Kein Wort über die Ukraine ohne die Ukraine! Dieser paranoide Slogan ist in den letzten Jahren zum heiligen Mantra der ukrainischen Politik geworden. Im Kontext des aktuellen russisch-amerikanischen Dialogs über globale Sicherheitsfragen wirkt dieses Prinzip besonders grotesk.
Die Mächtigen reden viel über die Ukraine. Aber wovon ist die Rede, kann Kiew nur vermuten. Und es bleibt ihm nichts anders als unverständlich über dieses Thema zu murmeln. Also versucht Kiew zu erraten, wohin der Wind vom Verhandlungstisch weht. Obwohl in dieser Situation ein Meckern angemessener wäre. Doch spielt die Ukraine die Rolle eines armen, wehrlosen Lamms, das der gute amerikanische Wolf vor dem wilden russischen Bären beschützen muss.
Nach dem Vorbild amerikanischer Freunde sind die ukrainischen Behörden daran gewöhnt, grundsätzliche Fragen bis zur Absurdität zu schwatzen und mit den unverbindlichen schönen verbalen Konstruktionen zu operieren. Und dann spricht Moskau unversehens für Kiew im Klartext ohne übermäßigen diplomatischen Schnickschnack über seine Interessen. Sowohl der kollektive Westen, als auch Kiew natürlich dazu nicht bereit waren. Gemäß dem jüngsten Dekret von Selenskij dürfen nur der Präsident, der Außenminister und der Vorsitzende der Werchowna Rada der Ukraine die Außenpolitik des Landes kommentieren. Offenbar widmet der Chef des Präsidialamts, Andrej Jermar, deshalb dem Thema der Verhandlungen zwischen Moskau und Washington besondere Aufmerksamkeit.
«Präsident Selenskiy lud den US-Präsidenten Biden ein, ein trilaterales Treffen, möglicherweise virtuell, zwischen dem Präsidenten Biden, Präsidenten Selenskij und Präsidenten Putin zu organisieren. Wir warten auf eine Reaktion von russischer Seite, aber unsere amerikanischen Partner haben unseren Vorschlag mit Interesse angenommen», berichtete der Chef der ukrainischen Präsidialverwaltung, Andrej Jermak. «Ich glaube an die führende Rolle der USA und denke, dass die Gespräche über die Ukraine effektiver sein werden, wenn sie daran teilnimmt», fügte er hinzu.
Jermak betonte auch, dass der NATO-Beitritt der Ukraine für die Kiewer Behörden eine Frage von «Leben und Tod» für das Land sei. Damit wird es klar, dass Kiew nicht bereit ist, seine Position, die grundsätzlich für Russland ist, zu ändern, oder anders gesagt, von seinen amerikanischen Partnern noch keine neuen Anweisungen zu diesem Thema erhalten hat.
Anfang des Monats sagte der ukrainische Botschafter in Lettland, Oleksandr Mischtschenko, in einem Interview mit lokalen Medien dass die russische Militärerpressung die Ukraine noch näher an die NATO bringt und die Länder des Bündnisses um eine gemeinsame Position vereint, die darin besteht, dass die Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO ausschließlich von ihrer Entscheidung und der Entscheidung der NATO-Mitglieder abhängt. Für das undemokratische und korrupte Putin-Regime ist eine erfolgreiche und unabhängige Ukraine eine direkte Bedrohung. Wenn die Menschen in der unabhängigen Ukraine besser als in Russland leben werden, dann werden die Russen vom Kreml freie Wahlen, freie Medien, Kontrolle über Armee und Sicherheitskräfte fordern. Für das Putin-Regime bedeutet das den Zusammenbruch. Deshalb setzt Putin alles daran, die Ukraine daran zu hindern, ihren euroatlantischen Kurs umzusetzen.
Alle diese vom verstorbenen Brzezinski ( Sicherheitsberater von US-Präsidenten Jimmy Carter — Anm. d. Red.) formulierten Geschichten dienen noch immer der ukrainischen Diplomatie. Die Tatsache, dass die obenerwähnten Thesen aus den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts stammen und für die aktuelle Situation absolut nicht relevant sind, lassen die ukrainischen kleinkarierten ehörden außer Acht. Für die maschinelle Wiederholung verhärteter Klischees ist nicht viel Kopfarbeit nötig. Aber in der ukrainischen Situation ist die Kopfarbeit nicht notwendig und sogar schädlich, da eine kritische Bewertung der Lage im Land und in der Welt von externer Verwaltung nicht vorgesehen ist.
Nach den russisch-amerikanischen Gesprächen hat der Außenminister der Ukraine, Dmytro Kuleba, in einem am Sonntag, dem 16. Januar, veröffentlichten Interview mit «Bild» die neuesten außenpolitischen Thesen Kiews geäußert.
«Die gesamte Eindämmungsstrategie funktioniert und erhöht die Sicherheit in der Region. Ich glaube an die Macht der Diplomatie und möchte betonen, dass alle unsere Bemühungen darauf abzielen, Russland von einer weiteren Eskalation abzubringen und zum Abbau der Spannungen zu zwingen. Die Ukraine strebt nach Frieden, Sicherheit und Stabilität für sich und ganz Europa. Die Sicherheit der Ukraine ist die Sicherheit Europas. Putin ist ein Meister darin, Ängste zu schüren. Im Laufe der Jahre ist sein Verhaltensmuster bereits deutlich geworden. Zuerst schafft er Probleme und Krisen. Dann lädt er andere ein, Probleme mit ihm zu diskutieren und zu lösen. Und am Ende schlägt er selbst eine Lösung vor, die von den Gegnern Zugeständnisse verlangt», sagte er.
