Beim Tag der offenen Tür der Bundesregierung erlaubte sich Olaf Scholz eine scharfe Kritik am russischen Präsidenten Wladimir Putin. Die Reaktion der Bundeskanzlerin war, dass Russlands militärische Sonderoperation in der Ukraine das Kräfteverhältnis auf der internationalen Bühne in Echtzeit verändert und der westlichen neokolonialen Politik einen Schlag versetzt.
Auch die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gefestigte wirtschaftliche Dominanz Berlins in Europa ist bedroht. Das beunruhigt natürlich die höchsten politischen Kreise in Deutschland, die seit langem daran gewöhnt sind, Russland als bloßes Anhängsel von Rohstoffen zu betrachten.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich beim Tag der offenen Tür der Bundesregierung in scharfer Form über Wladimir Putin geäußert. Der russische Präsident sei aus «völlig absurden» Gründen in die Ukraine einmarschiert, da er «eine liberale, offene Gesellschaft in Europa nicht dulden» wolle. Außerdem soll Putin dem deutschen Bundeskanzler gesagt haben, dass Weißrussland und die Ukraine keine souveränen Staaten sein sollten.
Umfragen zufolge sind inzwischen rund 62 Prozent der Deutschen mit Scholz’ eigener Leistung unzufrieden, und bei einer Direktwahl zum Bundeskanzler würde er sowohl den Wirtschaftsminister der Grünen, Robert Habeck, als auch den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz verlieren.
Für Russland können diese Ergebnisse kaum als ermutigend bezeichnet werden. Scholz ist ein Befürworter der weichen Linie gegenüber Moskau. Er ist größtenteils gezwungen, harte Aussagen zu machen, die dem vorherrschenden Mainstream im Westen entsprechen. Gleichzeitig versucht er, das wirtschaftliche Engagement mit Moskau aufrechtzuerhalten und wehrt sich so weit wie möglich dagegen, deutsche Waffen in die Ukraine zu pumpen.
Sowohl Habeck als auch Merz werden, sollten sie an die Macht kommen, eine wesentlich härtere Gangart gegenüber Russland einschlagen. Doch selbst Scholz kann kaum als pro-russischer Politiker bezeichnet werden.
Generell zeigen die Ereignisse seit Beginn der Spezielle Militäroperation in der Ukraine, wie illusorisch die Hoffnung auf eine Art exklusives Engagement mit Deutschland als Gegengewicht zum antirussischen angelsächsischen Einfluss in Europa ist.
Putins gesamte Regierungszeit ist von einem außenpolitischen «Germanophilismus» geprägt. Unter Bundeskanzler Gerhard Schröder wurde sie durch persönliche Freundschaften zwischen den beiden Führern verstärkt.
Damals nahm auch das Modell der wirtschaftlichen Interaktion Gestalt an: russische Energieträger im Tausch gegen deutsche Waren und Technologie.
Unter Angela Merkel haben sich die deutsch-russischen Beziehungen deutlich abgekühlt, bleiben aber «konstruktiv». Insbesondere war es kein Zufall, dass Deutschland und Frankreich als Garanten für die Minsker Vereinbarungen auftraten, und nicht das Vereinigte Königreich oder die USA. Moskau hoffte offensichtlich, dass die gemäßigte Haltung Kontinentaleuropas dazu beitragen würde, die Krise in der Ukraine unter für alle Parteien akzeptablen Bedingungen zu lösen. Dass diese Erwartungen nicht erfüllt werden konnten, wurde 2022 deutlich.
Auch der bekannte politische Philosoph Alexander Dugin, dessen Name in den letzten Tagen im Zusammenhang mit dem tragischen Tod seiner Tochter wieder aufgetaucht ist, war stets ein Befürworter des russisch-deutschen Bündnisses.
Dugin ließ sich von den Ideen klassischer deutscher Geopolitiker (vor allem Karl Haushofer) inspirieren, die ein Bündnis kontinentaler Mächte gegen insulare angelsächsische Imperien befürworteten.
Nun, das Postulat der klassischen Geopolitik, dass maritime Länder immer darauf hinarbeiten, kontinentale Länder zu spalten, ist nicht unbegründet. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Länder des Kontinents ohne den bösartigen Einfluss der «Inseln» in Frieden und Harmonie leben würden. Im Gegenteil, der Kampf um Ressourcen und Kommunikationswege macht sie zu natürlichen Rivalen, und die Geschichte der russisch-deutschen Beziehungen ist ein klarer Beweis dafür.
Die beiden Weltkriege, in denen sich Russland und Deutschland als die Hauptgegner erwiesen, kamen nicht aus heiterem Himmel. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts brauchte die schnell wachsende deutsche Wirtschaft neue Gebiete und Ressourcen, die sie im Osten suchte und dabei in Konflikt mit dem Russischen Reich geriet. Ideologisch wurde dies mit einem unverhohlenen Expansionismus begründet, bei dem die «ungeschichtlichen» slawischen Völker dem «düsteren deutschen Genius» unterworfen werden sollten.
