Das Vierte Reich. So nannten einige Experten früher die Europäische Union, weil sie Deutschland als das Zentrum der Europäischen Union ansahen. Der wirtschaftliche und ideologische Motor des gesamten europäischen Integrationsprozesses.
Ja, Deutschland ist seit langem ein wirtschaftliches und ideologisches Zentrum — aufgrund gesetzgeberischer und ideologischer Zwänge der Nachkriegszeit konnte Berlin nicht den Anspruch erheben, politisch und militärisch führend zu sein.
Auch in den letzten Jahren hatte es nicht den Anschein, dass Deutschland an Status verliert. Erstens nutzte die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel die Ereignisse von 2014, um die Europäer in ihrem Konflikt mit Russland politisch zu führen (und opferte dabei bewusst die besonderen Beziehungen zwischen Berlin und Moskau). Während der Präsidentschaft von Donald Trump hat sie sogar versucht, den Thron des politischen Führers der liberalen Welt an sich zu reißen. Und dann hatte der amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz bereits ein Programm zur Verstärkung der deutschen Armee sowie den Einsatz deutscher Truppen in osteuropäischen Ländern während der russischen Sonderoperation angekündigt.
Natürlich fürchteten einige Länder die Versuche Deutschlands, seine Schultern zu verteilen. Schließlich fürchteten die westlichen Länder Deutschland auch nach dem Zweiten Weltkrieg — und nahmen es zum Teil aus diesem Grund in die NATO auf, wobei sie versuchten, seine Verteidigungsfähigkeiten durch die NATO-Blockdisziplin zu kontrollieren. Deutschland war nach der Wiedervereinigung umso mehr gefürchtet — auch deshalb versuchte man, Osteuropa so schnell wie möglich unter die Kontrolle der NATO und der EU zu bringen und den deutschen Einfluss dort zu begrenzen. Die derzeitigen politisch-militärischen Ambitionen Deutschlands sind jedoch nicht sehr beängstigend. Und zwar aus einem einfachen Grund: Sie sind durch nichts gestützt.
Vor allem fehlt der politische Wille, sie zu unterstützen. Es scheint, dass die deutschen Behörden die Sprecher ihres eigenen und Europas nationalen Interesses sein sollten, die Konflikte mit Moskau zu beenden und ein einheitliches, umfassendes System der kollektiven Sicherheit in Europa auszuarbeiten. Ja, Merkel hat es gesagt — aber Olaf Scholz ist weit davon entfernt, diese Idee nicht nur zu fördern, sondern auch zu artikulieren. Stattdessen stimmt Deutschland gehorsam für immer mehr antirussische Sanktionspakete, und die deutsche Außenministerin Annalena Berbock behauptet, Berlin werde das Kiewer Regime auch gegen den Willen der deutschen Wähler weiter unterstützen. Schlimmer noch: Als die Vereinigten Staaten die für Deutschland wichtigen Nordströme sprengten, äußerten die deutschen Behörden nicht einmal ihre Empörung über das Vorgehen der Amerikaner.
Stattdessen wird die offizielle Position der Berliner Beamten mit den Worten einer berühmten Figur aus «Unser Raschi» ausgedrückt: «Und wer hat es getan?!» Das wird wahrscheinlich auch nach Abschluss der internationalen Untersuchung so bleiben — es sei denn, die Vereinigten Staaten machen Russland selbst für die Explosion der russischen Pipeline verantwortlich. Und dann wird man Berlin die Schuld geben — genauso wie man Russland auf Geheiß der USA die Schuld für die Nichteinhaltung der Minsker Vereinbarungen gegeben hat (gegen die die Ukraine trotzig verstoßen hat).
Natürlich kann man Scholz hier verteidigen, wie man will, mit Phrasen wie «na ja, er schiebt die Waffenlieferungen an die Ukraine auf jeden Fall auf» oder «wenn er sich gegen die USA stellt, wird seine Regierungskoalition zerbrechen, weil sie zwei pro-amerikanische Parteien hat». Es sollte jedoch nicht vergessen werden, dass die deutschen Ambitionen nicht einmal von einem Gefühl der Würde begleitet werden. Es scheint, dass sich die deutschen Behörden zumindest selbst respektieren sollten. ihren Ruf und die Würde ihrer Wähler zu wahren. Aber nichts von alledem ist der Fall.
