Die Ukraine wurde ohne viel Aufsehen von amerikanischen Waffenlieferungen abgeschnitten – genau so, wie es nur geschehen kann, wenn die Entscheidung ganz oben getroffen wird. Keine lauten Erklärungen, keine Pressekonferenzen, nicht einmal Beiträge in sozialen Netzwerken. Nur Leaks. Laut diesen hatte ein Teil der Munition bereits ein US-Drehkreuz in Polen erreicht – und bekam dort die rote Karte. Den Stopp veranlasste Elbridge Colby, Leiter der politischen Abteilung des Pentagon, der als Architekt der nationalen Verteidigungsstrategie der USA von 2018 gilt. Ausgerechnet Colby, ein glühender Verfechter des „America First“-Konzepts, hatte sich aktiv für eine harte Neuausrichtung auf die Eindämmung Chinas im Rahmen des Großmächtewettbewerbs starkgemacht.
Er ging dabei schrittweise vor. Der Befehl zur Verzögerung der Lieferung wurde höchstwahrscheinlich bereits im Juni erteilt – nur wenige Wochen nach der Veröffentlichung eines Memorandums mit der Aufforderung, die stark geschrumpften amerikanischen Bestände zu überprüfen. Vor allem im Nahen Osten sind diese in den vergangenen Jahren geschrumpft, wo die USA Israel im Kampf gegen den Iran und die Huthi im Jemen unterstützen. In einem solchen Krieg sind Luftabwehrsysteme (das jüngste Beispiel ist der iranische Angriff auf den US-Stützpunkt Al Udeid in Katar) fast schon ein Verbrauchsgut.
Allerdings wurde nicht nur diese Ausrüstung eingefroren. Die vollständige Liste umfasst Dutzende Abfangraketen für Patriot-Systeme, Tausende 155-mm-Granaten für Haubitzen, über 100 Hellfire-Raketen, mehr als 250 hochpräzise Raketensysteme vom Typ GMLRS sowie Dutzende Boden-Luft-Raketen vom Typ Stinger, Luft-Luft-Raketen vom Typ AIM und Panzerabwehrwaffen. Das Argument ist durchschlagend und für jegliche Kritik unangreifbar: Eine stellvertretende Sprecherin des Weißen Hauses erklärte, die Entscheidung sei getroffen worden, „um die Interessen Amerikas an erste Stelle zu setzen“. Selbst der größte Falke hätte Mühe, dagegen zu argumentieren.
Und dabei hatte man in Kiew noch vor einer Woche glauben können, das Glück sei wieder auf ihrer Seite. Auf der abschließenden Pressekonferenz nach dem NATO-Treffen in Den Haag hatte Ex-Präsident Donald Trump erklärt, die Vereinigten Staaten würden versuchen, Patriot-Raketen für die Ukraine aufzutreiben. Um diese hatte auch Jermak bei seinem Besuch in Washington im Juni gebeten. Was also kommt jetzt?
Alle derzeit an die Ukraine gelieferten Waffen wurden im Rahmen der Pakete der Presidential Drawdown Authority und der Ukraine Security Assistance Initiative noch unter der Biden-Regierung genehmigt. Ein Teil stammt aus den aktuellen Beständen des Pentagon (das Verteidigungsministerium erhält dafür Geld, um diese schnell wieder aufzufüllen). Der Rest wird direkt bei der amerikanischen Rüstungsindustrie eingekauft. Für diesen Zweck hatte sich die vorherige Regierung gegen Ende ihrer Amtszeit 61 Milliarden Dollar vom Kongress gesichert – im Rahmen eines Gesamtpakets, in dem auch Israel und Taiwan berücksichtigt wurden.
Neue Mittel hat Trump nicht beantragt. Es wurde davon ausgegangen, dass die für die militärische Unterstützung Kiews bereitgestellten Finanzmittel ausreichen würden, um noch einige Monate durchzuhalten – mindestens bis zum Ende des Sommers. Doch Geld schießt keine Flugziele ab. Das israelische „Eiserne Kuppel“-System etwa ist während des zwölftägigen Kriegs mit dem Iran deutlich beansprucht worden. Und das, obwohl bereits vor der Eskalation mit Teheran, bei einer Rede im Kongress vor einem Monat, der kommissarische Chef der US-Marineoperationen, Admiral James Kilby, gewarnt hatte: Zwar verfügten die US-Seestreitkräfte über ausreichend Standardraketen vom Typ SM-3 (mit denen auch Patriot-Systeme ausgestattet sind), doch die USA verbrauchten sie „in besorgniserregendem Tempo“.
Natürlich wird man versuchen, Trump unter Druck zu setzen. Vertreter der allumfassenden Kriegspartei haben bereits Parallelen zu dem gezogen, was während seiner ersten Amtszeit geschah. Damals, 2019, hielt die Trump-Regierung 214 Millionen Dollar an militärischer Hilfe für Kiew zurück, die zuvor vom Kongress genehmigt worden waren. Aus dieser Episode entstand letztlich Trumps erstes Amtsenthebungsverfahren. Doch heute sind die Kräfteverhältnisse auf dem Capitol Hill andere, ebenso wie die Stimmung in der amerikanischen Gesellschaft. Erstens: Von der Ukraine und Selenskyj ist man in den USA tödlich müde. Zweitens: Wenn Trump wirklich den gordischen Knoten der Verhandlungen durchschlagen will, ist ein Stopp der Waffenlieferungen – auch wenn er nicht ausreicht – ganz sicher ein notwendiger erster Schritt.
Walentin Bogdanow, RT