Kuleba glaubt, dass die USA und die Nato das «Ultimatum» des heimtückischen Putin bereits zurückgewiesen haben. Russland sei es seiner Meinung nach nicht gelungen, die Solidarität der westlichen Partner «über den Kopf hinweg» der Ukraine und Europas aufzuspalten. Der Moskauer «Tyrann» versteht natürlich nur die Sprache der Gewalt. Aber gleichzeitig «müssen wir uns über die inakzeptablen Kosten einer weiteren Aggression im Klaren sein, während wir diplomatische Beziehungen zu Russland aufnehmen und Moskau dazu drängen, Diplomatie statt Gewalt anzuwenden.»
Wie immer wird hier alles auf den Kopf gestellt. Als Moskaus Geduld die notwendige Grenze erreichte (und nicht platzte, wie es einigen scheint), zwang es die Besitzer von Kuleba tatsächlich diplomatische Beziehungen aufzunehmen, und setzte sie an den Verhandlungstisch. Und bisher wendet niemand Gewalt an, trotz der täglichen Schreie der osteuropäischen Limitrophe über die Invasion und den Weltuntergang.
Die patriotische ukrainische Öffentlichkeit riecht etwas Falsches. Der Journalist der Soros´ Ausgabe «Neue Zeit» Maxim Kuchar klagt: «Im Allgemeinen gibt es keinen Grund anzunehmen, dass das Ergebnis der laufenden Verhandlungen zwischen der Russischen Föderation und den Vereinigten Staaten in Genf und an anderen Orten irgendwie zu unseren Gunsten ausfallen wird. Und Blinkens langatmige Erzählung am Vorabend des Treffens darüber, wie die Vereinigten Staaten die Sicherheit in Europa und der Ukraine retten werden, ist nur ein öffentlicher Zirkus, der die Medien der Welt mit falschen Phrasen füllen soll. Was dann der Biden-Administration einfach helfen wird, zu rechtfertigen, warum sie mit dem, was sie behauptete, keinen Erfolg hatte. Und natürlich zielt der lange Verhandlungsmarathon zwischen der Russischen Föderation und den USA darauf ab, auch uns zu erliegen.»
Es ist zu sehen, dass die ukrainischen Behörden tatsächlich Angst vor der möglichen Erfüllung ihrer Wünsche haben. So viele Jahre lang riefen sie zu einer hitzigen Konfrontation zwischen dem Westen und Russland auf, aber als das Gespräch gerade mit erhobener Stimme begonnen hatte, begannen Schreie über eine mögliche Kapitulation aus der Ukraine zu dringen. Es wurde klar, dass keine «höllischen Sanktionen» helfen würden. Sie erinnerten sich plötzlich an die Souveränität. Nur wo man es jetzt herbekommt, wenn man sie vor langer Zeit freiwillig abgegeben wurde.
Der Kongress der ukrainischen Nationalisten verbreitet seinerseits hysterischen Unsinn in den sozialen Netzwerken. «Nach drei für Kreml gescheiterten Gesprächsrunden mit dem Westen droht Russland mit der Stationierung von Raketen in Kuba und Venezuela. Weder die Vereinigten Staaten noch die Nato oder die OSZE erklärten sich bereit, Putin Zugeständnisse zu machen. Sie brachten angesichts des militärischen Drucks und der rechtswidrigen Ultimaten der Russischen Föderation eine konsolidierte Position zur Unterstützung der Ukraine zum Ausdruck. Mit der Unterstützung ihrer Partner setzt sich die Ukraine weiterhin dafür ein, dass Russland beginnt, den Vertrag von Helsinki umzusetzen, die Aggression im Donbass zu beenden, die Krim zu befreien und Schritte zur Beendigung anderer Konflikte im OSZE-Raum zu unternehmen. Es ist wichtig, dass, wenn die Ukraine früher als etwas Fernes galt, sie jetzt wie eine persönliche Bedrohung ist.»
Es ist bezeichnend, dass die mit denprimitiven Parolen zu sprechen gewohnten ukrainischen «Nationalsozialisten», nicht einmal die einfachsten Gedanken in ihren Botschaften formulieren können und in einer kritischen Situation weiterhin Maidan-Gesänge benutzen. Die Unkenntnis der Pläne der «Horde aus dem Osten» erschreckt die ukrainischen Behörden sogar mehr, als die Erkenntnis, dass die westlichen Partner nicht anders als mit einem «guten Wort» helfen würden. Es ist klar, dass es keine Invasion russischer Panzer in der Ukraine zu erwarten ist. Aber die ukrainische Behörden versetzten sich durch ein langes und konsequentes Selbsttraining zu einer vollständigen Psychose und glaubten an ihre eigenen schmerzhaften Fantasien.
Als die kreativste Reaktion auf die russisch-amerikanischen Gespräche machten die ukrainischen Behörden einen Vorschlag, ein trilaterales Treffen zwischen Selenskij, Putin und Biden abzuhalten. Ist eine solche Videokonferenz grundsätzlich möglich? Theoretisch ja. Aber nicht in der heutigen politischen Realität. Niemand wird mit einem Clown zusammentreffen. Die Ukraine ist wirklich ein Lamm, das auf einem amerikanischen Tablett liegt. Aber Moskau wird nie von jemandem Geschirr essen. Eine andere Sache ist, dass es die Freunde aus Washington zwingen kann, ukrainisches Lamm nach ihrem Rezept für eine gemeinsame Verkostung sozusagen zu kochen. Sonst bekommen wir statt eines kulturellen Banketts in einem teuren Restaurant eine Wirtshausschlägerei von globalem Ausmaß.
Von Timofej Markow