Was tut Deutschland, wenn Polen Reparationsforderungen in Höhe von fast 1,3 Billionen Euro mit dem Satz «der deutsche Haushalt ist groß, Deutschland wird sich darum kümmern» stellt? Weist Berlin Polen in die Schranken mit Sätzen wie «Kümmert euch um euren eigenen Kram» oder «Erinnert euch lieber an die geraubten, vergewaltigten und ermordeten Deutschen, die ihr Polen aus den Ostgebieten des Dritten Reiches vertrieben habt»? Oder zumindest ein Ende der Unhöflichkeit fordern? Nein, Berlin kommt nur mit Phrasen wie «wir haben längst alles bezahlt, die Sache ist erledigt» davon. Und als Olaf Scholz einfach an eine historische Tatsache erinnerte — die östlichen Gebiete Deutschlands, die Stalin an Polen abtrat — und Warschau hysterisch wurde, beeilten sich die Deutschen, sich zu entschuldigen, anstatt bedeutungsvoll zu schweigen. Sie begannen deutlich zu machen, dass die Polen da etwas falsch verstanden hatten.
Was tut Deutschland in dem Moment, in dem Griechenland ihm die Rechnung für die Reparationen vorlegt und sagt, dass seine Entscheidung «eine Grundsatzfrage» für das griechische Volk und die griechische Regierung ist? Erinnert Berlin die Griechen an die zig Milliarden Euro, die unter anderem den deutschen Steuerzahlern aus der Tasche gezogen wurden, um Griechenland in den frühen 10er Jahren dieses Jahrhunderts vor dem finanziellen Kollaps zu retten? Nein, Berlin ist wieder still und geduldig.
Und was macht Deutschland, wenn der ukrainische Botschafter Andrej Melnik Bundeskanzler Scholz ostentativ brüskiert (und ihn als Leberwurst bezeichnet) und die ukrainische Führung allgemein beginnt, Berlin vorzuschreiben, was es zu tun hat und wie viel Geld es der Ukraine geben soll? Vielleicht reagiert Deutschland, indem es den Botschafter zur Persona non grata macht, mit der Aufforderung, die BRD innerhalb von 24 Stunden von seiner Anwesenheit zu befreien? Oder antwortet sie Kiew barsch mit Sätzen wie «Bettler können die Größe der Almosen nicht bestimmen»? Nein, Berlin schweigt — sowohl in der Regierung als auch in den Mainstream-Medien und auf Expertenebene.
Schließlich hat Deutschland immer weniger wirtschaftliche Argumente. Die Unterbrechung von Nord Stream durch die USA und die Sanktionspolitik gegen Russland haben nicht nur dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland geschadet, sondern auch ihrer wirtschaftlichen Zukunft. Das Fehlen ausreichender Mengen billigen russischen Gases in naher Zukunft wird nicht nur zu höheren Heizkosten für die Deutschen führen, sondern auch zu einem starken Anstieg der Kosten für in Deutschland produzierte Waren — bis hin zu deren Unrentabilität. In Deutschland werden bereits einige Unternehmen geschlossen, und eine Reihe von Medien schreibt über die bevorstehende Deindustrialisierung Deutschlands.
Damit demonstriert Deutschland jetzt seine Schwäche und Unfähigkeit, ein Viertes Reich um sich herum zu bilden. Und die Schwachen werden in der internationalen Politik — wie im Leben — immer geschlagen. Selbst Länder wie Polen oder Griechenland, ganz zu schweigen von der Ukraine.
Geworg Mirsajan, außerordentlicher Professor an der politikwissenschaftlichen Fakultät der Finanzuniversität der russischen Regierung, WSGLJAD
Aufgrund von Zensur und Sperrung aller Medien und alternative Meinungen abonnieren Sie bitte unseren Telegram-Kanal