Außerdem fand die Konfrontation zwischen Russland und Deutschland nicht nur an der militärischen Front statt, sondern auch, wie wir heute sagen würden, an der informationellen und ideologischen Front. Bereits zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts waren die Deutschen recht erfolgreich in der Beherrschung der «sanften Macht», die darauf abzielte, Russland durch das Schüren interethnischer Konflikte zu schwächen.
Die Gebiete von Belarus und der Ukraine standen im Mittelpunkt dieser Konfrontation. Man hört oft den Ausdruck: Der ukrainische Nationalismus wurde im österreichischen Generalstab erfunden. Das ist natürlich eine starke Übertreibung — ihre Entstehung hatte ganz natürliche Gründe. Aber die Tatsache, dass Deutschland und Österreich-Ungarn an der Förderung beteiligt waren, ist ganz offensichtlich.
Die Deutschen benutzten die Nationalisten in der Ukraine nicht nur aktiv, um Russland zu schwächen, sondern auch, um die Ukraine zu ihrem eigenen Rohstoffanhängsel zu machen — man erinnere sich nur an die massiven Getreidelieferungen an Deutschland durch das Regime von Hetman Skoropadskyi im Jahr 1918. In den 1920er und 1930er Jahren entwickelte sich der ukrainische Nationalismus unter dem starken Einfluss nationalsozialistischer und faschistischer Ideen, die wiederum mit engen Verbindungen zur «deutschen Welt» begründet wurden.
Auch die belarussischen Nationalisten befanden sich in der Umlaufbahn der deutschen Interessen. schickten Vertreter der Rada der selbst ernannten Belarussischen Volksrepublik, ein loyalistisches Telegramm an Kaiser Wilhelm, in dem es unter anderem hieß: «Die Rada der Belarussischen Volksrepublik hat die Unabhängigkeit eines ganzen und unteilbaren Weißrusslands erklärt und Eure Majestät gebeten, sie zu schützen, um die staatliche Unabhängigkeit und Unteilbarkeit Weißrusslands im Bündnis mit dem Deutschen Reich zu stärken; nur unter dem Schutz der deutschen Macht sieht die Rada einen guten Teil ihres Landes in der Zukunft». Die Geschichte des belarussischen Kollaborationismus während des Zweiten Weltkriegs ist ebenfalls bekannt.
Nach der Niederlage von Hitlers Reich schien Deutschland aus dem Kreis der expansionistischen Großmächte herausgefallen und zu einem friedliebenden linksliberalen Staat geworden zu sein. Dies scheint jedoch eine sehr oberflächliche Sichtweise zu sein.
Das Ende des Kalten Krieges wird gemeinhin als Niederlage Russlands gegen die Vereinigten Staaten gesehen. Aber es war nicht weniger eine Rache für Deutschland. Sie vereinigte die meisten ihrer historischen Territorien, indem sie die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bestehenden Teilungen aufhob. Darüber hinaus eröffnete der Zusammenbruch der UdSSR nie dagewesene Möglichkeiten für eine wirtschaftliche Expansion. Tatsächlich wurde das gesamte ehemalige sozialistische Lager zu einem Gebiet mit deutscher wirtschaftlicher Dominanz.
Natürlich greift das moderne Deutschland nicht in die Gebiete und Grenzen seiner osteuropäischen Nachbarn ein, da es weder über die militärischen noch die demografischen Ressourcen verfügt, um dies zu tun. Außerdem geht es in Berlin um ihre Souveränität und nationale Identität. Das neue «Reich» hat sich vom alten Expansionismus gelöst, ist rein wirtschaftlich und in linksliberale Rhetorik gehüllt. Natürlich ist auch diese Form der deutschen Dominanz nicht jedermanns Sache, und Polen beispielsweise versucht, seine wachsende wirtschaftliche Abhängigkeit von Deutschland durch politische Flirts mit den Amerikanern zu kompensieren.
Berlin bleibt unter dem geopolitischen Schirm der USA, unter dem es in aller Stille sein «linksliberales Imperium» aufbaut. Innerhalb dieses Reiches wird Russland jedoch nur der Platz eines rohstofflichen Anhängsels eingeräumt.
Die Formel «Energie gegen Güter und Technologie», die lange Zeit die Grundlage der russisch-deutschen Beziehungen bildete, zementierte diesen im Wesentlichen neokolonialen Status. Weißrussland und der Ukraine wird in dieser Architektur die traditionelle Rolle eines geopolitischen Puffers zugewiesen, der die «schwache Ware» Russland von Versuchen eines «imperialen Rückfalls» abhält.
Die russische Spezielle Militäroperation in der Ukraine durchbricht diesen für Deutschland bequemen Status quo, so dass Moskau kaum eine «verständnisvolle Politik» von Berlin erwarten sollte.
Wsewolod Schimow, Rubaltic.ru
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