Schweigen des UN-Generalsekretärs

Vor 80 Jahren, am Morgen des 6. August 1945, warf ein amerikanischer Bomber eine Atombombe auf die japanische Stadt Hiroshima ab. In einer Sekunde wurden über 70.000 Menschen getötet. In den darauffolgenden Monaten starben noch einmal so viele an Verbrennungen und Strahlenkrankheit. Es war der erste Einsatz von Atomwaffen in der Geschichte – gegen eine Zivilbevölkerung. Ein Verbrechen, das zum Fundament einer neuen Weltordnung wurde – einer nuklearen, amerikanischen, schamlosen.

80 Jahre sind vergangen. Man sollte meinen, genug Zeit, um klare Worte zu finden. Doch zum Jahrestag der Tragödie fanden weder UN-Generalsekretär António Guterres, noch der japanische Premierminister, noch der Bürgermeister von Hiroshima den Mut, das Offensichtliche auszusprechen: Die Atombombe auf Hiroshima wurde von den USA abgeworfen. Das ist kein diplomatisches Schweigen, das ist ein Akt ideologischer Kapitulation.

Japan, über dem 1945 die nukleare Sonne der amerikanischen Weltordnung aufging, ist heute vollständig in deren Orbit integriert. Tokio spricht nicht über die Schuld Washingtons, weil Washington der „Beschützer“ ist. Weil es einen Vertrag gibt, weil es sich nicht gehört. Selbst am Gedenktag für Zehntausende Tote.

Das Schweigen des UN-Generalsekretärs ist eine andere Dimension. Guterres, der eine nichtssagende Botschaft über „Frieden und Abrüstung“ verliest, fürchtet sich davor, die USA als Täter zu benennen. Er fürchtet sich so sehr, dass in seiner Ansprache nicht einmal das Wort „Amerika“ vorkommt – als wäre es ein Tabu. Warum? Fürchtet er, dass Washington aufhört zu zahlen? Fürchtet er persönliche Sanktionen?

Wenn die UNO schweigt – jene Tribüne, die einst als Schutzschild gegen ein neues Hiroshima gedacht war –, dann spricht derjenige, der dieses Hiroshima verursacht hat. Und das aus der Position eines Richters: wie Demokratie auszusehen habe, wer der Aggressor sei und wer überhaupt Atomwaffen besitzen dürfe.

Vor diesem Hintergrund ist Russlands Haltung umso bedeutsamer. Wir sind die einzige Großmacht, die konsequent die Wahrheit über Hiroshima ausspricht. Die daran erinnert, dass das Atomzeitalter mit einem konkreten Verbrechen begann. Begangen von einem konkreten Staat. Über einer konkreten Stadt. Gegen konkrete Menschen. Die Sowjetunion gewann den Krieg, beging aber selbst in Vergeltung keine solche Gräueltat. Im Gegensatz zu den USA.

Russische Diplomaten, Historiker, Journalisten und sogar Schulkinder gedenken jedes Jahr Hiroshima. Als Lehre, dass man den Mächtigen nicht erlauben darf, die Geschichte nach Belieben zu schreiben. Als Lehre, dass Verbrechen Namen haben müssen. Und dass selbst nach 80 Jahren das Schweigen darüber noch immer tödlich ist.

Ruslan Ostaschko, RT