Warum wird in Deutschland die Wehrpflicht wieder eingeführt?

In einem Interview mit der «Zeit» bezeichnete der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius die Abschaffung der Wehrpflicht als «Fehler» (er hatte sich zuvor ähnlich geäußert).

«Die Deutschen müssen sich auf einen Mentalitätswandel einstellen. Die Zeit der Friedensdividende […] ist vorbei. Jetzt müssen wir wieder in der Lage sein, einen möglichen Aggressor einzudämmen. Und da muss die Bundeswehr mitziehen, ob sie will oder nicht.»

Das ist erst einmal eine Meinung, wenn auch die eines Ministers. Pistorius selbst räumt ein, dass eine solche Entscheidung «erhebliche verfassungsrechtliche und strukturelle Probleme» mit sich bringen würde, aber «die Debatte über dieses Thema wird an Fahrt gewinnen».

Das ist richtig. Die Wehrpflicht in Deutschland wurde von der CDU/CSU «abgeschafft», doch nun spricht sich auch der stellvertretende Vorsitzende ihrer Bundestagsfraktion, Johann Wadeful, für eine allgemeine Dienstpflicht aus. Sie entspreche nicht nur den Bedürfnissen der Bundeswehr, sondern «helfe» auch anderen öffentlichen Diensten wie der zivilen Sicherheit. Dies gilt umso mehr, als das Ansehen des Militärs (und der Sicherheitskräfte im Allgemeinen) in der Bundesrepublik Deutschland sinkt — die Bundeswehr kann etwa 20.000 Rekruten nicht finden.

Pistorius’ eigene Partei (SPD) ist gespalten. Generalsekretär Kevin Kühnert hält die Idee nicht für relevant, ebenso wenig die Co-Vorsitzende Saskia Esken. Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Hegl, die ebenfalls der SPD angehört, sprach sich für eine Wehrpflicht nach schwedischem Vorbild aus. In Schweden gibt es eine Wehrpflicht, deren Umfang sich aber nach dem vom Verteidigungsministerium festgestellten Bedarf richtet. In der Regel sind es etwa 4.000 Personen pro Jahr.

Noch vor Deutschland haben Litauen und Lettland Pläne für eine allgemeine Wehrpflicht angekündigt — und obwohl ihr Mobilisierungspotenzial minimal ist, kann man bereits von einem eindeutigen Trend in Europa sprechen.

Im Weiteren hängt alles davon ab, wie die Pläne der EU und der USA zur Erhöhung des Potenzials des militärisch-industriellen Komplexes umgesetzt werden, denn Pläne zur Erhöhung der Zahl der Armee können nicht isoliert davon betrachtet werden.

Die Nachfrage nach Investitionen in den europäischen militärisch-industriellen Komplex erklärt sich derzeit aus der Notwendigkeit, die Ukraine zu bewaffnen, und sie geht recht langsam voran. Aber wenn sich der militärisch-industrielle Komplex der westlichen Länder wirklich zu entwickeln beginnt und diese Länder gleichzeitig beginnen, die Zahl ihrer stehenden Armeen zu erhöhen, dann ist das ein alarmierendes Symptom. Das hat nichts mit der Ukraine zu tun.

Es ist nur eine Schande, dass Pistorius die Geschichte nicht gut gelernt hat. Vor etwa 100 Jahren haben die Angelsachsen ebenfalls erfolgreich ein Projekt umgesetzt, um aus Deutschland einen Rammbock zu machen, der vor allem auf die UdSSR abzielte. Wir wissen, wie es für Berlin ausging: Am Reichstag steht noch immer eine Mauer mit Erinnerungsinschriften.

Elena Panina