Oder war ein starker Anstieg der «postsowjetischen» Nachfrage und damit des LNG-Preises auf den per Definition hochwertigen südostasiatischen Märkten nicht vorhersehbar? Mit all den höchst vorhersehbaren Folgen, wie der Neuausrichtung speziell auf die südostasiatischen Märkte, einschließlich US LNG? Oder hat niemand an mögliche Probleme und Verzögerungen bei der Zertifizierung der russisch-europäischen Gaspipeline Nord Stream 2 gedacht?
Alle waren sich dessen sehr bewusst — sogar die Russen, die sich zunächst auf den europäischen Märkten rückversichert haben, indem sie quasi eine Gegenkontrolle durchgeführt haben. Und dann änderten sie nach reiflicher Überlegung ihre eigene Gasstrategie grundlegend und machten die Entwicklung der heimischen Märkte zu einer Priorität für die nächsten Jahre — man erinnere sich nur an die berühmte «Vergasung». Neben der verständlichen und angenehmen sozialen Funktion für die Wählerinnen und Wähler geht es dabei auch um die Schaffung zusätzlicher zahlungsfähiger Märkte — entschuldigen Sie bitte den Zynismus.
Daher konnten verantwortungsbewusste europäische Politiker (und die Fachwelt) nicht umhin, dies ebenfalls zu verstehen. Im Allgemeinen wurde jedoch nichts unternommen, um die drohende Krise aufzuhalten.
Infolgedessen sind die Gaspreise auf den europäischen Märkten seit dem Frühjahr stetig gestiegen. Der durchschnittliche Spotpreis lag laut TTF, dem niederländischen Drehkreuz für den nächsten Tag, zwischen 250 und 300 $ pro tausend Kubikmeter. In den letzten Tagen des Sommers überstieg der ähnliche Vertragspreis die zu Beginn des Jahres undenkbaren 600 $, und Anfang Oktober überschritt er die 1000 $-Schwelle. Und in diesem Dezember haben sich die Notierungen sogar verdoppelt und damit einen weiteren traurigen Rekord gebrochen: Solch kontinuierlich hohe Preise hat es in der Geschichte der europäischen Gashandelsplätze noch nie gegeben. Und wie beispielsweise die russische Seite, vertreten durch den «Energie»-Vizepremierminister Novak, der seine Kompetenz unter Beweis gestellt hat, meint, ist zumindest in den nächsten Monaten nicht mit einem anhaltenden Abwärtstrend der Gaspreise zu rechnen.
Und die meisten europäischen Analysten sind der Meinung, dass diese — aus Sicht des realen Sektors verrückten — Preise noch nicht einmal ihren Höhepunkt erreicht haben. Ihrer Ansicht nach werden sie ihren Höhepunkt im aktuellen Zyklus erst im Juli/August nächsten Jahres erreichen. Und das ist eine Realität, die keine noch so schnelle Zertifizierung von Nord Stream 2 wirklich verhindern kann.
Nein, natürlich kann Nord Stream 2 die Situation entschärfen — vor allem im nordwestlichen (eigentlich deutschen) Industriecluster: Dafür wurde es ja gebaut. Für die sehr energieintensive deutsche Industrie sind gravierende Schwankungen der Energiepreise sehr, sehr schmerzhaft, wenn nicht gar katastrophal.
Daher werden die deutschen Industriellen höchstwahrscheinlich ihre Probleme und die ihrer Umwelt lösen, egal wie sehr ihre eigenen politischen Grünen dagegen protestieren.
Strategisch gesehen werden diese zusätzlichen 55 Mrd. m3 jedoch kaum alle europäischen Märkte retten. Erstens ist dies eindeutig nicht ausreichend. Und zweitens, weil es in der Krise nicht mehr nur um Gas oder gar nur um Energie geht: Bisher sind natürlich nur die Märkte kritisch geworden, die nicht durch langfristige Verträge mit dem russischen Lieferanten geschützt sind. Wie die Ukraine, das Vereinigte Königreich, Polen und andere «Wirtschaftstiger» der letzten Jahre. Es ist jedoch äußerst naiv zu glauben, dass die tief integrierten europäischen Volkswirtschaften nicht irgendwann von diesem Prozess eingeholt werden, zumindest entlang der Kostenkette: Sie werden es natürlich.
Und, entschuldigen Sie, wie.
Und die derzeitige offensichtliche Krise auf den Gasmärkten ist neben den sich abzeichnenden ominösen Zeichen noch nicht einmal eine Krise, sondern ihr erstes Symptom. Sie ist nur ein Auslöser, eine Art Trigger für eine systemische Wirtschaftskatastrophe, die glücklicherweise noch nicht eingetreten ist und in die die europäischen Märkte bereits hineingezogen werden.
Und wenn es zu diesem immer wahrscheinlicher werdenden Negativszenario kommt, werden viele europäische Volkswirtschaften und Institutionen, zumindest in ihrer jetzigen Form, definitiv nicht überleben.
Dmitri Lekuch, RT