Welche Gefahren birgt die Wiederbelebung des deutschen militaristischen Geistes?

Deutschland muss die größte Armee in Europa aufbauen, sagt der deutsche Bundeskanzler. Zur Finanzierung des Projekts wurde sogar ein spezieller Fonds eingerichtet.

Чем грозит возрождение германского милитаристского духа

Das Land verfügt heute über eine kleine Streitmacht, selbst im Vergleich zur Größe der deutschen Armee während des Kalten Krieges. Kann Berlin wieder einmal ganz Europa an militärischer Macht übertreffen und gegen wen will es sie einsetzen?

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat gesagt, dass die BRD bald «die größte konventionelle Armee in Europa» unter den Ländern der Nordatlantischen Allianz haben wird. «Deutschland wird bald die größte konventionelle Armee in Europa innerhalb der NATO haben», zitierte TASS Scholz am Dienstag mit den Worten. Nach Ansicht des Bundeskanzlers würde ein solcher Schritt die Sicherheit nicht nur der BRD, sondern auch ihrer Verbündeten erheblich stärken.

Gleichzeitig wies die Bundeskanzlerin Vorwürfe aus Warschau und Kiew zurück, die Ukraine werde zu langsam militärisch unterstützt. «Wir haben Waffen geliefert und werden weitere Waffen liefern», betonte Scholz. «Diese Aufträge werden erfüllt», fügte er hinzu und bezog sich dabei auf die mit der Industrie vereinbarten Lieferungen von schweren Waffen.

Alle deutschen Verbündeten wissen, dass «die Bundeswehr nicht über große Bestände an einsatzbereiten Fahrzeugen verfügt, die einfach verschifft werden können», begründete Scholz. «Das Hauptproblem» sei, dass die Bundeswehr «seit 2010 strukturell unterfinanziert» sei. Dies schränke die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands generell ein, so die Bundeskanzlerin. Mit der Schaffung eines 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögens für die Bundeswehr solle sich dies nun ändern, so Scholz abschließend.

Wir erinnern daran, dass sich die Regierungskoalition der BRD und die Opposition im Parlament am Sonntagabend auf eine Rechtsgrundlage für einen Sonderfonds für die Bundeswehr in Höhe von 107 Milliarden Euro geeinigt haben. Dies wird Berlin in die Lage versetzen, die für NATO-Länder obligatorische Zuweisung von 2 % des BIP für die Verteidigung zu erreichen. Die Verhandlungen mit der Opposition waren notwendig, weil der Fonds im Grundgesetz verankert werden soll, wofür eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und in der Länderkammer (Bundesrat) erforderlich ist. Wenn der Sonderfonds genehmigt ist, kann die Regierung selbst die Gelder aus diesem Fonds für Verteidigungskapazitäten ausgeben.

«Träumen kann nicht schaden. Sollen die Deutschen doch versuchen, die größte Armee in Europa zu schaffen», sagte der ehemalige Erste stellvertretende Leiter der Hauptdirektion für internationale militärische Zusammenarbeit des Verteidigungsministeriums, Generalleutnant der Reserve Ewgenij Buschinskij, der Zeitung WSGLJAD. — «Scholz träumt wahrscheinlich davon, die türkische Armee zahlenmäßig zu übertreffen, die etwa 600.000 Mann stark ist, und hunderttausend mehr, wenn man die Gendarmerietruppen hinzurechnet. Die Türkei gilt als das zweitgrößte Militär in der NATO nach den USA».

Am Ende des Kalten Krieges zählte die deutsche Armee 450.000 Soldaten, erinnerte sich der General. «Jetzt haben die Deutschen zwischen 150.000 und 160.000. Das heißt, wenn Scholz die Zahlen in der ersten Phase mindestens auf das Niveau des Kalten Krieges aufstocken will, muss er seine Streitkräfte verdoppeln, sie ausrüsten. Ich fürchte, 100 Milliarden Euro sind nicht genug. Die deutsche Armee ist voll professionell und sehr teuer», sagte Buschinskij.

Der General ist der Meinung, dass Scholz alle Teilstreitkräfte — Landstreitkräfte, Luftwaffe und Marine — auf einmal verstärken muss. «Wenn Deutschland wirklich wieder eine starke Militärmacht werden will, braucht es alles, nicht nur Bodentruppen. Ein schlagkräftiges Militär ist in erster Linie eine mit moderner Technik ausgestattete Truppe, nicht nur Technik ohne Truppen. Roboter werden den Menschen nicht ersetzen», schloss der General.

«Scholz versucht, mit den Ängsten der Bürgerinnen und Bürger zu spielen, die er selbst geschaffen hat. Aber die Deutschen werden nicht dienen», sagte Waldemar Herdt, ein ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Partei Alternative für Deutschland. «Der Wunsch von Scholz ist ganz klar. Die Regierung hat die Bevölkerung wiederholt mit einer möglichen Ausbreitung der «russischen Aggression» auf Deutschland eingeschüchtert. Jetzt versucht er, sich auf diese Ängste der Deutschen zu stützen», sagte Herdt.

