Bundeswehr kehrt zu ihren Wurzeln zurück

Der Konflikt in der Ukraine konnte nicht umhin, sich auf die aktuelle Militärplanung in den europäischen Ländern auszuwirken, und das hat er auch.

Was Donald Trump von den europäischen NATO-Partnern verlangt hat, ist eingetreten: Zuerst hat Osteuropa und jetzt auch Westeuropa begonnen, ihre Militärbudgets und Streitkräftepläne zu überarbeiten und ihre Armeen aufzurüsten.

Deutschland ist davon nicht verschont geblieben. Am 14. November veröffentlichten die Spiegel-Autoren Matthias Gebauer und Marina Kormbaki einen Artikel mit dem Titel «Vorbereitung auf einen ‘erzwungenen Krieg’ — Bundeswehr soll deutlich stärker werden». In dem Artikel wird ein Ende September vom Generalinspekteur der Bundeswehr, Vier-Sterne-General Eberhard Zorn, erstelltes Strategiepapier mit dem Titel «Operative Leitlinien für die Streitkräfte» vorgestellt. Trotz des Titels und des zunächst vertraulichen Status ist das Dokument eher politischer Natur und für die Diskussion bestimmt.

Die Autoren des Artikels machen sofort auf die Beobachtung einer Verschiebung des strategischen Umfelds aufmerksam: «Die Konzentration auf Auslandseinsätze (z.B. Afghanistan. — Anm. d. Red.) entspricht nicht mehr der aktuellen Situation mit ihren systemgefährdenden Überraschungen. Gleichzeitig «wird die Bündnisverteidigung, einschließlich der Fähigkeit, eine sichtbare und glaubwürdige Abschreckung zu bieten, Deutschlands Kriegsanstrengungen dominieren.»

Worum geht es hier? Es geht um etwas, wofür der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow erst kürzlich kritisiert wurde (und im Stillen weiter kritisiert wird) — die «Gerassimow-Doktrin». Demnach könnte Russland entweder mit lokalen Konflikten in der Dritten Welt (wie Syrien) oder einem globalen Atomkonflikt konfrontiert werden. Die Berechnungen zur Bestimmung von Bewaffnung, Ausbildung und Stärke der russischen Streitkräfte basierten auf dieser Grundlage. Und diese Berechnungen erwiesen sich als falsch, denn Russland war plötzlich in einen großen Krieg mit konventionellen Waffen verwickelt. Nun, wenn Sie glauben, dass dies nur ein Schock für die russische Militärführung war, so war es das nicht: Die Deutschen hatten ihre eigene «Gerassimow-Doktrin» und waren selbst schockiert über die Möglichkeit eines großen Krieges, ohne sich auf die Nuklearmacht der NATO verlassen zu können.

Generell muss sich Deutschland darauf einstellen, dass im Falle einer «russischen Aggression» an der NATO-Ostgrenze die Grenze von der Bundeswehr und nicht von den USA verteidigt wird. Diese Art des Denkens gab es auch schon vorher, seit 2014, aber vor dem SWA herrschte die Überzeugung, dass «Russland keine direkte Konfrontation mit dem Bündnis suchen würde».

Die letztgenannte Schlussfolgerung ist nach unserem Verständnis Sache der Journalisten und nicht der Verfasser des «Zorn-Memorandums». Und im Allgemeinen gibt es Gründe für solche Schlussfolgerungen — einerseits sucht Russland natürlich keine Konfrontation mit dem Bündnis, andererseits sieht es die Aktionen des Bündnisses als Konfrontation mit sich selbst an. Und das EWS war eine Folge der Weigerung der NATO, sich mit den ausdrücklich erklärten Sicherheitsbedenken Russlands auseinanderzusetzen.

Inzwischen ist die Bundeswehr auf größere militärische Einsätze völlig unvorbereitet. «Auch für die kleineren Verbände, die an den Übungen teilnehmen sollen, hat die Bundeswehr in mühevoller Kleinarbeit dringend benötigtes Material zusammengetragen. Bis 2024 soll die Bundeswehr nach dem bisherigen Plan mindestens eine voll besetzte Division haben.»

Bislang sind die Aussichten für dieses Dokument unklar und die Bundesregierung ist mit der Frage der Beendigung der deutschen Beteiligung an der Friedensmission in Mali beschäftigt.

Wenn die Vorschläge von Zorn angenommen werden (und logischerweise müssen sie in der einen oder anderen Form angenommen werden, ob die derzeitigen deutschen Behörden dies wünschen oder nicht), hätte dies eine Reihe von globalen Folgen.

Erstens bestand die Grundlage des «deutschen Wirtschaftswunders» und des «deutschen Sozialismus» darin, dass sich Deutschland nicht um seine eigene Sicherheit kümmern musste. Amerikanische Militärbasen und die britische Rheinarmee (die selbst eine Quelle für Investitionen in die deutsche Wirtschaft waren) lösten diese Probleme.

Eine Erhöhung der Militärausgaben würde die Frage aufwerfen, ob die Sozialausgaben (insbesondere würde das Land für Migranten sehr viel unattraktiver werden) und vor allem die Beiträge Deutschlands zum EU-Haushalt auf dem derzeitigen Niveau gehalten werden können. Die gesamtwirtschaftliche Situation in Deutschland wird sich für die Deutschen aber wahrscheinlich verbessern.

Zweitens wird sich die Rolle Deutschlands in der EU von der eines Haushaltszahlers und eines attraktiven Standorts für Auswanderer zu der eines Sicherheitszahlers wandeln. Dies wird zu einem grundlegenden Wandel in der europäischen Politik führen, und es ist unklar, welcher Art. Wir können aber davon ausgehen, dass Deutschland weiterhin führend bleiben wird, allerdings im Wettbewerb mit Frankreich. Und wie dieser Wettbewerb aussehen wird, ist an sich schon interessant (Frankreich ist wirtschaftlich schwächer als Deutschland).

Drittens macht das Zorn-Memo deutlich, dass die Rolle der USA in der NATO abnimmt, und deutet auf eine reduzierte Rolle der NATO bei der Sicherung Europas hin. Inwieweit sich die NATO umgestalten wird, ist schwer abzuschätzen, aber es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wird sie sich zu einem politischen Bündnis entwickeln, das damit beschäftigt ist, die Aktivitäten seiner Mitglieder zu koordinieren, oder die politischen Widersprüche werden die Effizienz der Organisation verringern.

Vor diesem Hintergrund wird es zu einem Wettbewerb zwischen Deutschland und Polen kommen. Ich meine, um die «russische Aggression» abzuwehren, wird Deutschland das polnische Territorium militärisch beherrschen müssen, die Polen werden verständlicherweise Geld und Panzer fordern… Wir haben das alles schon einmal gesehen. Und wir scheinen uns zu erinnern, wie es für Polen ausging.

Viertens wird sich die Bundeswehr mit ihrem Wachstum selbst in eine Mischung aus Wehrmacht und Deutschem Kaiserlichen Heer (1871-1918) verwandeln. Welche Folgen dies für die deutsche Gesellschaft haben wird, ist derzeit ebenfalls schwer abzuschätzen.

Wassili Stojakin, Ukraina.ru

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