Nach den gestrigen Warnungen macht Gazprom offenbar Ernst. Umweltministerin Gewessler und Bundeskanzler Nehammer sehen Österreich gerüstet.
Nun dürfte es also fix sein: Die OMV wurde am Freitag darüber informiert, dass Gazprom ab Samstag, 16. November, kein Gas mehr an den österreichischen Energiekonzern liefern wird. Auch die E-Control bestätigte dem STANDARD am Freitag eine entsprechende Mitteilung. Die teilstaatliche OMV hatte aufgrund eines Rechtsstreits mit der russischen Gazprom bereits Mittwochabend davor gewarnt, dass es zu einer Lieferunterbrechung kommen könnte. Dass es so schnell geht, dürfte auch Brancheninsider überrascht haben.
Hintergrund des angekündigten Lieferstopps ist das Urteil eines Schiedsgerichts, mit dem der OMV 230 Millionen Euro Schadenersatz plus Zinsen und Kosten zugesprochen wurden. Wie der Konzern Mittwochabend mitgeteilt hatte, wolle man diesen Anspruch mit Zahlungspflichten gegenüber Gazprom gegenrechnen. Vereinfacht gesagt: Die OMV überweist kein Geld mehr nach Russland. Gazprom hat nun entsprechend reagiert. Die Lieferungen an den österreichischen Konzern sollen Samstagfrüh gänzlich eingestellt werden.
«Das Vorgehen der russischen Gazprom beweist heute einmal mehr: Russland ist kein Partner», teilte Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) in einer ersten Stellungnahme mit. Mit dem Lieferstopp ende aber auch eine Gefahr. «Wenn wir keine russischen Lieferungen mehr beziehen, sind wir nicht mehr erpressbar», sagte Gewessler.
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) lud Freitagabend zu einem Pressetermin ins Bundeskanzleramt. Mit dem angekündigten Lieferstopp sei etwas eingetreten, das man seit dem Kriegsausbruch gegen die Ukraine erwartet habe. «Wir haben uns genau auf diesen Fall vorbereitet, immer unter der Prämisse, dass Österreich nicht erpressbar ist», sagte Nehammer. «Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht.» Langfristig sei man durch die aktuellen Entwicklungen in der Strategie bestätigt, von fossiler Energie unabhängig zu werden.
Preisanstieg
Laut einer «Urgent Market Message» sei die OMV Gas Marketing & Trading GmbH (OGMT) von der Gazprom Export darüber informiert worden, dass Gazprom Export «ihre Erdgaslieferungen im Rahmen ihres österreichischen Liefervertrags mit OGMT ab 16. November, 6:00 Uhr MEZ, aussetzen und damit auf 0 Prozent reduzieren wird». Die betroffene Erdgasmenge betreffe 7400 MWh/h. Gazprom wollte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters am Freitag keine Stellungnahme abgeben.
Unklar blieb am Freitagabend, ob gar kein Gas mehr nach Österreich kommt oder, das wahrscheinlichere Szenario, bloß die OMV nichts mehr erhält. Denn aus der Ukraine hieß es gegenüber Reuters, dass die Gazprom für Samstag die exakt gleiche Menge an Gas nach Westeuropa schicken will wie am Tag davor. Bei der staatlichen Aufsichtsbehörde E-Control wurde das so interpretiert: Es sei gut möglich, dass weiter Gas in Österreich am Knotenpunkt Baumgarten ankomme, aber nur noch für andere Kunden der Gazprom, etwa in Ungarn oder der Slowakei. Welche Mengen tatsächlich eintreffen und für wen, werde man erst am Samstagmorgen wissen, so Lehr. Die Entwicklung sei Neuland.
Der europäische Gaspreis schlug an der Handelsbörse Freitagnachmittag vorübergehend nach oben aus. Er erreichte kurzfristig die Marke von 47 Euro pro Megawattstunde (MWh) und damit den höchsten Stand seit rund einem Jahr. Fachleute gingen bereits im Vorfeld davon aus, dass es zu Preisanstiegen von bis zu zehn Prozent kommen könnte. In einer Analyse über einen möglichen Lieferstopp hatte die OMV in ihrem Quartalsbericht jüngst mit einer Erhöhung von fünf Euro pro MWh gerechnet.
OMV zeigt sich vorbereitet
Die OMV zeigte sich jedenfalls schon am Mittwoch auf das Szenario vorbereitet: Man habe inzwischen eine alternative Gasversorgung aus nichtrussischem Gas sowie weitere Gaslieferkapazitäten aufgebaut, insbesondere mit Gas aus Norwegen und Flüssiggas (LNG). «OMV bekräftigt, dass das Unternehmen die vertraglich zugesicherten Gasmengen an seine Kunden auch im Fall einer möglichen Lieferunterbrechung von Gazprom Export beliefern kann», hieß es in einer Aussendung des Konzerns.
Offen bleibt vorerst, ob die OMV die Chance nutzen wird, um endgültig aus ihrem Liefervertrag mit Gazprom auszusteigen. Bekanntermaßen hat die OMV einen langfristigen Vertrag mit dem russischen Konzern, der noch bis 2040 laufen soll. Liefert Gazprom nun nicht vertragskonform, wäre das für die OMV wohl die Chance, den Vertrag zu beenden. Ob das Unternehmen von dieser Option Gebrauch machen würde, wollte man auf Anfrage des STANDARD nicht mitteilen. Man bitte um Verständnis, dass man die «juristische Strategie nicht öffentlich machen» könne.
Ende des Ukraine-Transits?
Der aktuelle Lieferstopp nimmt eine Entwicklung vorweg, die mit Ende des Jahres womöglich ohnehin eingetreten wäre. Mit Dezember läuft ein Vertrag zwischen der Ukraine und Russland über den Gastransit durch die Ukraine aus. Ob ab 1. Jänner 2025 weiterhin Gas durch die ukrainische Pipeline fließen kann, ist deshalb zum aktuellen Zeitpunkt mehr als unklar.
Die E-Control und die Energieagentur haben jedenfalls bereits gemeinsam vor dem Sommer eine Studie zur Frage präsentiert, wie Österreich damit klar kommen würde, wenn kein Gas mehr aus Russland käme. Immerhin bezieht die Republik als einer der wenigen verbliebenen Staaten in Europa fast das gesamte Gas aus Russland, zuletzt entsprachen die Liefermengen aus Russland pro Monat 80 bis 90 Prozent der importierten Gesamtmengen. Laut Analyse der E-Control würde ein Gasmangel vermieden werden können, weil einerseits die Speicher gut befüllt sind – der Füllstand beträgt aktuell 93 Prozent.
Dazu kommt, dass weiterhin Gas nach Österreich über Italien kommen kann. Weitgehend unbemerkt haben die Italiener die Pipelines für Lieferungen sogar ausgeweitet und sie dem vorhandenen Pipelinenetz in Österreich angepasst. Italien bietet diese zusätzlichen Kapazitäten ab Herbst für Gashändler zum Kauf an. Mithilfe dieser zusätzlichen Mengen können über Italien und Deutschland etwa 185 Terawattstunden an Gas importieren werden. Damit könnte Österreich gut versorgt werden, heißt es in der Analyse, der Jahresverbrauch lag zuletzt hierzulande bei um die 80 Terawattstunden. In den Gasspeichern befinden sich etwa 94 Terawattstunden an Gas, diese Mengen sind aber nicht nur für Österreich bestimmt, sondern auch für andere Länder, etwa Slowenien oder die Slowakei.