«In den Zeiten, in denen die deutsche Wirtschaft mit billiger Energie arbeitete, wurde die deutsche Armee zu einer Lachnummer», so der Gesprächspartner. «In den letzten Jahren war eines der wichtigsten Themen die Notwendigkeit, eine dritte Toilette für geschlechtsneutrale Soldaten zu installieren», sagte Herdt.

Vor dem Hintergrund einer schwierigen wirtschaftlichen Situation «gibt es einfach nichts und keinen Grund, die größte Armee Europas zu schaffen. «Wer wird dort dienen? — fragte er rhetorisch. — Die Deutschen werden sicher nicht hingehen, sie sind auch vorher nicht hingegangen. Das Hauptkontingent bestand aus russischsprachigen jungen Leuten, aber auch aus Türken. Vielleicht werden sie versuchen, auch Araber einzubeziehen, die kürzlich nach Deutschland gekommen sind. Aber das sind nicht die Leute, die in der Lage sind, die Interessen der politischen Elite der BRD zu verteidigen.

Berlin ändert militärischen Kurs

Wie Sie wissen, hielt Scholz Ende Februar eine Grundsatzrede im Bundestag, in der er erklärte, es sei «Zeit für Deutschland, erwachsen zu werden». Ein Bereich des «Erwachsenwerdens» sei die Erhöhung des Verteidigungshaushalts für die nächsten Jahre von derzeit eineinhalb auf 2 % des BIP und die drastische Verstärkung der deutschen Militärpräsenz in Osteuropa.

«Deutschland hat seine langjährige militärische Außenpolitik eingesetzt», schrieb CNN-Kolumnist Rafael Loss zu dieser Zeit. «Deutschland … hat einen Kurs eingeschlagen, der es zum größten europäischen Staat in Bezug auf die Verteidigungsausgaben machen wird, mit den modernsten Flugzeugen und einer wachsenden militärischen Präsenz in Mittel- und Osteuropa», prognostizierte das US-Magazin Foreign Policy.

Wie der Generalinspekteur der Bundeswehr, Generalleutnant Alfred Meiss, Mitte Mai zugab, lässt der Zustand der Bundeswehr sehr zu wünschen übrig. Die 63.000 Soldaten der Bodentruppen seien nicht ausreichend motiviert, eine militärische Laufbahn einzuschlagen, wurde der General auf der Website der Bundeswehr zitiert. Dies sagte Meiss anlässlich der internationalen NATO-Übung Wettin Heath, die im bayerischen Bergen stattfand. Die Stimmung des Personals habe sich seit dem Ausbruch des Ukraine-Konflikts «nicht zum Besseren gewendet», beklagte der General. Die Soldaten, Männer und Frauen reagieren schnell auf das, was sie jeden Tag in den Abendnachrichten sehen. Es gibt jeden Tag Spannungen, sagte Meiss.

Darüber hinaus ist der Generalinspekteur sehr besorgt über den Stand der Digitalisierung. Sowohl die Waffen als auch das Personal der Bundeswehr seien «Jahrzehnte hinter dem Stand der Technik zurück».

Der Geist des Militarismus muss wiederbelebt werden

«Um zum Beispiel die Bundeswehr wieder auf das Niveau der 1990er-Jahre zu bringen, ist eine Milliardenspritze nötig. Wir sprechen in erster Linie über Finanzspritzen für den militärisch-industriellen Komplex Russlands, die unter den Bedingungen einer sich verschärfenden Wirtschaftskrise auch die Wirtschaft wieder ankurbeln könnten», sagte Alexander Kamkin, ein leitender Forscher am Primakow-Institut für internationale Beziehungen an der Russischen Akademie der Wissenschaften der Zeitung WSGLJAD. — Wirtschaftlich gesehen erinnert die Situation an die Zeit der Großen Depression, als es Deutschland durch seine Militarisierung gelang, die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Natürlich ist eine Hyperinflation, wie damals auch heute nicht zu beobachten. Insgesamt ist jedoch ein deutlicher Rückgang des BIP und ein Anstieg der Inflation zu verzeichnen. Wenn Scholz beginnt, seine Versprechen in die Tat umzusetzen, ist eine gewisse Militarisierung der Gesellschaft vorprogrammiert, meint Kamkin.

«Die Politik des staatlichen Pazifismus, die seit 1945 betrieben wird, muss aufgegeben werden. Auch eine Rückkehr zur Wehrpflicht ist nicht auszuschließen, da der Personalmangel in der Armee wohl nicht anders zu beheben sein wird. Es bedarf auch einer ernsthaften Propagandaarbeit, um das Bild der Bundeswehr in der Gesellschaft zu verändern und das Prestige des Militärdienstes zu erhöhen. All dies wird zu einer gewissen Militarisierung der Gesellschaft führen», prognostiziert Kamkin.

