Experten: Inbetriebnahme der Pipeline Nord Stream 2 als Rettungsmittel gegen steigende Gaspreise

Eine baldige Inbetriebnahme der Pipeline Nord Stream 2 und eine Vergrößerung von Lieferungen aus Russland könnten die Gaspreise in Europa laut Expertenschätzungen sinken.

Wenn die Pipeline Nord Stream 2 in nächster Zeit freigegeben würde, würde dies zu einer sofortigen Herabsetzung der Gaspreise führen, sagte der Analytiker von BCS Global Markets, der Investitionsbank der Finanzgruppe BCS, Ronald Smith. Zwar werde die Balance zwischen Nachfrage und Angebot keine nennenswerten Änderungen erfahren, wobei Europa wie bislang mit einem Gasmangel konfrontiert sein werde. Aber das Risiko, dass die Lieferungen nach Europa eingestellt würden, könnte sinken, so der Experte.

Die Aufnahme der Gaslieferungen durch Nord Stream 2 könnte die Situation mit dem Gasangebot verbessern, und zwar nur in Verbindung mit neuen Lieferverträgen, meinte der stellvertretende Generaldirektor des Fonds für nationale Energiesicherheit, Alexej Griwatsch.

Die Inbetriebnahme der Gasleitung würde die Preise für „blauen Brennstoff“ senken, es sei aber schwer zu sagen, um wie viel, denn dies hänge von vielen Faktoren ab.

Mit dem Experten stimmte der Direktor der Gruppe für Naturressourcen und Rohstoffwaren der Agentur Fitch, Dmitri Marintschenko, überein.«Nicht so sehr wichtig ist die Inbetriebnahme der Gasleitung an sich, sondern vielmehr ein hohes Maß an Bereitschaft von Gazprom, danach seine Lieferungen zu vergrößern, das heißt Spotverkäufe über eine elektronische Plattform wiederaufzunehmen und den Füllstand der eigenen Speicher in Europa komfortabel zu machen», sagte Marintschenko.

Sollten diese Bedingungen eingehalten werden, würden sich die Preise wahrscheinlich normalisieren und unter die 500-Dollar-Grenze je 1000 Kubikmeter sinken, sagte der Fitch-Analytiker.

«Gerade heute ist das der Fall, dass die baldmöglichste Inbetriebnahme der Gaspipeline vor allem den Interessen des europäischen Marktes und der europäischen Verbraucher entspricht. Ob Politiker und Beamte bereit sind, sich ihnen zuzuwenden, ist eine schwierige Frage. (…) Indem der Winter weiter vorankommt, wird sich die Situation zum Besseren wenden», resümierte Griwatsch.

Die Bauarbeiten für die Pipeline dauerten drei Jahre bis zur ihrer Fertigstellung am 10. September 2021. Die beiden Stränge der Gasleitung sind jetzt mit technischem Gas gefüllt, und Nord Stream 2 ist bereit für die Inbetriebnahme. Aber Deutschland hat das Zertifizierungsverfahren für die Nord Stream 2 AG ausgesetzt, damit der Betreiber einen Umbau in Übereinstimmung mit der Gesetzgebung des Landes vornimmt.

Die Nord Stream 2 AG muss nun ein Tochterunternehmen in Deutschland gründen und in dessen Namen einen neuen Zertifizierungsantrag stellen.

Mitte Dezember hatte Jochen Homann, Chef der deutschen Bundesnetzagentur (BNA), erklärt, dass er frühestens Anfang des zweiten Halbjahres 2022 mit einer Entscheidung zu Nord Stream 2 rechne.

Die Ungewissheit hinsichtlich der Inbetriebnahme der Gasleitung und eine Reduzierung der Lieferungen aus Russland beeinflussen die Stimmung der Marktteilnehmer. Die Situation auf dem Gasmarkt bleibt kompliziert: die Gaspreise liegen über 1000 Dollar und die europäischen Gasspeicher weisen den minimalsten Füllstand seit zehn Jahren auf.

Nord Stream 2, eine neue Exportgaspipeline mit einer Kapazität von 55 Milliarden Kubikmeter pro Jahr, verläuft von der russischen Ostseeküste durch die Ostsee nach Deutschland. Das Bauprojekt wurde von der Nord Stream 2 AG mit Gazprom als dem einzigen Aktionär umgesetzt.