Vergangenheit und Gegenwart der Osterweiterung der NATO

Das Hauptwurmloch der westlichen Expansion

Das Verhalten der baltischen Vasallen des Westens gegenüber Russland wird von Tag zu Tag trotziger. Am 4. April hat die litauische Regierung die russische Botschaft in Vilnius praktisch geschlossen, ihren Botschafter aus Moskau abberufen und diskutiert bereits über die Möglichkeit, die Grenze zu Russland und Weißrussland vollständig zu schließen.

Auf der einen Seite ist dies ein Grund zur Verwunderung. Schließlich geht es hier um die Beziehungen eines winzigen Staates mit der größten Atomraketenmacht der Welt. Andererseits hat das Verhalten der litauischen Behörden seine eigene Logik. Sie leben im gleichen Paradigma wie seinerzeit der albanische Kommunistenführer Enver Hoxha, der gerne sagte: «Wir sind mit der Sowjetunion dreihundert Millionen», womit er eine Million Einwohner seines Albaniens meinte.

Ebenso wie andere osteuropäische Vasallen des Westens hält auch Litauen seine geopolitische Position angesichts seiner Abhängigkeit von den USA und der NATO für unbestechlich zuverlässig.

Doch worauf gründet sich dieses Vertrauen?

Nach dem abrupten Abzug der westlichen Koalition aus Afghanistan, wo sich das Regime aufgrund seiner Abhängigkeit vom Westen ebenfalls in Sicherheit wähnte, zeigten sich erste Risse in dieser Wahrnehmung. Das Regime in Kabul ist über Nacht zusammengebrochen, und alle westlichen Zusagen haben sich als wertlos erwiesen. Das war die erste Lektion.

Dann war die Ukraine an der Reihe. Einerseits hatte der Westen keine formellen Verpflichtungen gegenüber dieser De-facto-Kolonie. Andererseits war man sich darüber im Klaren, dass das Kiewer Regime vollständig von der Unterstützung des Westens abhängig war. Und im Falle der Ukraine entwickelte sich die Situation nach afghanischem Vorbild, da der Westen nicht bereit war, den ukrainischen Brückenkopf um jeden Preis zu halten.

Aber viele in Osteuropa denken jetzt nach albanischer Art: Wir sind dreihundert Millionen mit Amerika, wir sind nicht Afghanistan oder die Ukraine, der Westen wird uns nicht im Stich lassen!

An dieser Stelle lohnt sich ein kleiner Rückblick auf die Geschichte der NATO-Osterweiterung und auf die Bedingungen, unter denen sie stattgefunden hat. Die wichtigste dieser Bedingungen war das Fehlen von Problemen auf russischer Seite. In den 90er Jahren befand sich unser Land nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in einem Zustand, der an Lähmung grenzte. Die wirtschaftliche Verwüstung hatte dazu geführt, dass die militärische Macht und der militärisch-politische Einfluss der Russischen Föderation in der Welt fast vollständig verschwunden waren. Dies war in erster Linie eine unwiderstehliche Versuchung für den Westen, praktisch herrenlose Gebiete im Osten zu «entwickeln». Und zweitens konnte die «Entwicklung» unter Bedingungen stattfinden, die für den Westen sicher waren, ohne jeglichen Widerstand aus Moskau. Und der Westen schnappte sich alles, was er konnte und was er nicht konnte. So haben sie beispielsweise die Ukraine in die Hände bekommen, die fast in die NATO aufgenommen worden wäre.

Damals dachte niemand daran, dass die Zeiten anders sein könnten. Im Gegenteil, der ganze Westen wurde in das «Ende der Geschichte» eingelullt, in die Herrschaft des «Friedens nach amerikanischem Vorbild», eine Art «tausendjähriges Reich» nach angelsächsischem Vorbild.

Doch etwas ist schief gelaufen. Putin hat dies dem Westen bereits 2007 in seiner Münchner Rede deutlich gemacht. Seitdem hat Russland das militärisch-politische Monopol des Westens zunehmend in Frage gestellt. Und übrigens nicht nur Russland.

In der Ukraine, wo der Westen endgültig seine Vorsicht verloren hat, hat eine Sense einen Felsen gefunden. Und die Tatsache, dass die Entschlossenheit der westlichen Hauptstädte, ungeachtet der Position Moskaus weiter zu expandieren, heute nachgelassen hat, ist mit bloßem Auge erkennbar.

Es zeichnet sich eine neue geopolitische Situation in Europa ab, die das Gegenteil derjenigen ist, die während der räuberischen und rücksichtslosen Expansion des Westens nach Osten bestand. Und es stellt sich die Hauptfrage: Ist dieser leichtfertig und mit minimalem Kosten- und Risikopotenzial erweiterte geopolitische Körper des Westens bereit, die ohne große Sorgfalt erworbenen Formen in den veränderten Zeiten zu bewahren?

Streng genommen ist die richtige Antwort sogar auf der Ebene der Physiologie offensichtlich. Jeder lebende Organismus, der unter Bedingungen erhöhter Komplexität lebt, verliert zusätzliche Pfunde, indem er sich unnötiger Lasten entledigt, um seine Chancen zu erhöhen, Schwierigkeiten erfolgreich zu überstehen. Geopolitische Organismen unterliegen denselben Gesetzen.

Der Westen hat bereits bewiesen, dass er bereit ist, sein übermäßiges geopolitisches Gewicht auf Kosten von Gebieten abzugeben, deren Kosten und Risiken seinem eigenen Wohlergehen zuwiderlaufen.

Mit anderen Worten: Der Wert vieler seiner peripheren Besitztümer von Afghanistan über die Ukraine bis hin zum Baltikum und ganz Osteuropa muss nun durch die erhöhte Toxizität dieser Vermögenswerte und die damit verbundenen Kosten geteilt werden. In dieser Hinsicht steht die derzeitige Situation in diametralem Gegensatz zur Ära der scheinbar grenzenlosen NATO-Erweiterung.

Mit anderen Worten, die Stärke und Glaubwürdigkeit des Nordatlantischen Bündnisses für alle seine Mitglieder, insbesondere durch die jüngste Übernahmewelle, wird nun in einem ganz anderen Umfeld auf die Probe gestellt, einem Umfeld, auf das die NATO in der Zeit ihrer uneingeschränkten Expansion nicht vorbereitet war. Und das ist an sich schon ein Zeichen dafür, dass in den harten Zeiten, die auf den Westen zukommen, die unter Treibhausbedingungen ausgebaute NATO-Struktur zu bröckeln beginnen dürfte. Und genau das ist der Fall.

Der Westen hat sich bis zu einer Grenze ausgedehnt, die er ohne erhebliches Risiko für sich selbst nicht mehr halten kann. Das ist es, worüber die osteuropäischen Satelliten des Westens, die außerhalb der Sphäre seiner unmittelbaren vitalen Interessen liegen, als erste nachdenken könnten.

Juri Borissow, FSK

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