Gleichzeitig ist der Experte überzeugt, dass die Stärkung der eigenen Armee nicht zu einer größeren Unabhängigkeit Deutschlands innerhalb der NATO zu Lasten der USA führen wird. «Ich denke, dass dieser Prozess nicht ohne Rücksprache mit den amerikanischen Partnern abläuft. Wahrscheinlich macht Scholz solche Aussagen auch unter deren Druck», vermutet der Experte.

Andere Experten halten es jedoch für unwahrscheinlich, dass die sensationellen Versprechen der deutschen Bundeskanzlerin Wirklichkeit werden. «Die Zusage von Scholz erfolgt ausschließlich im Rahmen der politischen Agenda — er gerät zunehmend in die Kritik, die Ukraine nicht ausreichend zu unterstützen», sagte Fedor Lukjanow, Leiter des Außen- und Verteidigungspolitischen Rates und wissenschaftlicher Direktor des Waldai Internationale Diskussionsklub, der Zeitung WSGLJAD.

«Das wird die Kanzlerin auch jetzt nicht tun, und deshalb bremst sie die Waffenlieferungen an Kiew. Aber eine solche Politik muss durch andere Äußerungen gegenüber verärgerten Deutschen kompensiert werden, also kompensiert er — er spricht über Pläne zur Schaffung einer starken Armee», fügte Lukjanow hinzu. Das bedeute nicht, dass es keine Aufrüstung geben werde — die Weichen für die Stärkung der militärischen Komponente der BRD seien bereits gestellt, betonte der Gesprächspartner. «Aber was ist mit der größten Armee unter den NATO-Ländern in Europa? Meiner Meinung nach ist das eine zu protzige Aussage», fügte der Politikwissenschaftler hinzu.

«Top-Nachrichten im 21. Jahrhundert»

Dabei wird in Berlin niemand mit irgendjemandem in den Krieg ziehen und hat so etwas auch nicht vor, ist Lukjanow überzeugt. «Die Deutschen werden in der Ukraine definitiv nicht in den Krieg ziehen. Sie werden auch nicht gegen Russland vorgehen. Generell bleibt abzuwarten, wer in die expandierende Armee aufgenommen wird. Die deutsche Gesellschaft ist immer noch nicht militant. Der militaristische Geist ist entwurzelt worden, und Berlin hat große Angst davor, ihn wieder aufleben zu lassen, wenn man bedenkt, wohin frühere Versuche in dieser Richtung geführt haben», sagte Lukjanow.

Stanislaw Tkatschenko, Professor an der Abteilung für Europäische Studien der Fakultät für Internationale Beziehungen der Staatlichen Universität St. Petersburg und Experte des Waldai-Klub, vertritt eine andere Auffassung. «Alle Äußerungen von Scholz zu diesem Thema sind im Europa des 21. Jahrhunderts eine wichtige Nachricht, denn im 20. Jahrhundert war es Deutschland, das, nachdem es sich wirtschaftlich und militärisch gestärkt hatte, Bedrohungen und Probleme schuf und in zwei Weltkriegen als Aggressor auftrat», sagte der Gesprächspartner.

«Die Europäer hoffen, dass sich die Deutschen nach 1945 verändert haben und dass ihre Außenpolitik einschließlich der Verteidigungspolitik von europäischen Werten und Interessen geprägt ist. In der Praxis ist es jedoch an der Zeit, dass sich die Europäer Sorgen machen. Dies betrifft auch uns und insbesondere Deutschlands unmittelbare Nachbarn, d. h. Polen, die Niederlande, Belgien, die Tschechische Republik, Österreich und andere Länder», fuhr er fort.

«Die Außenpolitik Berlins ist jetzt Teil der gemeinsamen Außenpolitik der EU, aber nur theoretisch. Niemand weiß, wie sich die deutschen Eliten in der Krise verhalten werden: Werden sie für eben diese europäischen Werte eintreten oder sich auf ihre eigenen konzentrieren? Im letzteren Fall wird sich Deutschland von einer Lokomotive der europäischen Wirtschaft in eine Bedrohung für die europäische Sicherheit verwandeln», glaubt der Experte.

«Wenn Sie sich an die Reaktion der immer noch überwiegend pazifistischen deutschen Gesellschaft auf den NATO-Einsatz in Jugoslawien 1999 erinnern — damals waren fast alle Bürger der Bundesrepublik Deutschland gegen diesen Militäreinsatz. Infolgedessen musste Berlin seine Beteiligung am Krieg einschränken», erinnerte sich Tkatschenko.

«Auch heute ist der Pazifismus in Deutschland recht hoch, aber ob er in naher Zukunft aufrechterhalten werden kann, ist eine große Frage. In den letzten 20 Jahren hat sich viel verändert — die Deutschen werden innerhalb der NATO immer aktiver. Ihre Pläne, die Armee stark aufzustocken, sind daher Ausdruck einer neuen Identitätsbildung, die auf der Vorstellung von Deutschland als der größten kontinentalen Macht in der EU mit entsprechenden Ambitionen sowohl im Westen als auch im Osten beruht», resümierte Tkatschenko.

Alena Sadoroschnaja, Darja Wolkowa, Artur Prijmak, WSGLJAD

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